Die Ikone Mandela

1995: Nelsen Mandela grüßte die südafrikanische Rugby-Nationalmannschaft
Foto: Reuters/Mark Baker

Wirkungsvolle Personifizierung des Anti-Apartheid-Kampfes weltweit

Es war einer der bedeutendsten Momente in der Geschichte Südafrikas: die Freilassung Nelson Mandelas heute vor 30 Jahren. Südafrikas politische Führung beging den Jahrestag mit einem Festakt auf dem Balkon des Kapstädter Rathauses, von dem der wohl bekannteste politische Gefangene der Welt an jenem 11. Februar 1990 seine erste Rede nach 27-jähriger Haft gehalten hatte. Der regierende ANC nutzt so noch heute die Strahlkraft Mandelas, den er einst gezielt zur Ikone des globalen Widerstand gegen das Apartheidregime aufgebaut hatte.

Seit den Morgenstunden warteten die Kamerateams aus aller Welt an jenem Sommertag vor dem Eingang des Victor-Verster-Gefängnisses bei Paarl, einer Kleinstadt 70 Kilometer vor den Toren Kapstadts, gelegen inmitten idyllischer Weinberge. Erst neun Tage zuvor hatte Regimechef Frederik Willem de Klerk die Aufhebung des ANC-Verbots bekanntgegeben und Mandelas Freilassung angekündigt. Den genauen Termin verkündeten die Machthaber in Pretoria schließlich weniger als 24 Stunden vorab. Mandela, der 18 Jahre auf der berüchtigten Gefängnisinsel Robben Island, weitere sechseinhalb Jahre in der Haftanstalt Pollsmoor im Kapstädter Vorort Tokai und schließlich die letzten 14 Monate in einer Wärterwohnung auf dem Gelände des Victor-Verster-Gefängnisses inhaftiert war, wehrte sich zunächst gar gegen seine rasche Freilassung. Der Ablauf schien ihm zu überstürzt, sein ANC würde mehr Zeit benötigen, um den Verlauf dieses lange herbeigesehnten Tages sicher planen zu können, glaubte er. Doch noch hatte die weiße Regierung die Zügel in der Hand. Ein drohendes Chaos nahm sie an diesem Tag zumindest in Kauf.

Zitateverbot in den Medien

Zunächst schien es sogar, als sollte das Regime die Szenen bekommen, die es provoziert hatte. In der Kapstädter Innenstadt hatten sich über 100.000 ANC-Anhänger versammelt, deren Hoffnung im Laufe des Vormittags allmählich in Ungeduld umschlug. Es kam zu Auseinandersetzungen mit Einsatzkräften des Regimes, vereinzelt auch zu Plünderungen von Geschäften. Zwei Menschen wurden getötet, Dutzende verletzt. Jahrzehntelang hatte Pretoria versucht der Welt weiszumachen, der ANC würde Gesetzeslosigkeit und Zerstörung über das Land bringen. Für einen Moment schien sich die Propaganda zu bewahrheiten. Doch um die Welt gingen letztlich andere Bilder.

Als Mandela gegen Mittag an der Seite seiner Frau Winnie Madikizela-Mandela in die Freiheit schritt, bekam die Welt einen zwar ergrauten, aber deutlich sichtbar ungebrochenen Mann zu sehen. Würdevoll, im eleganten grauen Anzug mit passender Krawatte, trat der spätere Präsident schon vier Jahre vor seiner Wahl wie ein Staatsmann vor die Weltöffentlichkeit. 20 Jahre lang hatte das Apartheid-Regime jedes Bild von Mandela verboten, südafrikanische Medien durften seine Worte nicht zitieren. Nun lief die Freilassung live im Fernsehen, dessen Einführung die Staatsmacht auch erst 1976 genehmigt hatte. Eines von vielen Beispielen dafür, wie verkrampft dieses Regime war: Post- und Telegraphenminister Albert Hertzog hatte den Fernseher einst als „Box des Teufels zur Verbreitung von Kommunismus und Unsittlichkeit“ bezeichnet.

