Zeit und Geld gerecht verteilen

Gewerkschafterinnen diskutierten über künftige Frauenpolitik

Der Wert der Arbeit – ordentlich bezahlte ­Arbeit gleichermaßen für Frauen und zu menschenwürdigen Bedingungen – das war Kern einer konstruktiven Debatte auf der Konferenz der Frauen des ver.di-Fach­bereichs Medien, Kunst, Industrie (FB 8) am 24. und 25. März 2007 in Berlin. Es galt, Bilanz zu ziehen und gleichfalls Pflöcke einzuschlagen, wie die Gewerkschaftsfrauen künftig die Politik von ver.di mitgestalten können.


Die Diskussion um Arbeitszeitverkürzung, die Beteiligung von Frauen – „einer Minderheit von 51 Prozent“ – am gesellschaftlichen Erwerbsleben habe bereits am Beginn ihrer aktiven Gewerkschaftsarbeit vor Jahrzehnten gestanden, erinnert sich Monique Troedel. Diese Auseinandersetzung wurde zunehmend mit Frauenthemen gefüllt. Heute gehe es vor allem um die gerechtere Verteilung von Arbeit und den Wert der Arbeit im gesellschaftlichen Kontext. Denn Frauen leisten nach wie vor viel Arbeit, die jedoch gar nicht oder schlecht bezahlt werde.
Troedel prangerte das „bürgerlich naive Frauenbild“ an, das derzeit in der Gesellschaft geprägt wird, sowie eine Politik, die Frauen im „politischen Gestrüpp verwahrlosen lässt“. Darüber hinaus erwarte man von Frauen aus der Mittelschicht und Intellektuellenkreisen offenbar ein volles Arbeitspensum und dann noch jede Menge gesunde Kinder. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit sei eine nach wie vor aktuelle Forderung.
Monique Troedel, die sich nach 25 Jahren Frauenarbeit in der Gewerkschaft, lange Zeit als Vorsitzende des Frauenvorstandes im FB 8, aus dem „aktiven Dienst“ verabschiedete, wünschte dem neuen Gremium und seinen Mitstreiterinnen „Kraft und Weitsicht sowie eine gute Zahnärztin, damit Ihr gute Zähne zum beißen bekommt“. Die einstige Verlagsfrau geht beruflich in den Ruhestand, bleibt aber auf der politischen Bühne präsent, zunächst mit ihrer Kandidatur zur Bremer Bürgerschaft im Mai. Beherzte Dankes­worte und den ausgesprochenen „Respekt für ihr persönliches Engagement“ (Frank Werneke) bekam sie mit auf den Weg. Der neue Bundesfrauenvorstand des FB 8, dessen Vertreterinnen von den Landesfrauen gewählt worden waren, wurde einstimmig bestätigt.

