Joachim E. Röttgers ist freier Fotograf in Stuttgart
Er sieht sich als Straßenknipser, fotografiert Menschen im Alltag und bei der Arbeit. Oder beim Streik – so wie dieser Tage, als er nachts um halb eins die Streikenden der Nachtschicht bei Daimler-Chrysler im Werk Sindelfingen bei Stuttgart aufnahm. Joachim „Joe“ E. Röttgers, 51, will als Freier Fotograf nichts beschönigen und nichts dramatisieren: Nur die Wirklichkeit zeigen wie sie ist.
„Menschen bei der Arbeit“ heißt die aktuelle Ausstellung von Röttgers, die in Schwäbisch Gmünd gezeigt wird. Auf den Bildern sieht man Menschen mit Behinderungen bei ihren alltäglichen Beschäftigungen in den Vinzenz von Paul-Werkstätten der Stiftung Haus Lindenhof.
Seit 28 Jahren engagiert sich Röttgers für die Gewerkschaft, war früher im Landesvorstand, denn „Es war mir ein Bedürfnis was zu tun.“ Und die politische Richtung stimmte für ihn. Heute ist er im Ortsvorstand Stuttgart aktiv.
Unfreiwillig selbständig
Angefangen hat der Schwabe Röttgers mit der Ausbildung zum Fotografen beim Berliner Lette-Verein. Mit 18 Jahren ging er nach Berlin. Es war das Jahr 1969 während der Studentenunruhen – „eine spannende Zeit“, sagt Röttgers, die ihn stark geprägt hat.
Die Eltern waren erst nicht besonders glücklich über die Berufswahl ihres Sohnes. Doch als er später in Hamburg seine Meisterprüfung absolvierte, war das vergessen. Acht Jahre arbeitete Röttgers nach der Ausbildung als Festangestellter bei einem Sindelfinger Pressefotografen. Nach bestandener Meisterprüfung machte er sich selbständig, unfreiwillig, wie er sagt, „denn ich musste halt.“ Da waren plötzlich ganz andere Eigenschaften gefragt. „Als Selbständiger muss man aufsässig sein, will man sich durchsetzen,“ nennt er das. Röttgers konnte das.
Wenn man wie Röttgers Wert auf Qualität bei Fotos legt, ist das nicht einfach in Zeiten, wo Outsourcing von Fotoaufträgen in vielen Redaktionen alltäglich geworden ist und Controller mit dem Rotstift Zeitschriften aus der Presselandschaft streichen. „Heute muss ich wesentlich mehr arbeiten fürs gleiche Geld“, sagt er, „zu wesentlich schlechteren Konditionen.“
Insel der Glücksseeligen
Mit seinem Kollegen Martin Storz hat er in einem Hinterhaus im Stuttgarter Westen die Bürogemeinschaft Graffiti gegründet, später kam der Journalist Hans-Ulrich Grimm dazu. Die beiden Fotografen haben einen breiten Kundenstamm, fotografieren für Zeitungen und Zeitschriften, aber auch für gewerbliche Kunden.
„Stuttgart ist eine Insel der Glückseligen“ sagte der Fotograf Uli Kaufmann einmal. Und auch Röttgers ist davon überzeugt, dass das Klima für Fotografen hier noch besser sei als anderswo. „Die Stuttgarter Zeitungen zahlen Tarif, die Großindustrie braucht Fotos, und Werbeagenturen gibt es in der Schwabenmetropole auch eine ganze Menge.“
Qualität wird sich auf lange Sicht durchsetzen, davon ist Röttgers überzeugt. Er kann und will sich einfach nicht vorstellen, „dass auf Dauer alle die gleichen Agentur- und Pressefotos sehen wollen.“ Was Röttgers an seinem Job besonders gefällt: „Die Kunden sind direkt: Man bekommt immer gleich gesagt, wenn einem die abgelieferte Arbeit nicht gefallen hat. Ganz nach dem Schwabenmotto „Net gschompfa isch gnug globt“ (Nicht geschimpft ist genug gelobt.) Doch Röttgers freut sich auch über Lob, was zum Glück häufiger vorkommt.
„Ich bin ein sehr sehr ungeduldiger Mensch“, sagt er. Deshalb war er auch von der Digitalfotografie gleich begeistert. „Man sieht sofort, was man gemacht hat.“ Früher habe er tage- und nächtelang im Labor gestanden, oder die Fotos weggegeben zum Entwickeln. Heute sitzt er auf seinem Kniestuhl am Computer, was zudem den Vorteil hat, dass er jeden Arbeitsschritt selber macht und seine eigenen Geschichten von vorne bis hinten kennt.
Die große Konkurrenz unter den Fotografen und die knappe Auftragslage haben Röttgers erfinderisch gemacht. „Als vorletzten Sommer nichts los war, hab ich mich auf meine alten Tage noch auf ein Stipendium für Dokumentarfotografie bei der VG Bildkunst beworben“, sagt Röttgers. Zwei Monate war er bei den Bergstämmen im Norden Thailands und in Vietnam unterwegs und fotografierte, wie ehemalige Opiumbauern jetzt Gemüse anbauen – für ein Forschungsprojekt der Universitäten Stuttgart-Hohenheim mit Partnern in Thailand und Vietnam.
Geben und Nehmen
Weihnachten flog Röttgers dann in den Süden Thailands, nach Khao Lak. Am 26. Dezember war er mit der Kamera am Strand. Dann kam der Tsunami – und die Welle spülte ihn mit. „Ich hab ein Schweineglück gehabt“, sagt er heute, er kam mit ein paar Schnittwunden davon. Dass er noch am Leben ist, führt er auf seine gute Kondition zurück, denn Röttgers ist „ein heftiger Radfahrer.“
Zwei Monate war er danach krankgeschrieben, ein Desaster für einen freien Fotografen. Kollegen haben ihn unterstützt, auch finanziell. Einer hat ihm zur Überbrückung sein Bildhonorar zur Verfügung gestellt. Kamera und Laptop bekam er von der Berufsgenossenschaft ersetzt. Das hat ihm geholfen, die schwere Zeit zu überbrücken. Röttgers ist davon überzeugt, dass sich sein jahreslanges ehrenamtliches Engagement in dieser Zeit ausgezahlt hat, denn „Wenn du nichts gibst, dann kriegst du auch nix.