Vielfalt braucht Menge und Qualität

17. Journalistentag diskutierte Wege zur Reform der Presseförderung

Vor den Journalisten sterben die Verleger? Das stand zumindest als provokative Behauptung im Motto des 17. Journalistentages der dju Ende November in Berlin. Das jährliche Forum, bei dem Gewerkschafter, Medienpraktiker und Fachwissenschaftler debattieren, befasste sich diesmal mit der „Perspektive Pressevielfalt“.

Fragen von medialer Vielfalt und Qualität wurden vor dem Hintergrund des aktuellen Krisenumbruchs vorrangig im Printbereich erörtert. „Die wichtigste Voraussetzung für großen Journalismus ist, dass man ihn erst einmal ermöglicht“, zitierte Inez Kühn, Bereichsleiterin Medien und Publikation im ver.di-Bundesvorstand, in ihrer Begrüßung. Die Teilnehmer der Veranstaltung suchten engagiert nach Wegen zu besseren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Pressevielfalt und nach gewerkschaftlichen Antworten auf aktuelle Konzernstrategien. Das Reizthema Subventionen bildete dabei einen wichtigen Diskussionsschwerpunkt.

Zur Vielfalt der Presselandschaft gehört die Vielfalt der Querköpfe, betonte Martin Dieckmann, ver.di-Fachgruppenleiter Verlage und Agenturen, der das Hauptreferat hielt. Als Beispiele für diesen Typus nannte er die großen Hamburger Verleger von Axel Cäsar Springer, Henry Nannen, Gerd Bucerius bis Rudolf Augstein, die die deutsche Presselandschaft nach dem zweiten Weltkrieg geprägt haben. „Heute sind Chefredakteure in Tageszeitungen zu einem hohen Grad in der betriebswirtschaftlichen Leitung involviert. Sie müssen quasi wie Manager mitdenken“, bedauerte Dieckmann. „Diese Zielkonflikte sind in der Vergangenheit innerhalb des Verlages ausgetragen worden. Der Verleger selbst hat beide Seiten dargestellt.“ Tendenziell sei die Zeit des klassischen Verlegers im Schwinden. Budgetierungen und Kostensysteme würden heute massiv in die inneren Redaktionswelten eingreifen. Dies sei der Kern eines Problems, das etwas überspitzt im Motto des Journalistentages „Vor den Journalisten sterben die Verleger“ zusammengefasst worden sei. Neben den Verlegern, die ihr Geschäft mit Herzblut führen, gäbe es auch eine nicht geringe Anzahl von Verlagsmanagern, die dies voller Arroganz für unmodern halten. Er benannte drei entscheidende Fehler, die in der Vergangenheit in den Chefetagen der Verlagshäuser begangen wurden: Unkontrollierte Zukäufe, massive Risikoinvestitionen in Internetgeschäfte und hohe Gewinnentnahmen durch Gesellschafter und Eignerfamilien. Die Konjunkturkrise führte zu einem Einbruch der Werbewirtschaft und dadurch auch zu sinkenden Anzeigenerlösen für die Verlage.

