Aufmacher Erdogan

Karikatur: Kostas Koufogiorgos

Die Abschaffung der Pressefreiheit in der Türkei

Eine normale Nachrichtensendung zur abendlichen Primetime sieht im türkischen Fernsehen heutzutage so aus: Sie beginnt mit einer Rede von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Erdogan hält praktisch jeden Tag irgendwo im Land eine Rede, die für alle Sender obligatorisch der Aufmacher des Tages ist. Da alle großen Sender für die Hauptnachrichten eine Stunde verwenden statt, wie in Deutschland, die News auf eine Viertelstunde zu komprimieren, hat Erdogan reichlich Sendezeit für seine Botschaften. Es hilft auch nicht, den Kanal zu wechseln, denn auf den anderen Sendern redet ebenfalls Erdogan.

Wenn Erdogans Auftritt zu Ende ist, folgt in der Regel sein Ministerpräsident Binali Yilderim und danach einer seiner Minister. Von diesem Schema wird nur dann abgewichen, wenn es irgendwo im Land einen schweren Anschlag gegeben hat oder die Armee einen ihrer „Erfolge” in Syrien erzielt hat. Dann redet Erdogan am kommenden Tag darüber.

Was dagegen nicht vorkommt, ist eine möglichst neutrale Darstellung des innen- und außenpolitischen Geschehens. Alles wird grundsätzlich nur aus der Sicht der Regierung dargestellt. Beispielsweise in Sachen EU. Wenn Erdogan einmal den Ton vorgegeben hat, wird die EU in allen Berichten als heuchlerische Bande charakterisiert, die das türkische Volk verachtet und seit Jahrzehnten belügt. Der Unterschied zwischen den Sendern besteht nur noch darin, dass die früheren kritischen und auch nach internationalen Maßstäben professionell arbeitenden Sender CNN-Türk und NTV gelegentlich noch einmal Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP zu Wort kommen lassen, während bei den anderen Sendern Kilicdaroglu nur noch dann vorkommt, wenn er von Erdogan angegriffen und verleumdet wird.

Für den größten Teil der türkischen Bevölkerung ist das Fernsehen nach wie vor die wichtigste Informa­tionsquelle. Während früher lediglich der Staatssender TRT als Regierungssprachrohr funktionierte, hat es Erdogan in den letzten Jahren geschafft, das Fernsehen völlig unter seine Kontrolle zu bringen. Bei den großen Kanälen ist das bereits seit seinem dritten Wahlsieg 2011 der Fall. Ermöglicht wurde ihm das dadurch, dass die großen Kanäle – wie übrigens auch die großen Zeitungen – alle nur Bestandteile übergeordneter größerer Wirtschaftsholdings sind, die ihr Geld mit Immobilien, Banken, Bau oder Tourismus machen und dabei dann besonders gut verdienen können, wenn sie an lukrative Staatsaufträge herankommen. Die gibt es aber nur bei guten Beziehungen zum großen Vorsitzenden. Großunternehmen, die nicht kooperieren wollten, bekamen es mit der Steuerfahndung und dem Staatsanwalt zu tun.

Das Paradebeispiel dafür ist der auch in Deutschland als der Herausgeber von Hürriyet bekannte Dogan Konzern. Der Konflikt begann, als Erdogan nach seinem Wahlerfolg 2007 systematisch anfing, die säkulare kemalistische Führungsschicht in der Armee, der Bürokratie und der Wirtschaft anzugreifen. Aydin Dogan, der Patriarch des Dogan Konzerns, ist Teil dieser alten Führungsschicht und Hürriyet war bis dahin der öffentliche Inbegriff der säkularen kemalistischen Republik. Als Erdogan die ersten hohen Offiziere verhaften ließ, weil sie angeblich einen Putsch gegen ihn planten, ging Hürriyet gegen Erdogan in die Offensive. Das Blatt griff dazu einen Prozess in Deutschland groß auf, in dem eine islamische Organisation, die Spenden für wohltätige Zwecke in der Türkei sammelte, angeklagt war, Gelder für die AKP-Parteiarbeit zweckentfremdet zu haben. Mehrere Leute wurden verurteilt.

