Blutige Spuren

3. Mai Tag der Pressefreiheit – in vielen Ländern noch Utopie

Sie wiesen sich als Journalisten aus und hatten sich bei den örtlichen Behörden angemeldet. Trotzdem wurden sie verhaftet und geschlagen, als sie Photos von der Demonstration im russischen Nischni Nowgorod schossen. Doch der Ausgang der Geschichte von Jelle Brandt Corstius und Remco Reiding, den beiden holländischen Korrespondenten, war vergleichsweise glimpflich: Nach eineinhalb Stunden wurden sie am 24. März 2007 wieder frei gelassen. Manche andere Kolleginnen und Kol­legen auf der Welt müssen den Einsatz im Beruf sogar mit dem Leben bezahlen.

155 getötete Vertreter der Medien meldete die Internationale Journalisten-Föderation als Bilanz des letzten Jahres. Auf 871 Festnahmen und 82 Tote kam Reporter ohne Grenzen. Die Organisation brachte es in ihrer Bewertung auf den Punkt: „Jenseits dieser Zahlen zeichnet sich ein Mangel an Interesse und zuweilen auch ein Ver­sagen demokratischer Staaten ab, uneingeschränkt für Presse- und Meinungsfreiheit einzutreten“. So ist die Arbeit als Journalistin oder Journalist heute in vielen Ländern nicht weit entfernt von einem Himmelfahrtskommando. Pressefreiheit? Für viele Kolleginnen und Kollegen ist das eine Utopie.

Blutig ist die Spur der Verfolgung und Rache an kritischen Journalistinnen und Journalisten. 2006 starben 69 im Irak, 13 auf den Philippinen, zehn in Mexiko. Weltweit Aufsehen erregte der Fall der Reporterin Anna Politkowskaja von der russischen Nowaja Gazeta, die am 7. Oktober 2006 in ihrem Wohnhaus in Moskau erschossen wurde. Aber die Opfer stammten nicht nur aus als „gefährlich“ geltenden Ländern. Am 6. Januar 2006 lauerten Unbekannte dem Korrespondenten Prahlad Goala von der indischen Zeitung Asomiya Khabar auf dem Heimweg auf und töteten ihn; er hatte von illegalen Baumfällaktionen in einem Waldschutzgebiet berichtet.
Es traf auch Kollegen aus der Technik. Am 8. August 2006 drangen bewaffnete Männer in die Druckerei der Zeitung Kaieteur News in einem Vorort der guayanischen Hauptstadt Georgetown ein und ­erschossen die Arbeiter Mark Maikoo, Chitram Persaud, Eon Wigman, Richard Stuart und Shazim Mohamed. Die Zeitung hatte über die schlechten Bedingungen in den Gefängnissen des Landes und kritisch über die bevorstehenden Wahlen berichtet.
Pressefreiheit auf dem Papier, nach dem Gesetz, ist noch lange nicht identisch mit Pressefreiheit in der Realität. Materielle Sicherheit ist eine weitere Voraussetzung. Begegnungen machen das deutlich. Zum Beispiel mit der fest angestellten Kollegin Olga aus einer polnischen Stadt, die von ihrem Dumping-­Gehalt nicht leben kann. Sie ist darauf angewiesen, von ihrem Chefredakteur Themen zugewiesen zu bekommen, für die sie eine Extra-Prämie erhält. Natürlich weiß sie, was dem Chefredakteur gefällt, und sie richtet sich danach. Denn sie braucht weitere solche Aufträge, um zu leben.
Ein Glück, dass wir in Deutschland arbeiten – hier gibt es kaum Fälle von Gewalt gegen Journalistinnen und Journalis­ten, und wir verdienen ordentlich. Es war allerdings eine beklemmende persönliche Erfahrung in fast 30jähriger Tätigkeit als Wirtschaftsjournalist, in zwei Fällen Morddrohungen erhalten zu haben: „Wenn Sie das schreiben …“. Zur Schreibtischroutine gehört das nicht. Die Einschüchterungsversuche kamen nicht von einer Staatsgewalt, sondern von ganz „einfachen“ Wirtschaftskriminellen, denen die Recherchen galten. Sind wir hier also wirklich alle frei in der Berichterstattung? Die Gesetz­gebung in Deutschland lässt Spielräume wie in vielen anderen Ländern eben nicht zu. Doch eine Grenze für die Freiheit ist oft in den eigenen Köpfen gezogen. Nach wie vor gilt, was Kurt Tucholsky 1932 schrieb: „Die Interessen der Verleger sind mannigfaltig; am Redakteur hat er nur eines: dass der ihm keine ‚Unannehmlichkeiten‘ mache“.
In Zeiten, in denen aus Gründen der Kostenersparnis der Rotstift immer häufiger an den Stellenplänen für die fest Angestellten und an den Honorarbudgets für die freien Journalisten und Journalistinnen ansetzt, und die Angst vor dem Verlust des Jobs in vielen Redaktionen grassiert, sind die Scheren im Kopf geschärft, um eben jene „Unannehmlichkeiten“ zu vermeiden. Tucholsky schrieb über Verlogenheit: „Der Unternehmer hat eben, wie das oft vorkommt, die Philosophie seines Geldes. Dem Redakteur wird zugemutet, die Philosophie eines Geldes zu haben, das er niemals verdient“.
Und dann ist da in Deutschland immer noch jenes Relikt aus dem vorigen Jahrhundert, das Tendenzschutz heißt und – natürlich – interne Pressfreiheit hemmt. Es gehört in die Mottenkiste, ist ein Kuriosum in Europa. Kollegen und Kolleginnen jenseits der Grenzen lässt sich diese deutsche Besonderheit schwer erklären. Auch dickere englische Wörterbücher geben keine Übersetzung her. Der Begriff „Redaktionsstatute“ lässt sich besser in ­andere Sprachen übertragen. Sollte man die Forderung nach ihnen nicht lieber aus der Schublade kramen? Vielleicht käme Deutschland dann in Sachen Pressefreiheit voran. Nach der letzten Statistik von Reporter ohne Grenzen zur Pressefreiheit liegt Deutschland nämlich erst auf Platz 23. Abgeschlagen hinter Ländern wie ­Slowenien, Bolivien oder Trinidad und Tobago. Eigentlich peinlich …

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