Chile: Entlassung für Juan Pablo Cardenas – Regierung fühlte sich „belästigt“

Der chilenische Journalist Juan Pablo Cárdenas, während der Pinochet-Diktatur einer der profiliertesten Publizisten der demokratischen Opposition, steht erneut unter Druck. Am 11. Januar erhielt der 52-jährige Journalist, seit dem vergangenen Jahr erst Chefredakteur der Internet-Zeitung „Primera Linea“, die Kündigung – ohne Anhörung und Begründung. Eine Trennung mit Hautgout. Denn „Primera Linea“ gehört zum Verlag der Zeitung „La Nación“; dessen Hauptaktionär wiederum ist die chilenische Regierung.

Während der Pinochet-Diktatur leitete Cárdenas 15 Jahre lang die Redaktion der links-katholischen Zeitschrift „Análisis“, seinerzeit eines der wichtigsten oppositionellen Blätter. Siebenmal wurde er inhaftiert, mehrfach wegen kritischer Beiträge verurteilt. Noch im vergangenen Jahr erklärte ihn das Wiener International Press Institute IPI zu einem der „50 Helden der Pressefreiheit“, neben „Spiegel“-;Gründer Rudolf Augstein.

Denn Cárdenas hat sich auch unter demokratischen Verhältnissen in Chile seine Unabhängigkeit bewahrt. Vermutlich dieses kostete ihn nun den Job: Von verschiedenen Seiten sei ihm bedeutet worden, schrieb er in einer Erklärung, „dass sich die Regierung von Inhalten in ‚Primera Linea‘ belästigt fühlte“. Zudem hätten ihm sowohl der vorsitzende Direktor des Verlages, Mahmud Aleuy, wie auch Staatsminister Claudio Huepe telefonisch erklärt, „dass es der Wille der Regierung sei, dass ich meines Postens enthoben werde“.

Kurz nach Bekanntwerden der brisanten Personalie wandte sich deshalb die Deutsche Journalisten-Union in Hamburg an den Verlagsvorstand und die zuständigen Minister. In einem Brief forderte die dju Aufklärung über die Gründe für die Kündigung beziehungsweise deren Rücknahme.

Die Antwort kam prompt: Am 2. Februar ging Minister Huepe per E-Mail in Deckung. Die Regierung habe mit Cárdenas‘ Entlassung nichts zu tun, schrieb er zurück, diese sei allein Sache des Unternehmens La Nación. Brüske Aufforderung: „Richten Sie also Ihre Beschwerde an Herrn Aleuy.“ Dessen Mail-Adresse lieferte der Minister gleich mit: „Sie lautet maleuyp@lanacion.cl“ Voilá.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

„Das Problem mit der Leidenschaft“

Lena Hipp ist Professorin für Soziologie an der Universität Potsdam und leitet die Forschungsgruppe „Arbeit und Fürsorge“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Mit M sprach sie über „Gute Arbeit“, Stressoren im Journalismus und weshalb die Trennung von Arbeit und Privatleben für Medienschaffende so wichtig ist.
mehr »

Türkische Presse im Visier der Justiz

Der Journalist Nedim Türfent berichtet über die Situation von Medienschaffenden in der Türkei. Sein Film "Ihr werdet die Macht der Türken spüren!" über die schikanöse Behandlung kurdischer Bauarbeiter erregte große Aufmerksamkeit und brachte ihm 2015 einen Journalistenpreis ein - und 2016 seine Verhaftung. Er wurde gefoltert und zu acht Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Die meiste Zeit davon verbrachte er im Hochsicherheitsgefängnis in der östlichen Stadt Van. Türfent wurde am 29. November 2022 nach sechs Jahren und sieben Monaten Haft entlassen. Schon wenige Monate später arbeitete er wieder als Journalist. Zurzeit nimmt er an einem Stipendium für bedrohte…
mehr »

Die Verantwortung der Redaktionen

Auf die mentale Gesundheit zu achten, ist keine individuelle Aufgabe. Auch Arbeitgeber*innen können und sollten etwas für psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen tun. Wie funktioniert das in einer Branche, die so geprägt ist von Zeit und Leistungsdruck und belastenden Inhalten wie der Journalismus? Wir haben uns in zwei Redaktionen umgehört, die sich dazu Gedanken gemacht haben: das Magazin Neue Narrative und der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (SHZ).
mehr »

Gewalterfahrung im Lokaljournalismus

In Deutschland hat sich die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Journalist*innen deutlich erhöht. Viele der Übergriffe finden am Rande von Demonstrationen statt. Der Thüringer Journalist Fabian Klaus recherchiert zu Rechtsextremismus und wird deshalb bedroht. Mit M sprach er über zunehmende Bedrohungslagen im Lokaljournalismus und die Unterstützung aus den Redaktionen.
mehr »