EJF-Jahrestagung in Moskau zwischen Solidarität mit Kollegen und TTIP
Die Statistik weist in Russland 56 getötete Journalistinnen und Journalisten seit 1992 aus, berichtete Dunja Mijatovic, Leiterin des Büros für Pressefreiheit bei der OSZE. Die meisten Morde geschehen auf lokaler Ebene, weit entfernt von Moskau, und so werden sie außerhalb des Landes kaum wahrgenommen. Angriffe auf die Pressefreiheit in Russland zu verurteilen und Solidarität mit den dortigen Kolleginnen und Kollegen zu zeigen, war ein zentrales Anliegen des diesjährigen Jahrestreffens der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF) in Moskau.
„Wir müssen das Schweigen durchbrechen”, stellte Nadezhda Azhgikhina von der Russischen Union of Journalists (RUJ) fest. Verbandspräsident Vsevolod Bogdanov brachte das Problem auf den Punkt: „Etliche einflussreiche Persönlichkeiten im Land meinen, Journalisten sollten einfach schreiben, was die Bosse ihnen diktieren”. Weil es viele von ihnen nicht tun, sondern Korruption und Verstöße gegen Menschenrechte anprangern, sind sie Angriffen ausgesetzt. Von Behörden bedrängt sieht sich auch die RUJ, die sich für ihre Mitglieder einsetzt.
Unter den in den letzten Jahren Getöteten ist Yuri Shchekochikhin – Nadezhda Azhgikhinas Ehemann. Als kritischer Journalist sorgte er vor seinem Tod 2003 mit einem Buch über die „Sklaven des KGB” für Aufsehen. Die Untersuchung des Mordes verlief im Sande. In den meisten Fällen findet eine solche überhaupt nicht statt.
Der Tagungsort Moskau war wegen der aktuellen russisch-ukrainischen Auseinandersetzung im Vorfeld umstritten gewesen, doch Delegierte von 29 europäischen Journalistengewerkschaften folgten am Ende der Einladung. Die dju war vertreten durch Joachim Kreibich als Mitglied des Tagungspräsidiums und Wolfgang Mayer, Schatzmeister der Internationalen Journalisten-Förderation (IJF). Der Bericht über eine EJF-Mission in die Ukraine unmittelbar vor dem Jahrestreffen zeichnete ein Bild, das die Delegierten entsetzte. Die Regierung in Kiew ebenso wie jene in der sogenannten Volksrepublik Donezk versuchen gleichermaßen mit allen Mitteln, Journalisten und Journalistinnen an ihrer Arbeit zu behindern – das beinhaltet Einreiseverbote, Verhaftungen, Folter und Morde. Einige Kollegen sind verschollen. Die zwei Journalistenorganisationen in der Ukraine, IMTUU und NUJU, haben Unterlagen von insgesamt schon 600 Fällen von Angriffen auf Journalisten und ihre Rechte gesammelt. Doch auch jenseits des russisch-ukrainischen Konflikts „weiß kein Journalist in Russland, wann er Opfer einer Bedrohung wird”, sagte Dunja Mijatovic.
Von der EJF und der OSZE unterstützt, arbeiten die beiden Gewerkschaften in der Ukraine und die RUJ eng zusammen, um Kollegen und Kolleginnen – woher immer sie stammen – zu schützen. Bis zur Jahrestagung kam bereits 98 Journalisten und Journalisten auch finanzielle Hilfe zugute. Ein Antrag, der im Vorfeld von mehr als 20 Gewerkschaften (darunter der dju) eingebracht worden war, betonte die Fortsetzung des bestehenden Dialogs mit der EJF.
Blick auf Medienpolitik.
Unter Druck stehen die Journalisten und Journalistinnen aber auch in anderen Ländern. Der EJF-Präsident Mogens Blicher Bjerregård erinnerte an die mehr als 100 Kollegen und Kolleginnen, die über Monate hinweg in der Türkei in Haft waren.
Die Vielfalt der Sachthemen, mit denen sich die EJF befasst, kam beim Jahrestreffen keinesfalls zu kurz. Im Mittelpunkt stehen die Medienpolitik und die Arbeitsbedingungen, hieß es im Rechenschaftsbericht. Der Kampf um Pressefreiheit und Medienvielfalt, als unverzichtbare Bedingungen für Demokratie, sei ein weiterer Schwerpunkt. Durch die Neubesetzung der Europäischen Kommission wird sich die EJF bei ihrer Lobbyarbeit mit neuen Ansprechpartnern auseinandersetzen müssen. Sorge bereitet vor allem die Berufung des Ungarn Tibor Navracsis zum Kommissar für Bildung und Kultur. In seinem Heimatland hatte er als Justizminister Gesetze gegen die Pressefreiheit vorbereitet. Der Blick richtet sich auch auf Andus Ansip aus Estland: Er ist für den Digitalen Binnenmarkt zuständig, auf dem die Urheberrechte festzuschreiben sind.
Die EJF wird bei vielen Themen nicht schweigen, sondern sie mischt sich ein. Gleich drei Anträge hatten den Widerstand gegen die transatlantischen Verträge wie das Freihandelsabkommen TTIP zum Gegenstand. Mit der Annahme unterstrichen die Delegierten des Jahrestreffens ihre Sorge, dass eine Gleichschaltung von sozialen und kulturellen Standards auch die Medien und ihre Beschäftigten in einen Strudel ziehen. Barry White vom Steering Committee der EJF: „Wir müssen feststellen, dass diese Verträge ein Angriff auf unsere Interessen sind”. Geplant ist eine Sensibilisierungskampagne zu den Gefahren, die von den Abkommen ausgehen.
Mit der Medienzukunft beschäftigte sich ein Antrag des Steering Committees zu neuen Finanzierungsformen und Beschäftigungsmodellen im Journalismus. Fonds und Crowdfunding werden als Beispiele genannt. „Gute Qualität ist nicht umsonst”, heißt es im Antrag. Die nationalen Journalistengewerkschaften sind aufgerufen, in dieser Debatte aktiv mitzuwirken.
Eine eigene Deklaration verurteilte die Verbreitung von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamophobie durch die Medien. Journalisten sind aufgerufen, die ethischen Grundsätze des Berufs zu wahren, um nicht als Instrument für rechte Propaganda benutzt zu werden.