Angebliche Steuerschuld

Erdogan war erbost und griff Aydin Dogan direkt an. Als dieser nicht nachgeben wollte, nahm sich die Steuerfahndung den Dogan Konzern vor. Das Ergebnis war, verteilt über mehrere Etappen, eine angebliche Steuerschuld von über einer Milliarde Dollar, was damals ungefähr dem gesamten Börsenwert des Dogan Konzerns entsprach. Um nicht komplett enteignet zu werden, legte der Dogan Konzern den Rückwärtsgang ein. Die Berichterstattung über mögliche Korruption innerhalb der AKP verschwand und mit ihr die ersten Journalist_innen, die als besonders AKP-kritisch galten. Auch der Chefredakteur, Ertugrul Özkök, ein Freund von Bild-Chef Kai Diekmann, musste gehen. Diekmann saß damals noch im Aufsichtsrat der Dogan Mediensparte, weil Springer davon 10 Prozent gekauft hatte. Vor einigen Monaten hat Springer angekündigt, diese Anteile verkaufen zu wollen.

Mit Hürriyet ging es seitdem kontinuierlich abwärts. Die Zeitung ist mittlerweile nur noch ein Schatten ihrer selbst. Obwohl mit einer Auflage von rund 350.000 Exemplaren immer noch die meistverkaufte Tageszeitung der Türkei, trauen sich die Hürriyet-Kolleg_innen heute nur noch minimale Abweichungen von der Linie der offiziellen Regierungszeitungen zu. Direkt in der Redaktion sitzt mittlerweile ein AKP-Aufpasser. Alle anderen großen Zeitungen heißen Pool-Zeitungen, weil ihre Besitzer allesamt zu einem Erdogan-Freundeskreis gehören und in einigen Fällen erst von Erdogan dazu aufgefordert worden waren, ihre Zeitung von einem eher Erdogan-kritischen Unternehmer aufzukaufen, den die Steuerfahndung zuvor weichgekocht hatte.

Diese nahezu hundertprozentige Medienkontrolle gab es Anfang dieses Jahres noch nicht. Bis zum März 2016 existierten noch die Zeitungen und TV-Sender der Gülen-Be­wegung, einer islamischen Sekte, die sich 2012 mit Erdogan zerstritten hatte, und die seitdem einen kompletten Richtungswechsel voll­zogen hat: von Erdogan-Unterstützern zu scharfen Erdogan-Kritikern. Wenn auch mit fraglicher Motivation deckten Zaman und die englischsprachige Zaman Today etliche Ungereimtheiten der Erdogan-Regierung auf, vor allem einen großen Korruptionsfall in seiner unmittelbaren Umgebung Ende 2013. Ende März ließ Erdogan dann die Zeitungen und TV-Sender, die zur Gülen-Bewegung gehörten, unter staatliche Zwangsverwaltung stellen, woraufhin sie wieder völlig auf Erdogan-Kurs gedreht wurden und mittlerweile ganz verschwunden sind.

Übrig blieben danach noch die linksliberale Cumhuriyet mit dem damaligen Chefredakteur Can Dündar, die kleineren linken Blätter Birgün und Evrensel und einige prokurdische Publikationen wie Özgür Gündem und Firat Haber, die alle in scharfem Widerspruch zu Erdogan stehen, aber nur ein sehr begrenztes Publikum erreichen. Dazu kam IMC-TV als letzter kritischer Fernsehsender. Gegen diesen letzten Rest freier Medien richtet sich die Repression Erdogans seit dem Putschversuch am 15. Juli und dem anschließend verhängten Ausnahmezustand.

Willkürliche Vorwürfe

Seitdem ging es dann Schlag auf Schlag. Zunächst wurden etliche Journalisten verhaftet, die zuvor für Gülen-Medien geschrieben oder aber in der Redaktion einer der Zeitungen oder TV-Sender gearbeitet hatten. Von den Kolleg_innen, die unter diesem Vorwurf verhaftet wurden – es sind um die 50 Personen – sind nach wie vor alle in Haft. Der Vorwurf: Unterstützung der „terroristischen” Gülen-Bewegung „FETÖ”.

