Bolivien: Dünne Luft für kritische Medien

Franz Chávez von der Nationalen Pressevereinigung Boliviens kritisierte in den letzten Wochen immer wieder Angriffe der Regierung auf die Tageszeitung „El Diario“.
Foto: Knut Henkel

Reporter ohne Grenzen sehen die Situation für Journalisten in Bolivien als sehr schwierig an und haben das Land im Ranking auf Platz 113 von 180 eingeordnet. Das hat Ursachen. Die wichtigste, sagen Kritiker, sei die Einflussnahme der Regierung. Im Kontext der Präsidentschaftswahlen, der Vorwürfe von Wahlbetrug und zunehmender Gewalt haben Journalistenvereinigungen Respekt eingefordert und zu Gewaltverzicht aufgerufen.

Raúl Peñaranda ist fassungslos. „Ich habe keine Ahnung, wie sich die Situation beruhigen lässt – ich hatte auf einen friedlichen politischen Wechsel gehofft. Das Gegenteil ist eingetreten“, so der Journalist. Peñaranda hat 2010 die unabhängige, kritische Tageszeitung „Pagina Siete“ gegründet und ist heute Redaktionsleiter des Onlineportals „Brújula Digital“.

„Wir sind eine kleine Mannschaft, unter dem Dach einer bolivianischen Nichtregierungsorganisation untergekommen und seit einem Jahr online. Gerade konnten wir die ersten Anzeigenkunden gewinnen. Das war ein hartes Stück Arbeit“, sagt der 53-Jährige. Private Unternehmen tun sich schwer, dort Anzeigen zu schalten, wo unabhängig und kritisch berichtet wird. „Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, wo das negative Folgen für die Unternehmen hatte. Meist tauchen dann die Steuerbehörden auf“, sagt Peñaranda mit vielsagendem Lächeln. Er kennt die Kniffe, mit denen sich die Regierung die Medien des Landes gefügig macht, er hat darüber ein vielbeachtetes Buch geschrieben: „Control Remote“ – Fernsteuerung – war in Bolivien ein Bestseller.

Zentraler Ansatzpunkt für die bolivianische Regierung ist genau das Anzeigengeschäft. „Das ist für die bolivianischen Medien extrem wichtig, denn der Staat ist der wichtigste Kunde“, so Peñaranda. Rund einhundert Millionen US-Dollar werden laut seinen Recherchen in Medienkampagnen, Anzeigen und Co. gesteckt. Für ein kleines Land wie Bolivien eine enorme Summe, so der Journalist.

Angefeindet als Spion des Nachbarlandes

Solche Enthüllungen waren es, die der Regierung seit 2012 als Aufhänger dienen, gegen die kritische Berichterstattung von „Pagina Siete“ vorzugehen. Damals begann ein regelrechtes Kesseltreiben gegen den Chefredakteur der viel gelesenen unabhängigen Tageszeitung. „Ich wurde übel diffamiert, als Spion der chilenischen Regierung, gar als Anhänger Pinochets bezeichnet. Und das nur, weil meine Mutter Chilenin ist und weil ‚Pagina Siete‘ kritisch und fundiert berichtet hat“, erinnert sich Peñaranda. Die andere große Tageszeitung von La Paz, „La Razón“, war da von der Regierung über einen venezolanischen Strohmann bereits aufgekauft.

Fakten, die auch die Nationalen Pressevereinigung ANP (Asociación Nacional de la Prensa) bestätigt. Regierungsangriffe auf Peñaranda habe es gegeben, als der Chefredakteur bei „Pagina Siete“ war, aber auch später, während er als leitender Redakteur der Nachrichtenagentur Fides arbeitete. „Persönliche Angriffe auf bekannte Journalisten sind zwar vergleichsweise selten, kommen aber durchaus vor. Generell setzt die Regierung aber mehr auf finanziellen Druck“, so Franz Chávez, der auf der ANP-Homepage systematisch auf Verstöße gegen die Presse- und Meinungsfreiheit aufmerksam macht

Druck über die Anzeigen – ein subtiles Instrument 

Der finanzielle Druck wirke, so Peñaranda, deutlich effektiver und subtiler als die direkten Angriffe auf Medienvertreter*innen. Viele Redaktionen hätten längst kleinbeigegeben und hielten sich an die offizielle Sicht der Dinge. „Die Schere im Kopf ist in Bolivien Teil der Realität“, meint Peñaranda. Bei den Printmedien sei das allerdings weniger ausgeprägt als bei Radio und Fernsehen. In großen Städte wie Cochabamba, Santa Cruz oder La Paz gäbe es durchaus noch kritische Tageszeitungen.

Franz Chávez von der Nationalen Pressevereinigung machte in den letzten Wochen immer wieder auf Angriffe der Regierung auf die Tageszeitung „El Diario“ aufmerksam. Die wurden Anfang Oktober 2019 auch durch die Interamerikanische Pressevereinigung (SIP) verurteilt. Ein kleiner Erfolg für Chávez, der meist ganz allein im ANP-Büro arbeitet ­­– eine Folge fehlender Mittel.

Unter Geldmangel leide auch die Qualität der Berichterstattung. „Gerade jetzt, wo der Vorwurf des Wahlbetrugs über den Präsidentschaftswahlen vom 20. Oktober schwebt, ist investigative Recherche imminent wichtig. Doch die leisten sich die Redaktionen nur noch punktuell“, so Peñaranda. Sein Onlineportal „Brújula Diigtal“ bilde da keine Ausnahme, würde aber gern anders arbeiten: „Uns fehlen die Mittel, aber wir sind auf der Suche.“ Die Redaktion habe Kontakt zu Kollegen in den Nachbarländern wie IDL-Reporteros aus Peru aufgenommen und will bald im regionalen Recherche-Netzwerk mitarbeiten – so Bolivien denn schnell den Weg aus der politischen Krise finde.

Peñaranda sah in einem zweiten Wahlgang die einzige Option, um die derzeitige Regierung von Evo Morales noch leidlich friedlich abzulösen. Dem Gegenkandidaten Carlos Mesa traute er zu, Bolivien wieder etwas mehr mediale Freiheit zurückzubringen. Mesa, ein Historiker, ist nämlich selbst als Fernsehmoderator in Erscheinung getreten. Er könnte, so war die Hoffnung, dem Land wieder mehr Presse- und Meinungsfreiheit bringen. Ob das angesichts der verfahrenen Situation in Bolivien überhaupt noch realistisch ist, steht auf einem anderen Blatt.

 

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