Dialog und Analyse im Vordergrund

Seit 2013 erscheint die Monatszeitschrift „Alternativas Económicas“ – ein Beispiel für die die neuen kritischen Medien in Spanien Foto. Ralf Hutter

Neue Medien in Spanien stehen vor allem für unabhängige Hintergrundberichterstattung

In Spanien hat die Wirtschaftskrise zur Gründung mehrerer qualitätsorientierter Medien geführt. Der Stellenabbau in der Branche und der Glaubwürdigkeitsverlust von Politik und großen Medien begünstigen neue Initiativen. Die schreiben sich sowohl Unabhängigkeit von Konzernen und Parteien auf die Fahnen als auch Hintergrundberichterstattung statt klickträchtiger Schnellschüsse. Einige Projekte sind Genossenschaften.

„Wir dachten, diese Dinge passieren nur im Silicon Valley“. Diese Worte finden sich gegen Ende der Selbstdarstellung des spanischen Online-Magazins Bez, das seit September erscheint. Demnach haben zwei Journalisten (einer davon mit viel Berufserfahrung) „eine Gruppe Aktionäre“ gefunden, die mit ihnen ein Ziel teilen: „vermittels Dialog und Analyse eine plurale Demokratie in Spanien stärken“. Bez schreibt sich den gegenwärtigen politischen Wandel in Spanien, die Unzufriedenheit mit der Verfasstheit des Staates und der Eliten auf die Fahnen und will da zum „Referenzmedium“ werden. „Werte des traditionellen Journalismus wie Unabhängigkeit, Strenge und Analyse“ sollen dabei helfen, „Information in Wissen umzuwandeln, damit das Wissen zur Tat wird“.
Dabei entstammt Bez keiner politischen Bewegung und wirbt noch nicht mal um Abos, Spenden oder Anteilskäufe. Das vielfältige, betont ideologiefreie Magazin, für das zwei Dutzend Angestellte arbeiten, soll gratis bleiben und sich über Werbung sowie Produkte finanzieren, die auf Einzelpersonen und Firmen zugeschnitten sind. Ziel ist auch, „Märkte zu öffnen, speziell in Lateinamerika“.
„Wir werden Aktivisten der Intellektualität sein“, kündigt einer der beiden Impulsgeber und Chefredakteure in einem Interview an. Dass selbst solch ein Projekt mit pathetischen Ansagen ins Rennen geht, ist ein deutliches Zeichen für den Glaubwürdigkeitsverlust, der in Spanien die großen Medien erfasst hat. Auch andere neue Medien sind in den letzten Jahren mit solchen Ansagen angetreten. Sie bauen auf den gesellschaftlichen Wandel, den Spanien seit 2011 erlebt und der seit 2014 die Partei Podemos in die Parlamente hebt. Bemerkenswert ist dabei, dass einige dieser Medien nicht die Bewegungsnähe hervorheben, sondern das Streben nach Unabhängigkeit, nach Qualitätsjournalismus. Sie werden nämlich zum Teil von Leuten mit viel Medien-Erfahrung geführt, die sich von fremden Interessen frei machen wollen.

Andreu Missé, Chefredakteur von "Alternativas Económicas" Foto: Ralf Hutter
Andreu Missé, Chefredakteur von „Alternativas Económicas“
Foto: Ralf Hutter

