Das Ringen um Israels neue Rundfunkanstalt

Der Countdown für die neue israelische Rundfunkanstalt "Kan" läuft Screenshot: http://comingsoon.ipbc.org.il/

Die neu gegründete israelische Rundfunkanstalt soll eigentlich am 1. Januar 2017 ihre Arbeit aufnehmen – doch ob es dazu kommt, wird immer fraglicher. Ministerpräsident und Kommunikationsminister Benjamin Netanyahu will den Start am liebsten verhindern. Dagegen hielt bis vergangene Woche Finanzminister Moshe Kahlon an – doch der knickte jetzt ein. Am Donnerstag soll erneut verhandelt werden. Die neue Anstalt “Kan“ zählt derweil auf der Website den Countdown zum Start am 1. Januar 2017.

Der Weg schien 2014 gesetzlich geebnet: die israelische Rundfunkanstalt (Israeli Broadcasting Corporation, IBA) wird geschlossen. Der Grund: unrentabel, nicht effizient, zu sehr von der Politik beeinflusst. Die Lösung: Eine neue, schlankere Organisation namens Israeli Public Broadcasting Corporation (IPBC), im Volksmund „Kan“, die unabhängig und günstiger arbeiten soll. Jährliche Ausgaben von 740 Millionen Schekel (180,22 Millionen Euro) im Gegensatz zu 1 Milliarde bei der IBA.

Doch das große Vermächtnis von Kommunikationsminister Gilad Erdan bot alles andere als einen geebneten Weg. Jetzt, fünf Wochen vor dem Start von „Kan“ droht das jahrelange Hin- und Her rund um die Anstalt vollends zur Posse abzugleiten. Einer der größten Unterstützer, Finanzminister Moshe Kahlon (Kulanu-Partei), hat einen Rückzieher gemacht. Aus seinen Worten „Ich bin nicht bereit, aufzugeben und werde nicht davor zurückschrecken, ein Veto gegen die Regierung einzulegen“ wurde am vergangenen Dienstag: „Ich bin bereit die IBA zu erhalten sofern die Ausgaben zurückgefahren werden und die neu gegründete IPBC zu schließen.“ David Bitan (Likud-Partei von Netanyahu) reichte umgehend einen Knesset-Entwurf ein, in dem er argumentierte, dass der Wandel zu viel Geld koste und es besser wäre, eine neue übergeordnete Behörde für die drei staatlichen Sender das Armee-Radio, das Bildungsfernsehen und die Reste der IBA einzurichten.

Zu kritisch, zu unabhängig

"Kan" schon auf Facebook Screenshot: http://tinyurl.com/z82kw56
„Kan“ schon auf Facebook
Screenshot: http://tinyurl.com/z82kw56

Besonders Premierminister und Kommunikationsminister Benjamin (Bibi) Netanyahu macht keinen Hehl daraus, dass er den Start am liebsten verhindern will. Dabei kann man davon ausgehen, dass es Bibi beim Thema Rundfunkanstalt weniger um die Budgetfrage oder den Inhalt geht – es ist die heikle Frage des Managements. Denn in der alten IBA hatte die Regierung Mitspracherecht. In der neuen Sendeanstalt nicht. Die neue Organisation soll – allen voran – frei von politischer und gewerkschaftlicher Einflussnahme arbeiten. Ergo befürchtet Netanyahu, dass „Kan“ zu unabhängig und kritisch werden könnte.

Gegen den Vorwurf, dass die IBA nicht unabhängig arbeite, wehren sich die Journalist_innen der Rundfunkanstalt. „Es wurde immer versucht, politisch Einfluss auf die Arbeit zu nehmen, aber bei der IBA sind nur professionelle Journalisten, die unabhängig arbeiten“, betont Hike Grossmann, Vorsitzender des Journalisten-Komitees der IBA. Die Integrität seiner Leute sei nie eine Frage gewesen, beteuert Grosman. Und IBA-Journalist Shaike Kormanik fügt hinzu, dass „wir paradoxerweise in den vergangenen vier Jahren wirklich relativ unabhängig arbeiten konnten.“

Die neue Rundfunkanstalt mit einem unabhängigen Gremium für die Auswahl der Senderleitung unter dem Vorsitz von Gil Omer und der Geschäftsführung von Eldad Koblenz würde politischen Einfluss sicherlich nicht leichter machen. Genau das macht Netanyahus Kulturministerin Miri Regev Sorgen: „Warum sollten wir eine neue Rundfunkanstalt bilden, wenn wir sie nicht kontrollieren können?“ Markige Worte für ein Land, dessen Premierminister immer wieder die Demokratie betont. Als Konsequenz hat die US-Bürgerrechtsorganisation Freedom House ihre Einschätzung zur Pressefreiheit in Israel erstmals von „frei“ auf „teilweise frei“ heruntergestuft.

