Aufbruch statt Krise

Cadiz: IJF-Weltkongress der Journalisten im Zeichen des Medienwandels

Journalistentreffen gleichen seit einigen Jahren eher einer Mischung aus Beerdigungsfeier und Krisengipfel. Kein Wunder, schlagen doch Branchenumbrüche, Sparorgien und Sinnkrise des Journalistenberufs voll durch. Auch der Weltkongress der Journalisten, organisiert von der Internationalen Journalisten-Föderation (IJF) im spanischen Cadiz, konnte sich Ende Mai dem Sog des Faktischen nicht entziehen. Und doch herrschte Aufbruchsstimmung.

Denn: Im Vordergrund standen weniger die Nabelschau, sondern eher global bewegende Fragen wie Medien- und Meinungsfreiheit, Menschenrechte und Gleichberechtigung. So gab es bewegende Berichte über ermordete, gefolterte, bedrohte Kolleginnen und Kollegen in aller Welt, über Diskriminierung und internationale Solidarität. Ein sudanischer Journalist dankte unter Tränen für die internationale Hilfe. Der irakische Verband zeigte vor dem Sitzungssaal die erschütternde Dokumentation „Freedom words wrote by blood“ (Freiheitsworte, geschrieben mit Blut). Nach kontroversen Rededuellen verabredeten palästinensische und israelische Kollegen, zur „medialen Abrüstung“ in Nahost beitragen zu wollen. Mit Schweigeminuten ehrten die Delegierten die seit dem letzten IJF-Kongress in Moskau vor drei Jahren ums Leben gekommenen 360 Medienschaffenden.

Die Hälfte aller Resolutionen des IJF-Kongresses widmeten sich dem Thema Verfolgung von Medienschaffenden – sie wurden alle einmütig angenommen, ebenso wie die Anträge zur Gewerkschaftsarbeit selbst. Grundtenor der Resolutionen: solidarische Gegenwehr tut Not – egal ob zur Verbesserung des lebensbedrohlichen Daseins der Kollegen in Afrika, Asien und Lateinamerika oder der oft existenziellen Arbeitsbedingungen von Journalisten in so genannten „entwickelten“ Ländern. Von der überkommenen Teilung in verschiedene „Welten“ und ihre unterschiedlichen Problemlagen war überhaupt wenig in Cadiz zu spüren. Das Motto „Journalism in touch with the future“ einte die über 300 Delegierten aus 115 Ländern. Etwa bei der Frage, was oder wer in Zeiten des globalen Internets noch Journalist ist und nach welchen ethischen Prinzipien mediale Kommunikation ablaufen soll, damit Journalismus einen Beitrag zur Demokratisierung liefert. So mahnte ein somalischer Journalist an, zwischen Meinungs- und Medienfreiheit zu trennen, um professionelle Journalisten von meinungsfreudigen Bürgern zu unterscheiden. Dagegen meinte John Nichols aus den USA, alle Bürger als potenzielle Journalisten zu verstehen und sie in die Arbeit der „etablierten“ Medien zu integrieren bzw. eigene, neue Plattformen für diesen „Bürgerjournalismus“ zu schaffen.
Das blieb natürlich nicht ohne Widerspruch, zumal Nichols die Rolle von Journalistengewerkschaften auch darin sieht, für die Finanzierung neuer Medienplattformen sowie angemessene Bezahlung aller Journalisten, also auch der Bürgerreporter, zu sorgen. Zwar nicht ganz so breit, aber trotzdem auf Öffnungskurs sind etliche Mitgliedsverbände und drängen die IJF auch dazu. Da tauchen dann ganz neue (oder alte) Fragen auf, wie etwa: Sind Pressesprecher von NGOs wie Greenpeace willkommene Mitglieder in Gegensatz zu den Sprecher von Regierungen, Parteien oder Unternehmen – etwa von BP? Wie setzt man berufliche und ethische Mindeststandards für einen sich öffnenden Journalismus durch – etwa durch „Gütesiegel“ wie in den USA? Soll die IJF statt einer halben Million künftig mehrere Millionen Mitglieder haben – etwa durch Einbeziehung aller mit „Content“ Befassten? Weder die Rede von Kronprinz Felipe von Asturien noch die der spanischen Vizepremierministerin Teresa Fernandez de la Vega beim Weltkongress waren da hilfreich.
Last but not least wurden auch das Arbeitsprogramm bis 2013 und andere Grundsatzdokumente beim IJF-Kongress diskutiert und beschlossen. Bei der Wahl der neuen IJF-Führung setzte sich Jim Boumelha von der britischen NUJ souverän als neuer Präsident durch ebenso wie der gemeinsame deutsche Kandidat Wolfgang Mayer für den Schatzmeisterposten – ein erfreuliches Resultat nach dem gemeinsamen Agieren von dju und DJV beim EJF-Kongress in Istanbul (s.M5/2010), wo Andreas Bittner (DJV-Schatzmeister) ins EJF-Steering Committee gewählt wurde.


Weltweiter Schatzmeister

Beim Weltkongress der Internationalen Journalisten-Föderation (IJF) Ende Mai in Cadiz/ Spanien wurde Wolfgang Mayer von ver.di als gemeinsamer Kandidat der deutschen Journalistenorganisationen dju und DJV zum Schatzmeister gewählt. Neuer IJF-Präsident wurde der britische Journalist Jim Boumelha (NUJ), sein Stellvertreter als Senior Vice President ist Mjahed Younouss (SNPM, Morokko) und Vizepräsidenten sind Gustavo Granero (FATPREN, Argentinien) sowie Olivier da Lage (SNJ, Frankreich).

In das IJF-Führungsgremien wählten die rund 300 Delegierten aus 115 Ländern:
Zuliana Lainez Otero, Peru
Khady Cisse, Senegal
Moaid Allami, Irak
Franco Siddi, Italien
Foster Dongozi, Simbabwe
Sabina Inderjit, Indien
Omar Faruk Omar Osman, Somalia
Celso Augusto Schröder, Brasilien
Paco Audije, Spanien
Jasmina Popovic, Kroatien
Abdelnasser Najjar, Palästina
Eva Stabell, Norwegen
Gustave Azebaze, Kamerun
Thomas Carpenter, USA
Chia Chang Yu, Taiwan
Christopher Warren, Australien


Mehr Einblick im Netz

Einen lebendigen und direkten Einblick in die Debatten des IJF-Kongresses und von der Atmosphäre in Cadiz geben die Interviews unter http://vimeo.com/channels/ifj. Alle Materialien gibt es unter http://congress.ifj.org/en, wo auch Links zu Blogs und anderen Debattenforen zu finden sind.

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