Einer von ihnen ist Andreu Missé. 30 Jahre lang arbeitete er für Spaniens größte Tageszeitung „El País“, auch in Leitungsfunktionen. Zum Schluss, von 2005 bis 2012, war er Korrespondent in Brüssel. Missé ist Jahrgang 1947, aber es treibt ihn weiter zum Journalismus. Nun sitzt er in dem engen Redaktionsraum in Barcelona, in dem die seit 2013 erscheinende Monatszeitschrift „Alternativas Económicas“ (Ökonomische Alternativen) produziert wird, deren Chefredakteur er ist.
Wie die französische „Alternatives Economiques“ will Andreu Missé „eine Zeitschrift, die die Wirtschaft verständlich macht“. Er will zum Beispiel erklären, wie das Emirat Katar sich in Spanien einkauft. In diesem Zusammenhang sei es schon vorgekommen, dass Zeitungen Schwierigkeiten bekamen, wenn sie Kritik übten. Generell hat Missé festgestellt: Als die Medienunternehmen in der Wirtschaftskrise Einnahmen verloren, verloren sie auch Freiheit, wurden abhängiger. Bei unliebsamer Berichterstattung hätten Konzerne ihre Werbeanzeigen reduziert oder Banken den hoch verschuldeten Verlagen Probleme gemacht. Bei den vielen Entlassungen bei „El País“ seien kritische Leute aussortiert worden. „Alternativas Económicas“ ist wie andere Projekte ein Versuch, die hochwertige Berichterstattung zu retten. Eine weitere Gemeinsamkeit dieser neuen Medien ist laut Missé „die Sorge um das Soziale“.
Beeindruckend ist der Erfolg, den das Online-Magazin El Diario hat. Zum dritten Geburtstag im September gab der Chefredakteur bekannt: Die Zahl der Angestellten und Praktikanten ist auf 44 gewachsen. Im ersten Halbjahr 2015 hat die Zeitung einen Gewinn von 200.000 Euro vor Steuer gemacht. Spanienweit arbeiten in Regionalbüros fast 50 Menschen für El Diario. Weitere Einstellungen waren angekündigt.
Seit Januar 2015 ist das Magazin CTXT online. Der Name besteht aus den Konsonanten des spanischen Wortes für Kontext. Auch dieses Magazin hat sich journalistischer Unabhängigkeit verschrieben, auch hier war der Chef 22 Jahre lang bei „El País“, unter anderem Korrespondent in drei Hauptstädten. Nach eigenen Angaben wurde CTXT von 14 Journalistinnen und Journalisten, die von großen Zeitungen kamen, gegründet. Ein Crowdfunding zu Beginn brachte weiteres Geld. Zum Jahresende wurde Transparenz geschaffen: Ausgaben von 145.000 Euro stehen 53.000 Euro Einnahmen gegenüber, davon über 80 Prozent aus Spenden und Abos. Eine Kapitalerhöhung im Dezember brachte 180.000 Euro und erhöhte die Zahl der Anteilseigner auf 50. Ab Januar soll es eine kleine Redaktion geben – bisher wurde in den Wohnungen zweier Mitarbeiter produziert.
Nur unwesentlich älter ist El Crític, ein katalanisches Online-Investigativprojekt, das sich zum „Slow Journalism“ bekennt. Neben tagesaktuellen Kommentaren veröffentlicht es wöchentlich eine große Recherche. Nach seinem ersten Jahr zählt es 1200 Abos für die Bezahl-Inhalte (wer ein Jahresabo abschließt, erhält zusätzlich die jährliche monothematische Papierausgabe) und durchschnittlich 100.000 Leser pro Monat.
Seit Ende 2012 schon erscheint die Monatszeitung „La Marea“. Sie wird von Leuten gemacht, die im selben Jahr bei der Tageszeitung „Público“ rausflogen, als dort die gedruckte Ausgabe abgeschafft wurde. Zu nennen ist auch die Satirezeitschrift „Mongolia“ , die ebenfalls von Ex-Público-Leuten mit angeschoben wurde. Sie erhielt schon im ersten Jahr einen Journalismuspreis und hat eine Rubrik mit Investigativrecherchen. Ein weiteres neues Portal ist InfoLibre, an dem das französische Online-Magazin Mediapart beteiligt ist, das seinerseits zum Jahreswechsel 2006/2007 von Journalisten gegründet wurde und, wie nun InfoLibre, die Leserschaft statt Firmen als Miteigentümer ins Boot geholt hat.
Ihnen allen – vielleicht mit Ausnahme von Bez – ist gemeinsam, dass sie die Eigentumsverhältnisse transparent halten und, dass kein Konzern beteiligt ist. Bei El Diario gehören 70 Prozent des Unternehmens der Belegschaft, wobei schon der Chefredakteur über 50 Prozent besitzt. Bei InfoLibre haben Belegschaft und Leserschaft zusammen die Mehrheit der Anteile. „La Marea“, Alternativas Económicas und El Crític sind Genossenschaften. Bei allen Drei kann die Redaktion nicht in der Genossenschaftsversammlung überstimmt werden.

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