Aktionsprogramm für die Informationsgesellschaft

Euro-MEI-Kongreß verabschiedet umfangreiches Aktionsprogramm

Medienkonzentration und Deregulierung sollen bekämpft werden – Forderung nach europäischem Tarifrecht – Plädoyer für öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa – Managementkomitee gewählt

Medienkonzentration auf internationaler Ebene ist heute kein leerer Begriff, sondern wirkt sich unmittelbar auf den Alltag der in den Medien Beschäftigten aus. Ein umfangreiches Aktionsprogramm, das die Beschäftigten der Medienindustrie sicher in die „Informationsgesellschaft“ führen soll, wurde am 28./29. September 1996 in Brüssel auf der Generalversammlung der Media and Entertainment International (Euro-MEI) beschlossen. Die Euro-MEI ist die für die europäische Medien- und Kunstbranche zuständige Gewerkschaftsinternationale.

Im Kern des Aktionsprogramms stehen Forderungen zu den Beschäftigungsbedingungen in dieser Branche, Aktivitäten bezüglich der sich wandelnden Strukturen in der Medien- und Unterhaltungsindustrie sowie die Sicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa, der nach Ansicht der Delegierten von den politischen und ökonomischen Anhängern reiner Markttheorien in seiner Existenz bedroht wird. Gewählt wurde auch der neue Vorstand. Neben dem bisherigen Präsidenten der europäischen Sektion der MEI, dem Belgier Marc Kerky, gehören dem Management-Komitee als Vizepräsidenten Klaus-Peter Hellmich (IG Medien), Anita Perez (Frankreich), Zoe Lanara (Griechenland) und Roy Lockett (Großbritannien) an.

In einer Erklärung der Generalversammlung, die von den deutschen Delegierten initiiert wurde, hält es die Euro-MEI dringend für erforderlich, durch entsprechende Richtlinien den Medienkonzentrationsprozeß zu stoppen. Sie fordert die verantwortlichen europäischen Institutionen auf, alles für die Wahrung der Produzentenvielfalt im europäischen Markt zu tun, denn nur so würden künftig positive Effekte für den Medienarbeitsmarkt zu erwarten sein.

Schutz für ungeschützte Arbeitsverhältnisse

Gleichzeitig gelte es, den zunehmenden Trend in der Medienindustrie wie auch in anderen Wirtschaftsbereichen, Dauerarbeitsverhältnisse durch sozial ungeschützte befristete Beschäftigungsverhältnisse abzulösen, entgegenzuwirken. Für diesen Beschäftigtenkreis bedürfe es gesetzlicher sozialer Schutzregelungen, die in allen Ländern des europäischen Marktes Gültigkeit haben. Voraussetzung hierfür sei, daß die Europäische Union (EU) den notwendigen gesetzlichen Rahmen in Form eines europäischen Tarifrechts schaffe. Dies hatte auch der stellvertretende Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), Jean Lapere, in seinem Gastbeitrag zur Konferenz gefordert. Mehrere Rednerinnen und Redner appellierten an die MEI-Mitgliedsgewerkschaften, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in tarif- und betriebspolitischer Hinsicht zu intensivieren, um sich für den Multimedia-Binnenmarkt zu wappnen.

Die Euro-MEI begrüßte ausdrücklich die europäische Rahmenrichtlinie zum Gesundheitsschutz und zur Bildschirmarbeit, da Bildschirmarbeit heute in allen Produktionsbereichen der Medien eine immer größere Rolle spiele. Diese Richtlinien seien eine der wenigen sozialen Fortschritte aus Richtung Brüssel. Sie forderte alle Mitgliedsländer dazu auf, diese Rechte unverzüglich in nationales Recht umzusetzen. Gegen säumige Mitgliedsländer müsse die EU-Kommission Untätigkeitsklage einreichen.

Medienpolitisches Bündnis mit der EBU angestrebt

Große Bedeutung komme auch der Verteidigung eines umfassenden Rundfunkbegriffs zur demokratischen Gestaltung der neuen Medien zu. Priorität müsse die Verteidigung des demokratischen Nutzens der Medien für die Bürgerinnen und Bürger vor hemmungslosen Profitstrebens genießen. Nur so könne der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der zunehmend von kommerziellen Interessen bestimmten Medienlandschaft abgesichert wer-den. Auf keinen Fall dürfe er von der Entwicklung neuer Angebote ausgeschlossen werden. Grundlage der politischen Aktivitäten der Euro-MEI für die Sicherung und den Ausbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa müsse die auf der Konferenz von Florenz am 19./20. November 1994 ausgearbeitete Stellungnahme der europäischen Mediengewerkschaften sein. Flankenschutz erhielt die Euro-MEI in dieser Frage von Paul-Emil Dupret vom Ausschuß für Kultur, Jugend, Bildung und Medien des Europäischen Parlaments (EP). Er verwies in seinem Beitrag auf die Positionen des EP zur Unterstützung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die dieses in mehreren Entschließungen zum Grünbuch als strategische Optionen für die audiovisuelle Industrie, zur Telekommunikationsgesetzgebung, zur EU-Fernsehrichtlinie und zur Medienkonzentration bezogen habe.

Positionen des Europaparlaments begrüßt

Der Euro-MEi-Kongreß begrüßte insbesondere die entsprechende Resolution des Parlaments vom September, die auf Initiative der britischen Europaabgeordneten Carole Tongue verabschiedet wurde (siehe Seite 33). Der Generalsekretär der Europäischen Broadcasting Union (EBU), dem europäischen Zusammenschluß der öffentlichen Rundfunkanstalten, Jacques Briquemont, rief die MEI-Versammlung dazu auf, in medienpolitischen Fragen eine gemeinsame Position mit der EBU zu finden. Er erneuert das EBU-Angebot, im Rahmen des sozialen Dialogs hierüber die notwendigen Diskussionen zu führen.