Mandela aber, zuvor fast drei Jahrzehnte weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten, wusste die Bühne zu nutzen. Er gab sich kämpferisch, reckte gemeinsam mit Winnie die Siegesfaust in den strahlend blauen Himmel. Doch er zeigte den Reportern auch ein Lächeln, ein erstes Zeichen jenes Charmes und jener vereinenden Kraft, die ihn in den darauffolgenden Jahren zum weltweit hoch angesehenen Versöhner seiner nach Jahrhunderten rassistischer Unterdrückung tief gespaltenen Nation machten. Als vom weißen Regime gesponserte Zulu-Milizen in der Phase der Verhandlungen zum Ende der Apartheid Massaker an Zivilisten in ANC-Hochburgen verübten, rief er zur Besonnenheit auf. Als Chris Hani, der charismatische Ex-Kommandeur des Umkhonto we Sizwe, von einem weißen Rassisten erschossen wurde, hob Mandela den Mut einer weißen Zeugin hervor, die die Festnahme des Mörders ermöglichte. Und ein Jahr nachdem sein ANC die ersten freien Wahlen gewonnen hatte, feierte der frisch vereidigte Präsident mit der Rugby-Nationalmannschaft, dem Stolz der weißen Südafrikaner, deren WM-Sieg – mit Trikot und Schirmmütze, noch auf dem Rasen. Der Freiheitskämpfer, den das Apartheid-Regime der Welt als gefährlichen Terroristen verkaufen wollte, wurde zum Vater der Nation. Zur Ikone des Widerstands aber hatte sein ANC ihn schon lange vor der Freilassung gemacht – gezielt und aus strategischer Überlegung.

Ideal einer freien Gesellschaft

Als Mandela im August 1962 nach einem Hinweis des US-Geheimdienstes CIA verhaftet wurde, spielte er innerhalb des ANC bereits eine wichtige Rolle – er war nach dem Polizeimassaker von Sharpeville maßgeblich am Aufbau des bewaffneten Arms der Partei, Umkhonto we Sizwe, beteiligt. International hielt sich sein Bekanntheitsgrad jedoch in Grenzen. Das änderte sich zwar im Laufe des Rivonia-Prozesses, in dem Mandela und seinen Mitangeklagten zunächst die Todesstrafe drohte. „Ich habe gegen weiße Vorherrschaft gekämpft und ich habe gegen schwarze Vorherrschaft gekämpft. Ich habe das Ideal einer demokratischen und freien Gesellschaft gehegt, in der alle Menschen in Harmonie und mit gleichen Möglichkeiten zusammenleben. Es ist ein Ideal, für das ich hoffe zu leben und das ich zu erreichen hoffe. Aber wenn es sein muss, ist es ein Ideal, für das ich zu sterben bereit bin“, erklärte der „Angeklagte Nummer 1“ in seinem letzten Wort, das um die Welt ging. Nachdem das Urteil auf lebenslänglich gefallen war, wurde es wieder ruhiger um ihn und seine Partei.

Für den ANC begannen in den 1960ern bleierne Jahre. Wesentliche Teile der Parteiführung waren inhaftiert worden oder ins Exil geflohen und die Strukturen in Südafrika deutlich geschwächt. International standen die Regierungen der mächtigen Länder des Westens auf Seiten des Apartheid-Regimes, das auch mithilfe deutscher Rüstungskonzerne seinen Polizei- und Militärapparat ausbaute, ANC-Angehörige selbst im Ausland mit tödlichen Kommandoaktionen angriff und jeglichen Widerstand im Inland brutal unterdrückte.

Öffnung für Allianzen

Auf seiner richtungsweisenden Konferenz im tansanischen Morogoro reagierte der ANC darauf 1969 mit einer geänderten Strategie. Zum einen öffnete sich die Bewegung für Allianzen mit anderen Befreiungsorganisationen, kooperierte noch enger mit der South African Communist Party und band auch weiße Widerständler stärker ein. Zudem beschloss der ANC eine Intensivierung des bewaffneten Kampfes, für den eine umfangreichere politische Mobilisierung nötig war. Unterstützt werden sollte diese Strategie durch eine internationale Solidaritätskampagne. Mandela wurde als Gesicht dieser Initiative auserkoren.

