Kuba: Kritische Künstler*innen und Journalist*innen im Hausarrest
Clasificador Nacional de Actividades Económicas (CNAE), Register für ökonomische Aktivitäten, heißt die Liste mit 2110 Tätigkeiten, die in Kuba seit dem 5. Februar für die freiberufliche Arbeit erlaubt sind. Eine Reform mit revolutionärem Potenzial, denn bislang durften nur 127 Berufe selbständig ausgeübt werden. Auf der vier Tage später erschienenen Verbotsliste sind jedoch jedwede freiberufliche Presse-Arbeit sowie etliche Berufe in der unabhängigen Kunstszene der Insel aufgeführt.
Quasi über Nacht haben sich die Verhältnisse gedreht. „Jetzt können die Kubaner, die sich selbständig machen wollen, aus mehr als 2.000 Berufen wählen“, erklärte Arbeitsministerin Marta Elena Feitó Cabrera bei der Vorstellung der Verordnung im Fernsehen. Die Neuregelung solle der stagnierenden Inselökonomie neue Dynamik einhauchen. 124 Aktivitäten seien fortan ganz oder teilweise ausgenommen, so Feitó Cabrera. Weder Zeitungen noch Magazine dürfen erstellt, noch Nachrichtenagenturen gegründet werden. Freiberufliche journalistische Tätigkeit ist generell verboten. De facto ist die Berichterstattung allein dem Staat vorbehalten. Für Iván García kommt das nicht gerade überraschend. Der 53-jährige Korrespondent für die in Miami erscheinende Tageszeitung Diario Las Amerícas hat Mitte der 1990er Jahre bei Kubas erster unabhängiger Presseagentur „Cuba Press“ angefangen. „Damals waren wir illegal. Als die Regierung 2003 Dutzende von Journalist*innen festnahm, aburteilte und ins Gefängnis steckte, waren wir ebenfalls illegal und heute sind wir es auch. Der steigende Druck auf unabhängige Journalist*innen in den letzten Monaten hat das bestätigt“, so García. Mehrere Artikel, die die Finanzierung von Online-Medien wie El Estornudo oder Yucabyte in Kuba anprangerten und ihnen Berichterstattung im Dienste von CIA und Co. unterstellten, sind dafür ein Beispiel. Ignoriert werden dabei Inhalte wie Umweltkatastrophen im Kontext des Nickelbergbaus oder die alltägliche Diskriminierung von Aktivisten der LGBTI-Bewegung auf der Insel.
„In Kuba gibt es nur ein mit uns oder ein gegen uns“, kritisiert die Journalistin Camila Acosta ihre Wahrnehmung des medialen Feldzugs gegen die unabhängigen Redaktionen in staatlichen Medien wie Granma oder CubaDebate. Acosta, an der Universität Havanna ausgebildet, arbeitet für das aus den USA finanzierte Nachrichtenportal Cubanet und engagiert sich auch im Bereich des unabhängigen Kunstbetriebs auf der Insel.
Sie gehört zur Künstlergruppe „27N“, die sich am 27. November gründete. „Zwischen fünfhundert und achthundert Künstler*innen haben damals vor dem Kulturministerium protestiert – gegen Polizeigewalt, Repression und für freie Kunst. Das hatte es noch nie gegeben“, erinnert sich die Schauspielerin und Theaterdramaturgin Lynn Cruz. Auslöser für die Solidarität unter Künstlern war die gewalttätige Räumung des Sitzes der „Movimiento San Isidro“ (MSI), einer seit Juli 2018 existierenden Bewegung kritischer Künstler*innen, die für das Recht auf freie Kunst eintritt. Seit Mitte November protestierte die Gruppe gegen die Verurteilung des kritischen Rappers Denis Solís zu einer achtmonatigen Gefängnisstrafe wegen Beamtenbeleidigung. Mehrere Aktivist*innen der Gruppe waren in einen Hungerstreik getreten. Das sorgte für Aufsehen und hatte die Räumung zur Folge, die zu einem offenen Konflikt zwischen Ministerium und der kritischen Kunstszene führte.
Zwischen dem 27. November und dem 15. Februar hat Iris Ruiz, Künstlerin der Performance-Truppe „Omni Zona Franca“ an über 40 Tagen ihre Wohnung im Stadtteil Alamar nicht verlassen können. „Einmal wurde uns das Verlassen der Wohnung sogar von der Polizei verweigert, obwohl wir ein krankes Kind zum Arzt bringen wollten“, klagt die langjährige Aktivistin für freie Kunst. Auch ihr Internetzugang und das Telefon waren zwischenzeitlich blockiert. Dagegen ist die Interamerikanische Menschenrechtskommission eingeschritten und hat Anfang Februar Maßnahmen zum Schutz für rund zwanzig Aktivisten der MSI beim kubanischen Staat eingefordert. Seitdem sind die Polizeiwagen vor dem Haus in Alamar zwar weg, so Ruiz, doch damit sei der Konflikt nicht beigelegt. Das beweist auch die neue Verordnung aus dem Arbeitsministerium.
Für Selbstständige ist die Nutzung von Galerien, alternativen Kunstzentren, Kinosälen, Casting-Agenturen genauso verboten wie Aufnahmestudios für Musik und Film sowie die Durchführung von Kulturevents. All das sind jedoch Aktivitäten, die in Kuba seit Mitte der 1990er Jahre existierten. Sie nun per Federstrich zu verbieten, könnte den ohnehin schwelenden Konflikt mit den kritischen Künstler*innen weiter aufheizen. Anfang Februar ging eine Petition mit dem Ziel den Kulturminister Alpidio Alonso Grau zu entlassen beim kubanischen Parlament ein. Dem Minister werden unter anderem Handgreiflichkeiten gegen Künstler*innen und Journalist*innen vorgeworfen, was Handy-Videos beweisen. Dabei habe er Mauricio Mendoza vom Diario de Cuba das Handy entwendet, so Zeugen. Die Petition haben 1.200 Menschen unterzeichnet – vom Parlament wurde sie mit Verweis auf Formalien Anfang März abgelehnt.