Cannes: TV-Markt und Fest im Serien-Format

Nicht nur der Teppich in Pink, "Die Protokollantin" Iris Berben dagegen in Weiß mit Team samt Produzent Sohn Oliver (r.).
Foto: Cannesseries

Cannes ist das Mekka des Films – und des Fernsehens. Und weil das Heimkino dank neuer Streamingdienste an Fahrt gewinnt, fand in der Mittelmeerstadt jetzt in Verbindung mit der weltgrößten TV-Messe MIPTV ein Serienfestival statt. Denn Serien sind das neue Kino: Aufwändig gemacht, sorgen sie für Renommee und kommen beim Publikum gut an. Damit sie entstehen können, finden sich neuerdings die unterschiedlichsten Partner zusammen, die direkt für den Weltmarkt produzieren.

Cannes bringt die besten Serien der Welt auf den „Pink Carpet“. Und diese kommen nicht mehr zwangsläufig nur aus den USA. Gerade wurde auf dem ersten „Cannes Series Festival“ die israelische Produktion „When Heroes Fly“ zur besten Serie gekürt. Unter den zehn für eine Auszeichnung nominierten Produktionen fanden sich zudem mit „Aquí En La Tierra“ oder „Mother“ Beiträge aus Mexiko und Südkorea. Die ZDF-Produktion „Die Protokollantin“ stand ebenfalls im Rennen. Für Iris Berben wäre solch eine Geschichte im TV vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen: „Ich gehöre ja schon lange nicht mehr ins jugendliche Programm, bin eine Frau, die dort einen dunklen Charakter spielt – das sind drei Elemente, die früher nicht unbedingt so gepasst hätten.“

Der künstlerische Leiter des Festivals Albin Lewi jedenfalls ist sich sicher, „dass die nominierten Serien ihren Weg ins internationale Fernsehprogramm finden werden“. Rund 130 aktuelle Serien aus 30 Ländern hatte die Jury begutachtet. „Es fällt auf, dass immer mehr lokale Geschichten so gut umgesetzt werden, dass sie auch für andere Länder interessant sind“, resümmiert Lewi.

So freute sich das norwegische Team von „State of Happiness“ über die Auszeichung für das beste Drehbuch.
Foto: Canneseries

Dass Serien in den letzten Jahren mehr internationale Verbreitung finden, lässt sich auf die Videoplattformen zurückführen. Das hat etwa Christian Grece, Analyst bei der Europäischen audiovisuellen Informationsstelle, in seiner aktuellen Studie festgestellt. Die Inhalte der Videoplattformen in der EU sind weitgehend homogen. Die Angebote von Apple Itunes oder Netflix beispielsweise sind in über der Hälfe der 27 Mitgliedsstaaten abrufbar: „Es ist offensichtlich, dass die paneuropäischen Plattformen dafür sorgen, dass europäische nichtnationale Produktionen mehr zu sehen sind, mehr zirkulieren und sich mehr verbreiten“, betont der Analyst, „so ist das deutsche Programm ‚Dark‘ in allen europäischen Netflix – Märkten, also in 27 Ländern verfügbar.“

Wie sehr der Serientrend auch die Geschäftsmodelle in Bewegung gebracht hat, offenbarte aktuell der weltgrößte TV-Markt MIPTV, der parallel zum Festival in Südfrankreich stattfand: Fernsehsender tun sich mit Videoplattformen zusammen, Kommunikationskonzerne kooperieren mit Internetanbietern, internationale Allianzen werden gebildet, bisherige Finanzierungssysteme überdacht, modifiziert oder neu herausgebildet.

Die deutsche Praxis, dass Sender Produktionen beauftragen und komplett finanzieren, funktioniert nur noch bedingt, wenn eine Programmstunde aktuell bis zu fünf Millionen Euro kosten kann, wie etwa bei der Netflix-Reihe „The Crown“ über die junge englische Königin Elisabeth II.

„Auch die klassischen Sender haben gesehen, dass die internationalen Programme der Plattformen beim Publikum gut ankommen“, so Grece, „und die verstärkte internationale Konkurrenz zwingt sie, dazu immer mehr und mehr zu investieren.“ Denn das Publikum gewöhnt sich an die hohe Qualität und erwartet sie auch von ihren nationalen Sendern. Auch die mischen immer mehr mit. Auf ZDF Neo beispielsweise wird voraussichtlich im Herbst die düstere Krimi-Reihe „Parfum“ laufen. Zeitgleich bringt Partner Netflix die Serie in seine Videothek – in fast 200 Ländern, Deutschland ausgenommen.

„Partnerschaften von Netflix und ZDF Neo wie bei ‚Parfum‘ waren früher undenkbar“, kommentierte der verantwortliche Produzent Oliver Berben in Südfrankreich die Zusammenarbeit. Ebenso kündigte der Geschäftsführer von Warner TV Deutschland René Jamm mehr Fernsehprojekte an, deren Geschichten in zwei oder drei Ländern spielen: „Damit können wir Themen für kleinere Zielgruppen umsetzen, die auf einem nationalen Markt für ein Massenpublikum ungeeignet, und daher nie finanzierbar gewesen wären.“

In der Branche ist man sich darüber einig, dass die bisherigen Konzeptionen auf dem Prüfstand stehen. „Wenn man als Plattform agiert, kann man nicht nur Nischenprogramme produzieren, und auch umgekehrt werden die klassischen TV-Sendern zunehmend kleinere Zielgruppen bedienen müssen“, formulierte es Moritz Polter von der Bavaria, der an der Croisette unter anderem die fast 27 Millionen Euro teure Serienproduktion „Das Boot“ sowie das deutsch-französische Gemeinschaftswerk „Germanized“ vorstellte. Während die Geschichte um eine deutsche U-Boot-Besatzung im Zweiten Weltkrieg bei uns Ende des Jahres auf Sky laufen wird, ist „Germanized“ das erste Gemeinschaftsprojekt von zwei Plattformen: der Deutschen Telekom und Amazon Frankreich.

Für deutsche Produzenten sei die Situation ideal, beurteilt UFA-Chef Nico Hofmann schließlich die Entwicklung, „weil es mehr Möglichkeiten der Finanzierung gibt. Im Grunde erleben wir aktuell das Golden Age of Television für die Produzenten.“

 

 

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