Kein Ende in Sicht: Weitere Blätter werden eingehen
Philip Meyer wird „Vater des investigativen Journalismus“ genannt. Er ist emeritierter Journalismusprofessor an der Universität North Carolina und Autor des Buches „The Vanishing Newspaper“ über das Verschwinden der Tageszeitung. Darüber sprach mit ihm Gerti Schön.
M | Was könnte die angeschlagene Zeitungsbranche retten?
PHILIP MEYER | Ich glaube, die Zeitungen können mit der Konkurrenz des Internets fertig werden, indem wir aus der Zeitung ein hochspezialisiertes Produkt machen. Spezialisierung war schon immer angesagt, wenn traditionelle Medien durch technologische Entwicklungen bedroht waren, Radiosender zielen zum Beispiel auf immer kleinere geographische Regionen ab.
M | Wie könnte diese Spezialisierung aussehen?
MEYER | Zeitungen müssen sich auf ein Elitepublikum konzentrieren, also jene Bürger, die wirklich am öffentlichen Leben und den demokratischen Institutionen interessiert sind, die nach investigativem Journalismus und intelligenter Analyse verlangen und genau verfolgen, was ihre Regierung macht. Man könnte die Zeitungsteile sogar getrennt verkaufen, also nur den Politikteil, Wirtschaft, Sport usw. Auf diese Weise kaufen die Leser nur das, woran sie interessiert sind.
M | Was bedeutet das für den Vertrieb der Zeitungen?
MEYER | Die spezialisierte Zeitung der Zukunft wird wahrscheinlich nicht mehr täglich und in einem kleineren Format erscheinen. Sie wird eine Kombination aus Meinung und Hintergrund enthalten und nur noch einmal die Woche in Print herauskommen, während man für die aktuellen Entwicklungen ins Internet geht. Auf diese Weise gewöhnt man sich daran, ständig zwischen den beiden Medien hin und her zu wechseln, auch wenn die Information von der gleichen Quelle kommt.
M | Was halten Sie von einem reinen Abonnement-Modell ohne Anzeigen?
MEYER | Ich argumentiere in meinem Buch, dass das Hauptprodukt der Zeitungen nicht Information ist, sondern Einfluss. Sie haben kommerziellen Einfluss durch die Anzeigen und gesellschaftlichen Einfluss durch die Berichterstattung, und je größer der letztere, desto wertvoller wird das Anzeigengeschäft. Es kann sogar sein, dass sich die Zeitungen aus diesem Grund ganz und gar durch Werbung finanzieren ließen und die Leser nicht unbedingt mehr dafür zahlen müssen. Ich glaube also nicht, dass wir auf Anzeigen verzichten müssen.
M | Eine Reihe von lokalen und regionalen Zeitungen sind bereits eingegangen. Wird die gegenwärtige Krise auch die großen Verlagshäuser erfassen?
MEYER | Nationale Zeitungen wie USA Today, die New York Times und das Wall Street Journal werden weiter bestehen, weil sie allein ihres Einflusses auf die Gesellschaft wegen unverzichtbar sind.
M | Sehen Sie ein baldiges Ende der gegenwärtigen Krise?
MEYER | Oh nein. Wir verlieren seit 1971 durchschnittlich zwölf Blätter im Jahr. Das wird noch schlimmer werden.