Der Blick hinter die Mauer

Der israelische Reporter Shlomi Eldar zeigt die Menschen auf der palästinensischen Seite

Israelische Journalisten sind immer selbst betroffen. Zumindest wenn es um den Konflikt mit den Palästinensern geht. Das weiß Shlomi Eldar schon lange. Seit Anfang der 1990er Jahre berichtet er schwerpunktmäßig über die Menschen im Gazastreifen und der Westbank.


So involviert in die Geschichte seines Landes wie im Januar 2009 war er aber wohl nie zuvor. An diesem Tag, dem 21. der sogenannten „Operation Gegossenes Blei“ gegen die Hamas im Gaza-Streifen, war ein Interview mit Dr. Ezzeldeen Abu al-Aish vorgesehen. Der Arzt, der in Israel praktizierte und forschte, wurde seit Beginn des Krieges schon aufgrund seines fließenden Hebräisch immer wieder interviewt. Kurz vor dem vereinbarten Termin rief er nun aber verzweifelt auf dem Handy von Shlomi Eldar an. Dieser war live auf Sendung im privaten TV-Kanal 10. „Meine Töchter, oh Allah, oh Allah … Ich wollte sie retten, sie retten, aber sie sind tot … In den Kopf geschossen … Was haben wir ihnen getan?“, rief Abu al-Aish ins Telefon. Ein sichtlich geschockter Eldar hielt das Handy an sein Mikrofon. Der Angriff auf das Haus eines Zivilisten in Gaza, drei von acht Kindern des langjährigen Bekannten tot und die anderen verwundet, das erschütterte den erfahrenen Reporter zutiefst. Und sein Bild erschütterte das Land.
„Ich habe viele Bilder gezeigt“, erzählt der Journalist in der Rückschau. „Viele Opfer, Verwundete, getötete Männer, Frauen und Kinder. Ich hatte das Gefühl, dass die Israelis das nicht interessierte. Sie waren davon nicht berührt.“ Aber die Stimme von Abu al-Aish, das war die Stimme der Verzweiflung, die Stimme des Krieges. Das hatte offenbar eine andere Wirkung. „Wenige Stunden später hat Israel den Waffenstillstand verkündet“, sagt Eldar.
Allein dieses Ereignis zeigt, wie sehr sich ein israelischer Reporter mitten im Konflikt befindet, selbst wenn er nicht am Ort des Geschehens sein kann. Shlomi Eldar war, bis 2006 die israelische Regierung den Gazastreifen abriegelte, lange Jahre immer wieder vor Ort. Fast täglich versuchte er, seinen Landsleuten das Leben der einfachen Menschen auf der anderen Seite zu zeigen. Sein in diesem Jahr auch auf Deutsch erschienenes Buch („Gaza. Bis zum bitteren Ende“, Melzer Verlag) zeugt von seiner Arbeit und auch seiner Zerrissenheit. Denn für Eldar ist es klar, dass der Beschuss Israels mit Kassam-Raketen gestoppt werden muss. Kein Land könne das akzeptieren. Aber die Reaktion seiner Regierung hält er nicht für angemessen.

Schwer zu überwindender Hass

Dass die Berichterstattung ihn selbst auch immer wieder in schwere Gewissensnöte bringt, zeigte ihm zuletzt die Freilassung des lange Jahre gefangenen Soldaten Gilad Shalit und die im Gegenzug freigelassenen palästinensischen Gefangenen. Sein Sender zeigte die Feiern auf beiden Seiten in einem Split-Screen. Nach Gaza allerdings kehrten auch einige Terroristen zurück, die teilweise mehr als 50 israelische Zivilisten umgebracht hatten und offenbar keine Reue zeigen. Wenn auch Eldar selbst einige Freunde in Gaza hat, die früher als Terroristen einsaßen, dem Terror aber abgeschworen haben und heute wichtige Positionen in der zivilen Verwaltung einnehmen, solch eine Haltung könne er nicht akzeptieren, erklärt er. Der Hass auf beiden Seiten, gegen den er arbeitet, ist schwer zu überwinden.
Beispielhafte Handlungen hingegen helfen. Wie die des Vaters eines von Palästinensern getöteten israelischen Soldaten. Dieser hörte von einem kleinen Baby aus dem Gazastreifen, das ohne Immunsystem geboren wurde und bezahlte die teure Operation in einem israelischen Krankenhaus. Als der Journalist Eldar davon hörte, wusste er gleich um das Potenzial dieser Geschichte. Es war so groß, dass der Dokumentarfilm über die Rettung des kleinen Jungen, „Precious Life“, auf der Vorschlagsliste für den diesjährigen Oscar stand. Dass er am Ende nicht zu den fünf nominierten Filmen gehörte, ändert nichts an der Tatsache, dass er bereits einiges bewegt hat. So bei einem einfachen Israeli aus Ashkelon. Auch diese Stadt an der Mittelmeerküste wird von Raketen bedroht. „Ich habe von diesem Mann einen Brief bekommen“, berichtet Eldar. Dieser Mann wollte alle Menschen im Gazastreifen töten. „Als ich den Film gesehen habe, habe ich mich geschämt“, schrieb er danach an Eldar. Und weiter: „Ich habe das erste Mal wahrgenommen, dass in Gaza Menschen wie Du und ich leben.“ Diese Aussage sei der Kern des Films und seiner ganzen Arbeit, sagt Eldar. „Ich will die andere Seite der Mauer zeigen.“ Der Film „Precious Life“, der bereits auf vielen Festivals auch in Deutschland gelaufen ist, soll nach Angaben des hiesigen Vertriebs im Fernsehen gezeigt werden. Man arbeite daran, heißt es von Telepool in München.
Shlomi Eldar selbst kann nicht allen persönlich helfen wie Abu al-Aish. Die Livesendung verließ der erschütterte Journalist im Januar 2009 mit der Bemerkung, dieses Telefonat nicht beenden zu können. Hinter den Kulissen regelte er mit dem israelischen Militär, dass der Palästinenser seine verwundeten Kinder zu einem Krankenwagen bringen konnte. Über den Grenzübergang Erez kamen diese in ein israelisches Krankenhaus. Auch dies eine beispielhafte Handlung, die auch knapp drei Jahre nach dem Ereignis die Grausamkeit des Krieges und die Notwendigkeit des Friedens drängend vor Augen führt. Shlomi Eldars Arbeit macht dies den Israelis jeden Tag greifbar.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Klimaprotest erreicht Abendprogramm

Am 20. August 2018, setzte sich die damals 15jährige Greta Thunberg mit dem Schild “Skolstrejk för Klimatet“ vor das Parlament in Stockholm. Das war die Geburtsstunde von Fridays for Future (FFF) – einer Bewegung, die nach ersten Medienberichten international schnell anwuchs. Drei Jahre zuvor hatte sich die Staatengemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) völkerrechtlich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »