Der Ballhausplatz ist virtuell besetzt

Protest gegen die österreichische Bundesregierung im Internet

Die Wiener Donnerstagsdemonstrationen gegen die österreichische Regierung – nach dem Motto „Wir gehen, bis ihr geht“ – sind mittlerweile auf ein paar kleine Grüppchen zusammengeschrumpft. Doch im Internet ist der Protest gegen „Schwarz-Blau“ nach wie vor lebhaft, ganz unterschiedliche Gruppierungen bringen ihre Ablehnung der Koalition und des rechten Gedankenguts zum Ausdruck.

Die Homepage der Demokratischen Offensive (DA) ist die erste Adresse zu den Anfängen der Bewegung. Der lose Dachverband aus verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen entstand nach den Wahlen im Herbst 1999, er organisierte bereits zu Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ kurzfristig Demonstrationen. Auf dem Höhepunkt des Protests waren 300.000 Menschen auf dem Wiener Heldenplatz versammelt; im Internet sind viele Reden von damals archiviert, zum Beispiel vom DA-Sprecher Doron Rabinovici (Historiker und Schriftsteller). Von der Seite der DA geht es auch weiter zum Republikanischen Klub, der im „Bulletin“ ähnlichen Lesestoff bietet.

Die Seite Ballhausplatz.at fällt durch ihr eigenwilliges Design auf, das an bunte Zeitungsausschnitte erinnert. Wer mit dem unübersichtlichen Aufbau zurecht kommt, findet hier neben Hinweisen auf politische Aktionen auch vielfältige

Artikel. Einiges führt über das Kernthema hinaus, wie etwa globalisierungskritische Berichte aus dem Ausland; Leserinnen und Leser können ebenfalls Beiträge einreichen. Es gibt auch bekannte Gastautoren, z. B. den Journalisten Karl Pfeifer (siehe M-Ausgabe 03/02) und Marlene Streeruwitz. Die Schriftstellerin, die selbst schon oft an den Donnerstagsdemos teilgenommen hat, bekam kürzlich von Demonstranten die Domain Marlenestreeruwitz.at geschenkt; einen ersten Text hat sie bereits ins Netz gestellt, weitere sollen folgen.

Ceiberweiber und anderes

Typisch für das linke Spektrum sind die Seiten von „Get to Attack“: Sie wenden sich „gegen die Institutionalisierung von Rassismus, Sexismus und Nationalismus“ und stellen entsprechende Forderungen, wie die Abschaffung der Schubhaft (Abschiebehaft), die Einführung eines Wahlrechts für alle in Österreich ansässigen Menschen und scheinbar Selbstverständliches wie ein Verbot von „Keine Ausländer“ – Klauseln bei Stellen- und Wohnungsangeboten. Hier gibt es auch eine fiktive „Gesellschaft der Freunde des österreichischen Tourismus“, die „im Sinne einer Normalisierung der Lage“ pointierte Benimmregeln der anderen Art an zahlungswillige Gäste ausgibt: „Sprechen Sie die Einheimischen bitte nicht über die Zeit des Nationalsozialismus an. Solche Fragen werden in der hiesigen Kultur als unschicklich angesehen. Respektieren Sie das Recht jedes Landes, seine Vergangenheit in einem demokratischen Prozeß selber zu schaffen“, lautet die erste Empfehlung.

Auch so manche Website, die von Haus aus einen anderen Schwerpunkt als die Kritik an „Schwarz-Blau“ hatte, ist Teil der Protestbewegung geworden: Die Gruppe „Rosa Antifa“ entstand, wie der Name bereits andeutet, aus dem linken Flügel der Schwulenbewegung. Sie versendet etwa einmal im Monat einen mehrsprachigen Newsletter mit dem Namen „Böses Österreich“, der Einblicke in die österreichische Politik bietet; frühere Ausgaben können online nachgelesen werden. Fast tagesaktuelle Texte gibt es beim Onlinemagazin „Ceiberweiber“: Die Redaktion kommentiert in meist lockerem Stil die Sozial- und Frauenpolitik der Regierung und berichtet von feministischen Veranstaltungen. Informationen über die rechtsradikale Szene bietet das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), das auch Ausstellungen und wissenschaftliche Symposien ankündigt. Die Österreich-Seiten des jüdischen Online-Magazins Hagalil enthalten Artikel aus verschiedenen Zeitungen, meist zu gesellschaftlichen Themen, wobei der Medienkritik und dem Umgang mit Jörg Haider besondere Aufmerksamkeit gilt.

Auch ein künstlerischer Wettbewerb wurde via Internet ausgerufen: Ein „Aluminiumblech, armiert, lackbeschichtet, 182 x 122 cm, leicht deformiert“ soll nach einer Ausschreibung der „Klara Moser Gesellschaft“ bis zum 30. Juli 2002 verarbeitet, verformt, inszeniert, vervielfältigt oder vernichtet werden. Bei dem Stück Blech handelt es sich um ein geklautes Ortsschild von Krumpendorf am Wörthersee. Hier hatte Jörg Haider 1995 bei der jährlich stattfindenden Versammlung vor ehemaligen Mitgliedern der Waffen-SS gesagt: „Es ist gut, dass es in dieser Welt noch anständige Menschen gibt, die einen Charakter haben, die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind.“ Das Motto der Kunstaktion: „Krumpendorf ist ein Symbol.“


Lebhafte Debatte gegen „Schwarz-Blau“

Demokratische Offensive:
http://www.demokratische-offensive.at/
Republikanischer Klub:
http://www.repclub.at/
Virtuelle Ballhausplatzbesetzung:
http://www.ballhausplatz.at/
Marlene Streeruwitz:
http://www.marlenestreeruwitz.at/
Get to attack:
http://www.gettoattack.net/
Rosa Antifa:
http://www.raw.at/
Ceiberweiber:
http://www.ceiberweiber.at/
Dokumentationsarchiv:
http://www.doew.at/
Hagalil:
http://www.hagalil.com/austria/
Kunstaktion:
http://www.8ung.at/klaramoser/
Grafik Sprung in der Schüssel:
http://rat.n3.net/schuesselsprung/

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

US-Auslandssender kämpft ums Überleben

Von einem „großen Geschenk an Amerikas Feinde“ spricht Stephen Capus, Präsident von Radio Free Europe/Radio Liberty: Die brutalen Kürzungen der Trump-Regierung haben auch den US-Auslandssender mit Sitz in Prag erreicht. RFE/RL wehrt sich mittlerweile vor Gericht. Zugleich machen sich mehrere EU-Länder für eine europäische Finanzierung stark.
mehr »

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

Beschwerde gegen BND-Gesetz

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
mehr »

Social Media: Mehr Moderation gewünscht

Wer trägt die Verantwortung, um etwas gegen zunehmenden Hass in den sozialen Medien zu unternehmen? Die Plattformen? Die Politik? Die Nutzer*innen? Alle drei Gruppen jeweils zu einem Drittel. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie der Technischen Universität München (TUM) und der University of Oxford. Sie zeigt auch: der Großteil der Menschen in den zehn untersuchten Ländern wünscht sich mehr Moderation bei Inhalten.
mehr »