Alarmierende Signale

Nordirland: Mordermittlungen ins Stocken geraten, Täter vom Staat gedeckt?

Die Ermordung des nordirischen Journalisten Martin O’Hagan durch die paramilitärische Gruppe „Loyalist Volunteer Force“ (LVF) jährte sich am 28. September diesen Jahres zum zweiten Mal. Vier Männer waren an der Tat beteiligt, die nicht nur in journalistischem Kreisen mit Namen bekannt sind. Doch bisher nahm die Polizei nur einen Verdächtigen fest. Die Ermittlungen stocken. Freunde und Kollegen vermuten, dass britische Undercoveragenten beteiligt waren, die gedeckt werden sollen.

Die Schüsse fielen in der Nacht und trafen Martin O’Hagan in den Rücken. Der Journalist und Familienvater verblutete auf der Straße, nur wenige Meter entfernt von seinem Haus in der nordirischen Kleinstadt Lurgan. Innerhalb weniger Stunden entscheiden sich seine Kollegen der größten nordirischen Boulevardzeitung „Sunday World“ in Belfast zu einem Sonderdruck. Die Schlagzeile lautete am nächsten Morgen: „Fearless – our man shot in the back.“ Da hatten sich die „Red Hand Defenders“, ein Tarnname der LVF, bereits bei der BBC zu dem Anschlag bekannt. Über diese Untergrundorganisation hatte O’Hagan jahrelang berichtet, über die illegalen Aktivitäten der Gangleader, ihre Drogen- und Prostituiertengeschäfte, die allzu oft unter dem patriotischen Slogan „For God and Ulster“ liefen.

Erster gezielter Anschlag

Der Mord an einem Journalisten ist eine Zäsur in der Geschichte des Nordirland-Konfliktes. Zwar hat es immer wieder vereinzelt Morddrohungen gegen Berichterstatter gegeben, doch mit einem gezielten Mordanschlag hatte niemand gerechnet. Die Beziehung zwischen den paramilitärischen Organisationen und den Medien sei von jeher sehr zwiespältig gewesen, so Henry McDonald, Nordirland-Korrespondent des englischen „Observer“, der selbst seit 1999 immer wieder Morddrohungen erhält. Einerseits bräuchten sie die Presse, um ihre Botschaft zu verbreiten, andererseits werden investigativ arbeitende Journalisten zu gefährlichen Zeugen.

War auch O’Hagan ein gefährlicher Zeuge? Die hartnäckige Recherche, die Suche nach der Wahrheit, war seine Berufung. Martin habe da angesetzt, wo sich viele nicht mehr getraut haben, weiter zu recherchieren, so eine Kollegin der „Ireland on Sunday“. Das schätzten viele an dem engagierten Mitglied der Journalistenvereinigung „National Union of Journalists“ (NUJ). Die nordirische Ausgabe der Zeitung mit Hauptsitz in Dublin ist eine der wenigen in Nordirland, die immer wieder Schlagzeilen macht über Auftragsmorde, Prostitution, Bandenbosse. „Wir berichten über diejenigen, die unsere Kinder auf den Strassen vergiften“, so Jim McDowell, Chefredakteur des Belfaster Büros der „Sunday World“, der ebenso massive Morddrohungen von der LVF erhielt.

Risiko in Kauf genommen

Der 51jährige O’Hagan wurde von beiden Seiten bedroht. 1989 wurde er von der IRA entführt, weil sie ihn für einen Informanten der Polizei hielt. Nach Recherchen über die LVF Anfang der 90er war er so gefährdet, dass er schließlich für ein Jahr nach Südirland ziehen musste. Aber O’Hagan habe an den Friedensprozess in Nordirland seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 geglaubt, wollte neutral sein und auch so darüber berichten, so sein langjähriger Kollege Jim Campbell. Erst kurz vor seiner Ermordung zog der Katholik O’Hagan, der mit einer Protestantin verheiratet war, mit seiner Familie sogar in ein Viertel, das nur unweit der Wohngegend von Anhängern der LVF liegt.