Das Kerngeschäft wieder fest im Blick

Tageszeitungen hätten früher zwei Drittel ihrer Erlöse aus Anzeigen, davon rund 50 Prozent aus dem Rubrikengeschäft, erzielt. Zeitschriften hätten je zur Hälfte aus Vertrieb und Anzeigen ihre Umsätze erwirtschaftet. Dieckmann konstatierte „eine dramatische Veränderung in den vergangenen drei Jahren“. In Ostdeutschland habe der Vertriebsanteil im Durchschnitt die Anzeigenerlöse bei den Tageszeitungen überholt. Deutschlandweit bewege sich die Quote nur noch bei rund 60 Prozent. „Diese Entwicklungen sind größtenteils konjunkturell bestimmt und werden sich zum Besseren wenden, wenn es gesamtwirtschaftlich einen Aufschwung gibt“, versicherte er. Zusätzlich sei als langfristiger Trend ein Rückgang der Abonnementzahlen zu beobachten sowie eine Abkehr von den integrierten Medienkonzernen der 80er Jahre, die von der Bibel bis zum Porno-Chat, aber auch Fernsehsender und Radiostationen unter einem Dach vereinten. Verlage konzentrieren sich wieder auf ihr Kerngeschäft. „Kerngeschäfte sind diejenigen Märkte, auf denen ein Unternehmer mit Eintritt in die Konjunktur mindestens einen der ersten drei Marktplätze besetzen kann“, erklärte Martin Dieckmann. Die Folge ist ein reger Kauf und Verkauf einzelner Geschäftsbereiche, die nicht selten durch einen Tausch von zum Beispiel Tageszeitung gegen Fernsehanteile vollzogen wird. Warum kaum eine Branche so geschockt ist von der Rezession wie die Verlage, sei darauf zurückzuführen, dass in diesem Wirtschaftsbereich die Märkte abgesichert und abgesteckt seien. Der Medienwissenschaftler Horst Röper, habe die Verleger einmal als die einzigen Unternehmer charakterisiert, „die nicht den Erfolg suchen mussten, weil, sie wurden vom Erfolg regelrecht heimgesucht.“ Regional seien die Märkte zu 50 Prozent monopolisiert von einer einzigen Tageszeitung, während überregional ein relativ hoher Wettbewerb stattfindet. Zusätzlich gibt es bei den Verlegern eine „Wir bleiben unter uns!“-Mentalität. Nur Zeitungsverleger erwerben Zeitungsverlage, ausländische Investoren sollen draußen bleiben. Gleichzeitig kaufen sie selbst fleißig in Osteuropa. „Da gilt die Regel umgekehrt natürlich nicht“, stellte der Referent fest.

Gesetz nicht demontieren

Diese Haltung gipfelt in teilweise abenteuerlichen Verlegervorschlägen zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Holtzbrinck zum Beispiel plädierte für eine Abschaffung der Fusionskontrolle. Innerhalb des Bundesverbandes deutscher Zeitungsverleger (BDZV) sind die Positionen allerdings sehr unterschiedlich. Die kleinen Verleger wehren sich gegen Vorstöße der großen. Martin Dieckmann hält auch den vorgelegten Kompromiss-Vorschlag des BDZV für gefährlich. Danach soll erst ab einer Umsatzgrenze der beteiligten Verlagshäuser von 100 Millionen Euro das Kartellamt über einen Zeitungsverkauf informiert werden. Dies würde schnell zu unkontrollierbaren Zusammenschlüssen und Kooperationen führen.

Gegen eine Lockerung des Wettbewerbsrechts und der Fusionskontrolle sprach sich auch Professor Franz-Jürgen Säcker vom Berliner Institut für Wettbewerbsrecht in seinem Referat aus. „Das Kartellgesetz ist das Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft.“ Er empfahl, die Ministererlaubnis im Bereich Pressefusionskontrolle „ersatzlos abzuschaffen und das deutsche Recht auch insoweit dem europäischen Recht anzugleichen.“

Staatsnähe oder Staatsferne?

Mit der Frage, was der Staat mit der Presse zu tun hat, befassten sich die drei folgenden Referenten. Gerd Nies, IMU München, untersuchte speziell das Verhältnis zwischen Presse und Staat und kam zu dem Schluss, dass Pressefreiheit – einst als Abwehrrecht gegen den Staat erkämpft – inzwischen vielfältige Wechselwirkungen zwischen der marktwirtschaftlich konstituierten Presse und dem Staat bedinge. Die Kennzeichnung als vierte Gewalt sei insofern treffend, als die Presse quasi „Bestandteil der staatlichen Gewaltenteilung“ geworden sei, eine Einrichtung, „deren Funktionieren als globale, vielfältige und kritische Institution innerhalb der staatlichen Ordnung garantiert werden muss“. Staatsferne bedeute heute, dass staatliche Einflussnahme auf die Inhalte nach wie vor ausgeschlossen werden müsse. Ein „absoluter Bestandsschutz der Presse gegenüber staatlichen Eingriffen“ sei daraus aber nicht abzuleiten. Neben einem Gestaltungsrecht des Staates sei auch eine Gestaltungspflicht zum Funktionieren der Medien ableitbar. Aktuelle Entwicklungsprozesse, die zu weiterer Konzentration und Monopolisierung, speziell auf dem regionalen Pressemarkt, führten, bergen für Nies die Gefahr einer „Furcht erregenden Verschmelzung von Staat und Privatinteressen“, wie nicht nur das Beispiel Italien belege. „Der Staat muss eingreifen“, forderte der Referent zu Regulierung im Interesse von Vielfalt auf.

