Bewährungsstrafe für türkeikritische Journalistin

Der „Fall Ünlü“: Gericht verhängte 3jähriges Aufenthaltsverbot für Paris

Die Urteilsverkündung im Verhandlungssaal der 14. Kammer des Größen Pariser Strafgerichtes dauerte nur knapp 15 Minuten. Mit monotoner Simme und nahezu ohne Differenzierung aller Anklagepunkte verkündete die Vorsitzende Richterin Jacqueline Rebeyrotte die Urteile gegen 10 türkische Angeklagte und die deutsche Journalistin Ursula Ünlü: „Schuldig im Sinne der Anklage“. Wegen angeblicher Mitgliedschaft zu einer kriminellen Vereinigung und wegen des unbewiesenen Vorwurfs der „Vorbereitung von terroristischen Aktionen“ wurde Ünlü, die unter anderem Mitarbeiterin der medienagentur für menschenrechte ist, zu zwei Jahren Haft mit fünfjähriger Bewährungszeit verurteilt. Außerdem erhielt sie ein dreijähriges Aufenthaltsverbot für die Region Paris. Sechs mitangeklagte türkische Staatsbürger erhielten ebenfalls Haftstrafen, von denen zwei zur Bewährung ausgesetzt wurden, vier Angeklagte wurden in Abwesenheit verurteilt. Alle Angeklagten sympathisieren mit der prokommunistischen türkischen Volksbewegung DHKC, die in der Türkei massiver Verfolgung ausgesetzt ist. Ursula Ünlü nach dem Urteil: „Ein gnadenloser Gesinnungsprozeß, der eindeutig auf den Druck Ankaras hin zustande gekommen ist.“

Keineswegs erleichtert war die Kollegin nach dem Urteilsspruch, allenfalls froh darüber, daß der enorme psychische Druck der letzten Wochen und Monate jetzt ein Ende hatte. Denn mit dem Verfahren ging vorerst ein Prozeß zuende, auf den Ursula Ünlü und die übrigen Mitangeklagten seit 17 Monaten gewartet hatten. Die Journalistin und türkeikritische Menschenrechtlerin war am 11. September 1995 am französisch-belgischen Grenzübergang Valencienne in Begleitung von 3 türkischen Asylbewerbern festgenommen worden. Ünlü befand sich auf dem Weg nach Brüssel, wo sie eine aus Rechtsanwälten bestehende Menschenrechtsdelegation für die Türkei zusammenstellen wollte. Nach vier Tagen wurde sie per Haftverschonung freigelassen, allerdings mit drastischen Auflagen: sie durfte Paris nicht mehr verlassen, ihre beiden in Deutschland lebenden Kinder (10, 11 Jahre alt) nicht mehr besuchen, durfte ihren Beruf nicht mehr ausüben und erhielt keine Sozialhilfe. Bald waren auch die Ersparnisse aufgebraucht und fortan war die Journalistin auf Spenden angewiesen. Bekannte stellten ihr in Paris ein Zimmer zur Verfügung, sie mußte sich regelmäßig bei der Polizei melden (siehe Bericht in „M“ 5, 7/96).

Während die französischen Untersuchungsbehörden nach Abschluß der Ermittlungen zunächst das Höchstmaß von 10 Jahren Haft für Ünlü und alle Mitangeklagten verlangt hatten, reduzierte die Staatsanwaltschaft ihre Forderung in einer dreitägigen Verhandlung Mitte Januar auf drei Jahre. In dem Verfahren waren für die Schuld der Angeklagten keinerlei Beweise vorgelegt worden, nach rechtsstaatlichem Empfinden deutscher Prozeßbeobachter ein skandalöser Vorgang.

Im Anschluß an das Verfahren im Januar hatte es zahlreiche Proteste gegen das geforderte Strafmaß von 3 Jahren gegen Ünlü gegeben. Auch der Hauptvorstand der IG Medien, der Ursula Ünlü angehört, setzte sich für die Kollegin ein und gewährte Rechtsschutz. „Beenden Sie diesen für einen demokratischen Rechtsstaat unwürdigen Zustand“, schrieb der Bundesgeschäftsführer der Fachgruppe Journalismus, Rudi Munz, an die Pariser Strafkammer. Unterdessen hatte die Deutsche Botschaft in Paris der Journalistin einen zweiten Paß ausgestellt, nachdem ihr der erste im Zuge der Festnahme abgenommen worden war. „Es liegt nichts gegen Frau Ünlü vor“, sagte ein Vertreter der Botschaft auf Anfrage.

 

 

Weitere aktuelle Beiträge

Vernetzte Frauen im Journalismus

Sich als Frau in einer Branche behaupten müssen, in der Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein entscheidende Faktoren sind: Für Generationen von Journalistinnen eine zusätzliche Belastung im ohnehin schon von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Beruf. Angesichts dieser Herausforderung sind Netzwerke und solidarische Bündnisse von großer Bedeutung. Der Journalistinnenbund (JB) hatte hierbei seit seiner Gründung im Jahr 1987 eine Vorreiterrolle inne. Sein Anliegen: Geschlechtergleichstellung in den Medien erreichen.
mehr »

In den eigenen Räumen etwas bewegen

Stine Eckert forscht zu Geschlechterkonstruktionen in den Medien am Institut für Kommunikationswissenschaft an der Wayne State University in Detroit. Ihr Buch „We can do better“ versammelt  „feministische Manifeste für Medien und Kommunikation“. Mit Ulrike Wagener sprach sie für M über die Verbindung zwischen Universitäten und Aktivismus und die Frage, wo Medien und Medienschaffende etwas verändern können.
mehr »

Smart-Genossenschaft für Selbstständige

Smart klingt nicht nur schlau, sondern ist es auch. Die solidarökonomische Genossenschaft mit Sitz in Berlin hat seit ihrer Gründung im Jahr 2015 vielen selbstständig Tätigen eine bessere und stärkere soziale Absicherung verschafft – genau der Bereich, der bei aller Flexibilität und Selbstbestimmtheit, die das selbstständige Arbeiten mit sich bringt, viel zu oft hinten runterfällt.
mehr »

Medienkompetenz: Von Finnland lernen

Finnland ist besonders gut darin, seine Bevölkerung gegen Desinformation und Fake News zu wappnen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Schulen, aber die Strategie des Landes geht weit über den Unterricht hinaus. Denn Medienbildung ist in Finnland eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auf vielen Ebenen in den Alltag integriert ist und alle Altersgruppen anspricht. Politiker*innen in Deutschland fordern, sich daran ein Beispiel zu nehmen. Kann das gelingen?
mehr »