Und die Israelis?

Protestseite auf Facebook Sreenshot: https://www.facebook.com/adkanil/
Protestseite auf Facebook
Sreenshot: https://www.facebook.com/adkanil/

Während wohl keiner etwas dagegen hat, dass die jährliche Rundfunkgebühr von 75 Euro für die IBA abgeschafft und auf den Staat umverteilt wird, regt sich immer mehr Protest gegen ein Aus von „Kan“. Es wird mit Schildern protestiert, auf denen eine Hand und die Worte ‚Ad Kan‘ stehen, ein Wortspiel mit dem Rufnamen der neuen Rundfunkanstalt. Übersetzt heißt das: “bis hier“ – im übertragenen Sinne: „es reicht“.

In der Zwischenzeit bleiben die rund 1000 Mitarbeiter der alten IBA verunsichert zurück. Wie es im neuen Jahr weitergeht, ist unklar. 300 Stellen wurden bereits gekündigt. Und bei Kan? 150 Leute wurden bisher von der IBA übernommen, aktuell sind 535 Mitarbeiter eingestellt, bis Jahresende sollen es 700 werden. Gleichzeitig wird in der neuen Rundfunkanstalt emsig vorbereitet: Laut Medienberichten wurden bereits bis zu 30 Millionen Euro in Eigenproduktionen investiert. Neue Studios in Jerusalem, Tel Aviv, Beerscheba und Modiin werden gebaut. In den Interimsräumen in Modiin wird bereits produziert: „Kann“ sendet jetzt schon kurze Beiträge auf Facebook und wird nicht müde zu betonen, dass „wir technisch, logistisch und ausstattungsmäßig bereit sein werden rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche Fernsehen, Radio und digital zu produzieren.“ Bis es soweit ist, ist über die gesamte Homepage ein riesiger Countdown-Zähler eingerichtet, der die Tage bis zum 1. Januar 2017 zählt.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fußball-EM: Eine Halbzeitbilanz

Spätestens seit dem Gruppensieg der deutschen Nationalelf wechselte die Stimmung im Lande von Skepsis zu Optimismus. Ausgedrückt in Zahlen: Vor dem Start des Turniers trauten gerade mal sieben Prozent der Mannschaft den Titelgewinn zu, nach drei Partien stieg dieser Wert auf 36 Prozent. Entsprechend wuchs auch das Interesse an den TV-Übertragungen.
mehr »

N-Ost: Alles ist europäisch

Vor fast 20 Jahren wurde N-Ost als Korrespondentennetzwerk für Berichterstattung und Expertise über Osteuropa gegründet. Mittlerweile versteht sich N-Ost als Medien-NGO, die sich für die europaweite Zusammenarbeit zwischen Journalist*innen einsetzt. Zum Netzwerk, das seinen Sitz in Berlin hat, gehören nach eigenen Angaben mehr als 500 Journalist*innen und Medien aus ganz Europa. Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet die Berichterstattung aus der Ukraine.
mehr »

Das Internet als Nachrichtenquelle

„Das Internet stellt erstmals die wichtigste Nachrichtenquelle der erwachsenen Online-Bevölkerung in Deutschland dar“. So der aktuelle Reuters Institute Digital News Report 2024.  Er liefert interessante Befunde für die journalistische Arbeit – etwa zu Nachrichtenvermeidung, Medienvertrauen und Erwartungen an Nachrichtengestaltung in Zeiten zunehmender Internetnutzung.
mehr »

Fußball-EM: Zu Gast bei Freunden?

Vier Wochen vor EM-Start überraschte der Deutsche Fussballbund (DFB) mit einer originellen Kaderpräsentation. Anstelle einer drögen Pressekonferenz setzte man auf eine teils witzige Salami-Taktik: Mal durfte ein TV-Sender einen Namen verkünden, dann wieder druckte eine Bäckerei den Namen Chris Führich auf ihre Tüten. Das Bespielen sozialer Netzwerke wie X oder Instagram dagegen funktionierte nicht optimal – da hat der Verband noch Nachholbedarf.
mehr »