Im August kam dann bereits die zweite Welle. Dieses Mal ging es gegen Kolleg_innen, die für prokurdische Medien arbeiten. Zunächst wurde die prokurdische Tageszeitung Özgür Gündem geschlossen und der größte Teil der Redaktion verhaftet. Doch es blieb nicht auf die Redaktion beschränkt. Özgür Gündem, die seit langem unter massiven Repressionsmaßnahmen leidet, hatte in den Monaten zuvor eine Kampagne gestartet, bei der jeweils für einen Tag bekannte linke Journalist_innen pro Forma die Chefredak­tion übernommen hatten. Viele der Kolleg­_innen, die sich an dieser Solidaritätsaktion beteiligten, wurden nun auch verhaftet. Unter ihnen auch die in Deutschland bekannte Schriftstellerin und Kolumnistin Asli Erdogan. Alle diese Kolleg_innen sind nach wie vor in Haft. Der Vorwurf: Unterstützung der „terroristischen” PKK.

Ende Oktober traf es dann das wichtigste linksliberale Blatt Cumhuriyet. Sie ist die älteste Zeitung der Türkei. Übersetzt heißt ihr Name „Republik” und sie ist auch das Traditionsblatt der türkischen säkularen Republik. Die Zeitung steht der oppositionellen sozialdemo­kratisch-kemalistischen CHP nahe. Als die Polizei am 31. Oktober den Chefredakteur und 13 weitere Mit­arbeiter_innen der Redaktion und des Verlages festnahm, weilte ihr früherer Chefredakteur Can Dündar bereits seit einigen Monaten in Deutschland. Can Dündar und der Leiter des Ankara-Büros der Zeitung, Erdem Gül, waren im Frühjahr zu fünf bzw. sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil sie einen ­illegalen Waffentransport des türkischen Geheimdienstes an syrische Islamisten aufgedeckt hatten. Erdogan persönlich drohte Can Dündar, er werde dafür bezahlen. Als kurz darauf ein Attentat auf Dündar verübt wurde, beschloss dieser, das Land für einige Zeit zu verlassen. Auch die Kolleg_innen von Cumhuriyet sitzen nach wie vor in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Unterstützung der „terroristischen” Gülen-Organisation und der „terroristischen” PKK.

Die Vorwürfe sind willkürlich und völlig abwegig und jeder weiß das. Es geht lediglich darum, eine kritische Stimme, die nicht wie andere durch ökonomischen Druck zum Schweigen gebracht werden konnte, per Polizeigewalt auszuschalten. Jeder Journalist und jede Journalistin in der Türkei, die jetzt noch kritisch über die Regierung berichten, wissen, dass sie mit einem Bein im Gefängnis stehen. Das letzte Beispiel dafür ist die kurdische Lokaljournalistin Hatice Kamer aus Diyarbakir. Hatice Kamer war von Diyarbakir aus in eine Kleinstadt nahe der irakischen Grenze gefahren, wo sich in einer Kupfermine ein Unglück ereignet hatte. Weil die Regierungsmedien den Vorfall herunterspielten, wollte sie vor Ort mit den Angehörigen der Verunglückten und den überlebenden Bergarbeitern reden. Noch bevor sie dazu kam, wurde sie festgenommen. Hatice Kamer hatte Glück im Unglück. Die britische BBC, der deutsche WDR und die amerikanische Voice of America, für die sie jeweils berichtete, machten so viel Druck, dass Hatice Kamer wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Trotzdem muss sie wohl mit einer Anklage rechnen. Der Vorwurf: Unterstützung der „terroristischen” PKK.

Kritik an EU

Insgesamt sitzen zurzeit rund 140 Journalistinnen und Journalisten in der Türkei im Gefängnis. Auf Kritik aus der EU reagiert Präsident Erdogan mit dem Vorwurf, die EU sei doch längst selbst zu einem sicheren Hafen für Terroristen geworden. Damit meint er unter anderem, dass einige Journalist_innen rechtzeitig vor ihrer Verhaftung nach Deutschland oder in ein anderes EU-Land flüchten konnten, wo ­ihnen nun Schutz gewährt wird. Eine Besserung der Situation in der Türkei in erst einmal nicht in Sicht.

 

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