Staatliche Einflussnahme könne neben restriktiven Maßnahmen aber auch in Subventionierung bestehen.

Mit der staatlichen Presseförderung im europäischen Vergleich befasste sich Prof. Christine Holtz-Bacha von der Mainzer Universität. Ausgehend von der Einschätzung, dass hierzulande mit lediglich halbierter Mehrwertsteuer und reduzierten Postzeitungstarifen die Förderung der Presse „außerordentlich zurückhaltend“ ausfalle, legte die Expertin dar, dass etwa Schweden und Frankreich ihre Medienbranche vielfältig und zum Teil seit Jahrzehnten massiv unterstützen. In Frankreich erreichten solche Subventionierungen im Jahr 2002 einen Umfang von 793 Mio. Euro. Auf die Gefahren eingehend, wenn die Presse „am Tropf des Staates hängt“, forderte Holtz-Bacha eine Förderung „unabhängig von inhaltlichen Kriterien“, die interessenungebunden und transparent, ja nahezu automatisch erfolgen solle. Sie setze die Offenlegung ökonomischer Kennziffern durch die Verlage voraus und stelle „hohe Anforderungen an die Politik“. (M 11 / 03)

Gleichzeitig Qualität fördern

Ob die Lokalzeitung angesichts der Krisenprozesse in der Branche langfristig die besseren Karten habe, blieb im Gespräch von Verleger und Chefredakteur Christoph Müller vom „Schwäbischen Tagblatt“ mit Moderatorin Inez Kühn eher vage. Trotz Abonnentenrückgang, moderatem Arbeitsplatzabbau und einer zunehmenden „Vergreisung“ der Redaktion, da junge Leute nicht übernommen werden könnten, sah Müller in der Krise auch eine „Chance“ und die Pflicht, Qualität abzuliefern. Das bedinge Veränderungen im Berufsbild des Lokalredakteurs: „Wir müssen inhaltlich wieder in die Breite und können es uns nicht leisten, Spezialist im Kleinen zu sein.“

Die abschließende Podiumsdiskussion forschte der Frage nach, ob Presseförderung und die gewerkschaftlich forcierte Debatte um Qualitätsjournalismus einen Widerspruch darstellen. Die Möglichkeiten staatlicher Förderung über die Verlage direkt wurden zumeist skeptisch gewertet. „Ich schreie nicht nach dem Staat“, meinte Verleger Müller. Doch wurde in der Debatte auch auf funktionierende Förderbeispiele wie die „Frankfurter Rundschau“ verwiesen. Gefördert werden könne vorrangig Pressevielfalt. „Vielfalt allein sichert tatsächlich Qualität im Journalismus nicht“, betonte dju-Bundessprecher Malte Hinz. Vom Podium und aus dem Auditorium kamen deshalb Vorschläge, wie über Subventionierung gleichzeitig Qualität gefördert werden könne: Durch Projekt- und auftragsbezogene Förderung, ähnlich wie in der Filmbranche (Marianne Lange, freie Journalistin), durch Stipendien und Fortbildung für Freie (Andreas Küstermann, freier Journalist), durch die Gründung öffentlich-rechtlicher Zeitungen, das Setzen von Tariftreue als Förderkriterium (Holger Wenk, Moderator), durch die Subventionierung der universitären oder öffentlich-rechtlichen Journalistenausbildung (Karl-Heinz Kaschel-Arnold, ver.di). Presseförderung, darauf konnte man sich einigen, müsse auch bei den Verlegern sichern, „dass nicht noch mehr unter die Räder kommen“ (Martin Dieckmann). Man dürfe es nicht den Marktkräften oder Technikern überlassen, wie künftig „die soziale und kulturelle Gestalt und Funktion“ der Medien aussieht, brachte es dju-Bundessprecher Martin Protze in seinem Schlusswort auf den Punkt. „Das müssen wir schon selbst in die Hand nehmen.“

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