Kriterien für eine „gute Arbeit“

Erwerbstätigkeit sei inzwischen für die meisten Frauen ein selbstverständlicher Teil ihrer Biographie, konnte Dr. Alexandra Scheele von der Universität Potsdam an ihre Vorrednerin anknüpfen. Während sich jedoch auf der einen Seite durchaus beeindruckende Emanzipationsgewinne für Frauen konstatieren ließen, gebe es in Deutschland nach wie keine Geschlechtergleichheit auf dem Arbeitsmarkt. So hätten Frauen heute bessere Bildungsabschlüsse, europaweit ein höheres Bildungsniveau als junge Männer. Auch die Erwerbsbeteilung von Frauen in Westdeutschland habe erheblich zugenommen (in Ostdeutschland ist sie gegenüber der DDR-Zeit gesunken, liegt aber immer noch über dem gesamtdeutschen Niveau).
Dennoch resultiert dieser Anstieg vor allem aus Teilzeit­arbeit und geringfügiger Beschäftigung. Fast 82 Prozent der weiblichen Erwerbstätigen arbeiten im Dienstleistungssektor und konzentriert im Niedriglohnbereich. Nach wie vor gibt es nur einen geringen Anteil von Frauen in Leitungs- und Entscheidungspositionen. Ungleich verteilt seien auch heute noch die Ressourcen Zeit und Geld. Die gewerkschaftliche Frauenpolitik stehe deshalb vor vielfältigen Herausforderungen. Ziel sei es, „die gleichberechtigte Erwerbsintegration von Frauen mit der sozialen Frage und mit dem Anliegen von ‚guter Arbeit‘ zu verbinden“, so Alexandra Scheele.
In drei Arbeitsgruppen wurden bereits erste Kriterien für eine solche „gute Arbeit“ fixiert. Normen für eine menschengerechte Arbeit aufstellen (kürzere Arbeitszeiten, gerechte Bezahlung, Flexibilität und auch Planbarkeit, Gesundheitsschutz), zerfranste Arbeitsverhältnisse – Leiharbeit, Praktika, Pilotprojekte, zunehmende Be­fristungen – wieder in „normale“ Arbeitsverhältnisse zurückführen, sind nur einige Stichworte.
Die gewerkschaftliche Frauenarbeit müsse „sichtbarer werden“, hob ver.di- Bundesfrauensekretärin Vera Morgenstern hervor. Ein Schritt in diese Richtung sei das „Betriebsrätenetzwerk – Gleichstellung im Betrieb“. Es biete Möglichkeiten kolle­gialer Befragungen und damit den Austausch von Erfahrungen, Informationen über Veranstaltungen und vieles mehr. Erfolgreich werde ein Mentoring-Programm veranstaltet, bei dem erfahrene Kolleginnen jungen Frauen als „Partnerinnen“ zur Seite gestellt werden. Im Ergebnis einer ersten Runde wurden einige der jungen Frauen in gewerkschaftliche Funktionen gewählt.
Von ver.di unterstützt worden war auch die DGB-Idee, die Mindestlohnkampagne in den Fokus des diesjährigen Internationalen Frauentages zu stellen. Die Aktionen zum 8. März in zwölf Städten seien sehr erfolgreich gewesen. Vera Morgenstern hob die Realisierung der Frauenquote in ver.di hervor, die besonders im Zuge der Organisationswahlen immer wieder debattiert werde. Und sie verwies mit Nachdruck auf die guten frauenpolitischen Informationsmaterialien von ver.di, die jedoch mehr beworben werden müssten (http://frauen.verdi.de).
„Ihr seid so etwas wie der Kitt, der den Fachbereich zusammenhält“, appellierte Frank Werneke an die Frauen auf der Konferenz. Denn die Attraktivität von Frauenpolitik kristallisiere sich in fachgruppenübergreifender Themenarbeit heraus, so der Fachbereichsleiter Medien, Kunst, Industrie und ver.di-Vize. Das sind Themen wie die Kampagne „Arbeit darf nicht arm machen – Mindestlohn 7,50“, die ver.di gesellschaftlich mit gesetzt habe. 4,3 Mil­lionen Menschen arbeiten für weniger, 1 Million für so wenig, dass sie Zusatz­leistungen der Arbeitsagentur erhalten. So arbeiten etwa die Beschäftigten der PIN-AG mit 4,50 Euro pro Stunden plus variablen Lohnbestandteilen. Letztere bezahlen dann Konkurrenten wie die Deutsche Post, die aufgrund gezahlter Tarifgehälter Sozialversicherungsbeiträge in Milliardenhöhe abführt. Die Erfolgschancen von Gewerkschaftspolitik hingen davon ab, wie es künftig gelinge, in Betrieben und Städten Aktion zu entfalten, mitunter vom „zivilen Ungehorsam am Arbeitsplatz“ bis hin zu politischen Streiks, hob Frank Werneke hervor.
In der anschließenden heftigen Dis­kussion forderten die Frauen von ver.di, mit mehr Schärfe aufzutreten, den Etikettenschwindel vieler verdeckter Subventionen für Unternehmen aufzudecken und sich doch wieder öfter auf das Grundgesetz zu berufen. Das derzeit diskutierte ver.di-Programm wurde als zu zahm, zu wenig kämpferisch und dabei auch noch zu wenig prägnant kritisiert. Frank Werneke hob den Stein auf und warf ihn zurück, indem er die Frauen aufforderte, diese Kritik sehr konkret an Programmpunkten festzumachen.

Ein Schwarzbuch Call-Center

In der Antragsdebatte erging demzufolge ein entsprechender Auftrag an den neuen Vorstand, der sich dafür mit dem ver.di-Frauenrat verständigen wird. Neben Anträgen zur Mindestlohnkampagne, zur Arbeitszeitverkürzung und zur Mitbestimmung innerhalb der Gewerkschaft wurde ein Initiativantrag beschlossen, der ver.di auffordert, ein „Schwarzbuch Call-Center“ herauszugeben, um die sklavenähnlichen Arbeits­bedingungen in diesen Unternehmen anzuprangern – ein großes Aufgabenpaket also auch für den neuen Vorstand.

Neuer Bundesfrauenvorstand im Fachbereich 8

Heidrun Heidebreck, Baden-Württemberg; Industrie
Adelheid Beier, Baden-Württemberg; Verlage, Druck, Papier
Barbara Tedeski; Bayern; Darstellende Kunst
Agnes Kottmann; Bayern; Literatur-VS
Dallmer; Marianne, Berlin-Brandenburg; Verlage, Druck, Papier
Ingeborg Robert, Hessen; Verlage, Druck, Papier
Bettina Hoffmann, Niedersachsen-Bremen; Verlage, Druck, Papier
Brigitte Zielinski-Luplow, Nordrhein-Westfalen; Verlage, Druck, Papier
Elke Barbato, Nordrhein-Westfalen; Verlage, Druck, Papier
Almut Broer, Nord; Bildende Kunst
Silke Gorsegner, Rheinland-Pfalz-Saar; Medien
Annett Schaumann, Südost; Medien

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