Blut auf dem Boden

Afrika-Redakteur der „taz“ von ivorischen Sicherheitsdiensten verhaftet

Abidjan, die Hauptstadt der Elfenbeinküste, am Ende der Regenzeit vergangenen Jahres: Die westafrikanische drei Millionen Menschen-Metropole ist im Ausnahmezustand. Ab 21 Uhr darf niemand ohne Berechtigungsschein auf die Straße, vereinzelt patrouillieren Militärstreifen.

„Rein äußerlich hatte sich Abidjan kaum verändert“, sagt Dominic Johnson, der 1995 das erste Mal in Abidjan recherchierte. „Was auffiel, war, dass die Bettler von der Straße verschwunden waren. Die werden sich kaum in Luft aufgelöst haben, sondern sind wohl aus dem Stadtzentrum vertrieben worden.“ Johnson (36), seit zwölf Jahren Afrika-Redakteur der „tageszeitung“ aus Berlin, ist nach einer Journalisten-Reise mit dem Deutschen Entwicklungsdienst durch das benachbarte Burkina Faso an die Elfenbeinküste geflogen, um die Auswirkungen des ivorischen Bürgerkrieges zu recherchieren. Mitte September hatte ein erheblicher Teil des Militärs weite Teile des Nordens besetzt und Staatschef Laurent Gbagbo aufgefordert zurückzutreten. Seitdem herrscht Krieg in der Elfenbeinküste.

Die Staatskrise hat erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Region. In die Elfenbeinküste, dem weltweit größten Kakaoproduzenten, sind in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Millionen Arbeitssuchende eingewandert, allein aus Burkina Faso sollen es mehr als drei Millionen sein. Doch aus dem einst freundschaftlichen Miteinander der verschiedenen westafrikanischen Ethnien ist längst ein fremdenfeindliches Gegeneinander unter der Überschrift „Ivorité“ geworden – ein Synonym für den um sich greifenden Nationalchauvinismus, wonach nur der ein guter Ivorer ist, dessen Familie hier schon immer lebt. Gut nachzuspüren ist dies in Abidjan in den Elendsvierteln, zum Beispiel in dem Quartier hinter dem reichen Stadtteil Sococe. An einem Abhang nur wenige Meter hinter dem französisch anmutenden Reichen-Viertel leben 3.000 Menschen zwischen Trümmern aus Holz und Wellblech, Mauerresten und Müll. Auf den Tipp einer UN-Organisation hin recherchiert Dominic Johnson hier Übergriffe auf die Slumbewohner. Erst wenige Tage vor seinem Eintreffen hatte die Polizei mit Bulldozern einen Teil des Viertels platt gewalzt. „Es war wie in einer Mondlandschaft“, sagt der „taz“-Redakteur. „Die Reste der Häuser lagen herum. Aber die Menschen wollten reden. Sie gaben mir ihre Namen und ihr Geburtsdatum. Sie wollten nicht mehr anonym bleiben.“

Johnson hört die Geschichten von den Nachbarn, die auf einmal verschwunden sind, von den Polizisten, die mit ihren Gewaltaktionen eigentlich nur eins wollen: Abkassieren in Kriegszeiten. Denn wer 20.000 CFA-Francs, umgerechnet 30 Euro, auf den Tisch legt, bleibt zunächst verschont. Togolesen, Burkinabé, Ghanaer, Liberianer erzählen dem ausländischen Journalisten ihre Geschichte, bis die Täter schließlich selbst auftauchen und Dominic Johnson verhaften.

In der Brigade de Cocody, dem örtlichen Polizeirevier, trifft er auf einen ivorischen Kollegen von der Oppositionszeitung „Le Patriote“, der ebenfalls über plötzlich verschwundene Menschen recherchiert hat. Er ist umringt von Polizisten, die ihn beschimpfen und blutet aus dem Gesäß. „Der schmutzig-graue Kachelboden hatte sich schon rot färbt“, so Dominic Johnson. Er kann keinen Kontakt zu ihm aufnehmen, erfährt aber, dass der Kollege eine Liste von „Verschwundenen“ zusammengestellt hat. Jetzt checken die Polizisten dessen Handy, sie bringen ihn in ein Nebenzimmer und verhören ihn: laut und zornig.

Der ausländische Journalist wird zunächst korrekt behandelt, doch ab sofort steht er unter Beobachtung und verbringt die nächsten Tage weitgehend zwischen der Brigade de Cocody und dem Kommunikationsministerium. Er solle sich eine Akkreditierung besorgen, bedeuten ihm die Polizisten. Eine neue Vorschrift. „Die Akkreditierung hätte ich allerdings nur bekommen, wenn ich in der Bundesrepublik die entsprechenden schriftlichen Anträge gestellt hätte.“ So wird es bis zum Abflug nichts damit. Im Flugzeug wenige Tage später ist der Spuk vorbei, die Angst lässt nach. Bei seinem dritten Aufenthalt in der Brigade de Cocody hatte ihm ein Polizist die gleiche Misshandlung wie die des ivorischen Kollegen angedroht: „Er fasste sich mit der Hand an die Gurgel und sagte: „Du Hund. Wir machen mit Dir dasselbe wie mit dem anderen“, sagt Dominic Johnson.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nachrichten gegen Desinformation

Über 800 Medien wie Reuters, die Washington Post, Zeit Online und AFP unterstützten den diesjährigen World News Day, der zeitgleich mit dem UN-Tag für den universellen Zugang zu Information, am 28. September gefeiert wird.  „Journalismus ist das Sicherheitsnetz unserer Gesellschaft, sagte David Walmsley, Gründer des Weltnachrichtentages und Chefredakteur der kanadischen Zeitung Globe and Mail. Dieses Sicherheitsnetz hat Risse und hängt fast überall in der Welt am seidenen Faden - und mit ihm alle freien Gesellschaften. Deshalb schlägt Walmsley Alarm. Unterstützt wird er vom Weltverband der Nachrichtenmedien (WAN-IFRA), dem World Editors Forum, der Canadian Journalism…
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »

Schwierige Neuanfänge für Exiljournalisten

Für Journalist*innen im Exil ist es schwer, in ihrem Beruf zu arbeiten. Gerade wenn sie aus Ländern kommen, die wenig im Fokus des öffentlichen Interesses stehen. „Ich gehöre zu den Privilegierten“, sagt Omid Rezaee im Gespräch mit M. Der heute 34-jährige ist 2012 aus dem Iran geflohen, weil er dort wegen seiner Berichterstattung verfolgt wurde.Um einer Gefängnisstrafe zu entgehen, floh er zuerst in den Irak und dann nach Deutschland. Hier lebt er seit neun Jahren und arbeitet als Journalist.
mehr »