Für Jim Campbell war O’Hagans Art der Recherche keineswegs leichtsinnig, sondern notwendig. „Du wusstest nie, ob du eine Kugel in den Kopf bekommst oder eine Information. Darauf sind wir vorbereitet gewesen. Das war eben das Risiko, was man in Kauf nehmen musste“, so der ehemalige Leiter des „Sunday World“- Büros in Belfast. Seit einem Anschlag der Loyalisten im Jahre 1986 lebt Campbell mit einer Kugel in der Brust, inzwischen in der benachbarten, sicheren irischen Provinz Donegal.

O’Hagans Fall habe keine Fürsprecher, meint Campbell. Denn zu heikel wäre das, was dann ans Licht kommen könnte: von den am Mordanschlag beteiligten vier Tätern sind die Namen bekannt. Journalistenkollegen vermuten, dass einer von ihnen Agent der nordirischen Polizei war. Das wäre nicht das erste Mal. Seit der Veröffentlichung des so genannten Stevens-Reports im Sommer diesen Jahres gab der Ermittler der neutralen Untersuchungskommission, Sir John Stevens, öffentlich zu, dass Agenten in paramilitärische Organisationen eingeschleust wurden – um angeblich Anschläge zu verhindern. Doch genau das Gegenteil war der Fall.

Seamus Dooley, Vorsitzender der NUJ in Irland, warnt angesichts der Umstände vor allzu großer Hysterie. Erstens würden nur die wenigsten Journalisten wie O’Hagan arbeiten und zweitens müsse man „die Art möglicher Bedrohung“ unterscheiden. Nicht jeder Drohanruf sei ernst gemeint. Eine Überreaktion schade letztlich dem investigativen Journalismus. Denn wenn die Angst kursiert, schreibe keiner mehr über Hintergründe – Platz für die Schere im Kopf. Seiner Kenntnis zufolge, fühlten sich nur zwei bis drei Journalisten in der Region derzeit massiv bedroht. Doch der Fotograf und NUJ-Vorsitzende in Belfast, Kevin Cooper, teilt diese Meinung nicht. Zusammen mit der Organisation „British Irish Rights Watch“ und anderen Verbänden drängt er auf eine weitere Untersuchung des Mordes und verlangt stärkere Sicherheitsmaßnahmen der Arbeitgeber. Derzeit gäbe es nur eine „erhöhte Aufmerksamkeit“, berichtet Kevin Cooper.

In Sicherheit investiert

Das Büro der „Sunday World“ ist seit diversen Anschlägen und Drohanrufen mit Sicherheitskameras und -türen ausgestattet, Mitarbeiter erhalten eine Schulung, wie man im Falle einer Bombendrohung reagiert. Doch letztlich sei die eigene Vorsicht gefordert, meint Henry McDonald. Auch der Observer hat in die Sicherheit seines Korrespondenten investiert und dessen Wohnhaus gesichert.

Doch können diese Sicherheitsvorkehrungen nicht vor dem Zugriff der Behörden auf Informationen von Journalisten schützen. In der Nacht zum 1. Mai diesen Jahres wurde das Haus von Liam Clarke, Redakteur der englischen „Times“, mitten in der Nacht von der nordirischen Polizei, der Police Service of Northern Ireland, durchsucht. Die Polizisten beschlagnahmten Computer und Materialien, Clarke wurde zusammen mit seiner Frau, ebenfalls eine Journalistin, über Nacht festgehalten und verhört – ohne Vorwarnung, ohne Durchsuchungsbefehl. Auch die Büroräume der Redaktion wurden durchsucht. Nach Angaben der NUJ waren die Ermittler an Clarkes Aufzeichnungen vertraulicher Gespräche mit Nordirlandpolitikern, u. a. mit dem Sinn-Fein-Vorsitzenden Gerry Adams, interessiert. Die Behörden rechtfertigten ihre Nacht- und Nebelaktion mit dem so genannten „Official Secrets act“, dem Geheimhaltungsgesetz. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung wollten sie so an vertrauliche Informationen gelangen. Doch Clarke und seine Frau gaben ihre Informanten nicht bekannt.

Diese Aktion und seine staatlich „legitime“ Vorgehensweise machen der NUJ derzeit schwer zu schaffen. Seamus Dooley äußerte starke Bedenken für die Pressefreiheit. Alarmierende Signale, die nun auch vom Staat ausgehen.

 

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