Insbesondere nach dem Massaker von Soweto, bei dem die Schergen des Regimes in dem Township vor den Toren Johannesburgs Hunderte protestierende Schulkinder erschossen hatten, wuchs weltweit das Engagement gegen die Apartheid. Das Gesicht des jungen Mandela – aktuelle Fotos gab es ja nicht – war nun überall zu sehen. Berühmte Filmstars, Musikgrößen und andere Prominente setzten ihre Namen unter Aufrufe für seine Freilassung. In den Niederlanden wurde eine Mandela-Münze herausgegeben. Aus der DDR, wo auch das ANC-Magazin Sechaba gedruckt wurde, schickten zehntausende Kinder bunte Postkarten ins Gefängnis nach Südafrika. Und in Großbritannien feierten 1988 schließlich 72.000 Zuschauer im Wembley-Stadion mit einem Solidaritätskonzert Mandelas 70. Geburtstag. Die Show wurde in 60 Länder weltweit übertragen. Mandelas Konterfei wurde zum Sinnbild des Anti-Apartheid-Kampfes.

Die Personifizierung des Anti-Apartheid-Kampfes trug so wesentlich zur internationalen Isolation des Regimes in Südafrika bei. Und als letzteres schließlich gefallen war, wurde Mandela – der vor seiner Verhaftung eher in der zweiten Reihe des ANC agierte – zum einzig logischen Präsidentschaftskandidaten der Partei. Zu groß war die Ikone inzwischen aufgebaut worden, als dass sie innerhalb der Partei hätte herausgefordert werden können. Mandela aber ging besonnen mit seiner Macht um und trat nach einer Amtszeit als Präsident 1999 freiwillig ab.

Seine Bedeutung für Südafrika blieb dennoch enorm. Nicht nur der ANC, sondern selbst Oppositionsparteien beriefen sich in den Folgejahren immer wieder auf Mandela, um ihrer Politik Legitimation zu verleihen. Der einstige Freiheitsheld selbst wurde zudem bis ins höchste Alter als Aushängeschild seines Landes ins Rampenlicht gestellt. Als Südafrika 2010 als erstes afrikanisches Land eine Fußballweltmeisterschaft ausrichten durfte, wurde er vor dem Finale durchs Soccer-City-Stadion in Soweto geführt. Der damalige Fifa-Chef Sepp Blatter bekam so seine Wunschbilder. Die Massen jubelten, auch wenn Mandela damals schon von seiner dritten Ehefrau Graça Machel zum Winken animiert werden musste. Noch als der Freiheitsheld schließlich 2013 im Sterben lag, umringten Journalist*innen aus aller Welt das Krankenhaus, seine Beerdigung wurde zum medialen Großereignis.

Eine Prise Madiba-Magic

Die damals erzählten Schauergeschichten, Südafrika könne nach Mandelas Tod im Chaos versinken, haben sich nie bewahrheitet. Der Mensch Nelson Mandela ist verstorben, sein Ikonenbild aber hat ihn überlebt. Und so ließ es sich nun eben auch der amtierende Präsident Cyril Ramaphosa nicht nehmen, auf den Kapstädter Rathausbalkon zurückzukehren, wo Mandela inzwischen als Statue verewigt ist. Nach Jahren der Korruption unter seinem Vorgänger Jacob Zuma und inmitten einer handfesten Wirtschaftskrise kann der aktuelle Staatschef eine Prise Madiba-Magic, wie die Südafrikaner den Mandela-Effekt nach dessen Clan-Namen nennen, gut gebrauchen. „Lasst uns alle, jeder von uns, versuchen in seinem Sinne zu leben“, erklärte Ramaphosa in seiner Rede. „Lasst uns versuchen, seine Vision zu verwirklichen, indem wir alle zusammenarbeiten, um das Südafrika zu erreichen, das wir wollen – ein demokratisches, nicht nach Rassen getrenntes, nicht-sexistisches und prosperierendes Südafrika, in dem der Wohlstand zwischen allen geteilt werden kann.“ Doch längst nicht mehr allen gefällt die fortgesetzte Instrumentalisierung der Ikone. „Als Nelson seine Rede von diesem Balkon hielt, hat er den Menschen Südafrikas für seine Freilassung gedankt, er hat nicht der Regierung gedankt“, erinnerte sich Denis Goldberg, im Rivonia-Prozess an der Seite Mandelas ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilt, nun im Rahmen der Feierlichkeiten im Gespräch mit dem Nachrichtenportal Daily Maverick. „Wir waren damals in der Krise und wir sind heute in der Krise“, bilanzierte Goldberg. „Und nur das Volk kann sie beheben.“

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »