Auf ein Wort: Ein Schuss in die Kamera

Die Gewalt gegen Journalisten in der Ukraine hat eine neue Dimension erreicht. Ungeheure Brutalität und die offenkundige Systematik bei den Überfällen belegen, dass jede Grenze überschritten wird, um Meinungs- und Pressefreiheit zu ersticken. Die hastig erlassenen Gesetze zur Einschränkung von Demonstrations-, Versammlungs- und Pressefreiheit hatten die Proteste in Kiew befeuert und der Polizei offenbar Narrenfreiheit beschert.

Schockierend die Bilder einer zusammengeschlagenen Fernsehreporterin. Sie wurde auf der Straße von einem Auto verfolgt, an die Seite gedrängt, versuchte zu entkommen – das konnte sie selbst noch mit der eingeschalteten Kamera filmen. Dann fielen zwei Männer über sie her. Die nächsten – von ZAPP Ende Januar ausgestrahlten Bilder – zeigen Tatjana Schornowil völlig entstellt, mit geschwollenem Gesicht im Krankenhaus. Ihr „Vergehen“: Sie habe aufgedeckt, in welchem Luxus Präsident Janukowitsch und einige Minister leben, berichtet das Medienmagazin.

71 Fälle von verfolgten, verletzten, drangsalierten Journalisten und Medienmitarbeitern listet die ukrainische Partnerorganisation von Reporter ohne Grenzen (ROG), das Institut für Massenmedien (IMI), bis zum 26. Januar auf ihrer Webseite auf. Viele der Kollegen berichteten, dass sie gezielt von Polizisten angegriffen wurden.
Die meisten Verletzungen seien auf Blendgranaten, Gummigeschosse oder den Einsatz anderer „nicht tödlicher“ Waffen zurückzuführen, heißt es bei ROG. So sei Pawlo Iwanow, ein Journalist der Ukrainischen Jugendinformationsagentur, von vier Gummigeschossen getroffen worden, eins drang in seinen Kopf ein. Der Kameramann Iwan Nakonetschni vom ukrainischen Fernsehsender 5 Kanal filmte, wie ein Polizist einer Spezialeinheit frontal in seine Kamera schoss. „Diese gezielten Angriffe auf Journalisten müssen sofort gestoppt und vollständig aufgeklärt werden“, fordert ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.

Inzwischen hat das Parlament die repressiven Gesetze wieder zurückgenommen. Aber von der Aufklärung, der durch die Staatsgewalt begangenen Verbrechen bei den Kiewer Protesten ist man mit Sicherheit noch meilenweit entfernt.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Urheberrecht: ChatGPT-Urteil ist Anfang

Ein Präzedenzfall ist das Urteil im Rechtsstreit zwischen der Verwertungsgesellschaft Gema und dem KI-Unternehmen OpenAI vom 11. November 2025 sicherlich. Aber abgesehen von einem zu erwartenden längeren Instanzenweg stellt sich auch die Frage, wie sich die gesamte Kreativwirtschaft gegen die ungefragte Nutzung von geistigem Eigentum wehren kann.
mehr »

Italien: Protest gegen Entlassung von EU-Korrespondent

Der italienische Journalist Gabriele Nunziati, Brüsseler Korrespondent der Nachrichtenagentur Agenzia Nova, hatte der Sprecherin der Europäischen Kommission, Paula Pinho, eine Frage zur Verantwortung Israels für den Wiederaufbau des Gazastreifens gestellt. Daraufhin beendete seine Agentur das Arbeitsverhältnis mit ihm.
mehr »

Ver.di fordert Big-Tech-Regulierung

Durch die problematische Verquickung von politischer, medialer und ökonomischer Macht sind die dominierenden Online-Plattformen längst nicht mehr neutrale Mittler diverser Inhalte, sondern werden selbst zum kuratierenden Medium. Der Raum für Machtmissbrauch in Form politischer Einflussnahme oder Desinformation ist immens. Um die Resilienz unserer Demokratie vor einer autoritären Übernahme zu stärken, besteht akuter Handlungsbedarf.
mehr »

Nachrichtenkonsum fördert die Demokratie

Immer mehr Menschen konsumieren selten oder gar keine Nachrichten oder nehmen diese nur noch indirekt über soziale Medien wahr. Eine Schweizer Studie kommt nun zu dem Schluss, dass die Nachrichtennutzung direkt mit dem Wissen über aktuelle Geschehnisse zusammenhängt. Jene, die selten oder kaum journalistische Medien konsumieren, wissen deutlich weniger über politische und gesellschaftliche Themen. Das wirkt sich demokratische Prozesse aus.
mehr »