Aktionstag im Mai ’97

Dies hatte auch der neue und alte Euro-MEI-Präsident Kerky in seinem Rechenschaftsbericht vor den Delegierten unterstrichen. Die vielfältigen Aktivitäten der MEI zur Unterstützung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sollen in einen Aktionstag, den 9. Mai 1997, münden.

In seinem Bericht verwies er außerdem auf die vielfältigen Aktivitäten für Freie, die Theaterbeschäftigten und die Beschäftigten der Filmindustrie hin.

In der politischen Erklärung wird der Schwerpunkt der Aktivitäten weiter auf die Beschäftigungssicherung im Medien- und Kulturbereich, Fragen der Ausbildung und die Verwirklichung der Chancengleichheit gelegt. Um die Herausforderungen von Wirtschaft und Politik annehmen zu können, bedürfe es auch einer vertieften Zusammenarbeit mit anderen europäischen Gewerkschaftsorganisationen. Das neue Management-Komitee soll in den nächsten Monaten die politischen Ziele in konkrete Handlungsschritte umsetzen.In mehreren Beiträgen osteuropäischer Delegierter wurde die Bedeutung der zu leistenden Aufbauarbeit in ihren Ländern hervorgehoben. Dies dürfe bei der notwendigen Konzentration wichtiger Aufgaben auf die EU-Länder nicht vergessen werden.

„Europudding“ nicht die richtige Filmpolitik

Auf die Schwierigkeiten im vielsprachigen Europa, im harten Wettbewerb mit den USA eine europäische Filmindustrie aufzubauen, ging Gastredner Dieter Kosslick von der Filmstiftung NRW ein. Das filmpolitische Konzept, ein Werk durch die Aneinanderreihung verschiedener regionaler Elemente in Form des „Europudding“ europäisch zu machen, habe nicht funktioniert. Zu beobachten sei aber ein Trend zu guten nationalen Filmen. Mit Blick auf die erfolgreichen deutschen Filmkomödien der letzten Jahre sagte Kosslick, es sei ein Segen, „daß die Deutschen wieder über sich selbst lachen könnten“. Auch Kosslick bot der MEI Zusammenarbeit bei der Stärkung des europäischen Films und der Stabilisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an.

Der Euro-MEI gehören heute über siebzig europäische Mitgliedsgewerkschaften aller Medien- und Kunstbereiche an. Sie ist Teil der weltweit operierenden MEI, die 1993 in London aus den beiden internationalen Verbänden ISETU und FISTAV hervorgegangen war. Euro-MEI ist anerkanntes Berufssekretariat beim EGB und in dieser Funktion anhörungsberechtigt bei den europäischen Institutionen. Die Brüsseler Versammlung verabschiedete auch die erste Satzung für die europäische Sektion.

Die deutsche Delegation bei dem Kongreß bestand aus Elisabeth Treff (Hessischer Rundfunk), Elmar Boensch (Welt-Vizepräsident der MEI/Verband NRW), Klaus-Peter Hellmich (GBV Fachgruppe Rundfunk/ Film/Audiovisuelle Medien) und Peter Völker, (HV, IG Medien).

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

„Das Problem mit der Leidenschaft“

Lena Hipp ist Professorin für Soziologie an der Universität Potsdam und leitet die Forschungsgruppe „Arbeit und Fürsorge“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Mit M sprach sie über „Gute Arbeit“, Stressoren im Journalismus und weshalb die Trennung von Arbeit und Privatleben für Medienschaffende so wichtig ist.
mehr »

Türkische Presse im Visier der Justiz

Der Journalist Nedim Türfent berichtet über die Situation von Medienschaffenden in der Türkei. Sein Film "Ihr werdet die Macht der Türken spüren!" über die schikanöse Behandlung kurdischer Bauarbeiter erregte große Aufmerksamkeit und brachte ihm 2015 einen Journalistenpreis ein - und 2016 seine Verhaftung. Er wurde gefoltert und zu acht Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Die meiste Zeit davon verbrachte er im Hochsicherheitsgefängnis in der östlichen Stadt Van. Türfent wurde am 29. November 2022 nach sechs Jahren und sieben Monaten Haft entlassen. Schon wenige Monate später arbeitete er wieder als Journalist. Zurzeit nimmt er an einem Stipendium für bedrohte…
mehr »

Die Verantwortung der Redaktionen

Auf die mentale Gesundheit zu achten, ist keine individuelle Aufgabe. Auch Arbeitgeber*innen können und sollten etwas für psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen tun. Wie funktioniert das in einer Branche, die so geprägt ist von Zeit und Leistungsdruck und belastenden Inhalten wie der Journalismus? Wir haben uns in zwei Redaktionen umgehört, die sich dazu Gedanken gemacht haben: das Magazin Neue Narrative und der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (SHZ).
mehr »

Gewalterfahrung im Lokaljournalismus

In Deutschland hat sich die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Journalist*innen deutlich erhöht. Viele der Übergriffe finden am Rande von Demonstrationen statt. Der Thüringer Journalist Fabian Klaus recherchiert zu Rechtsextremismus und wird deshalb bedroht. Mit M sprach er über zunehmende Bedrohungslagen im Lokaljournalismus und die Unterstützung aus den Redaktionen.
mehr »