Ecuador: Fake News sorgen für Panik

Screenshot: http://www.ecuadorchequea.com/

Eine Welle von Fake News macht der ecuadorianischen Regierung mitten in der Coronakrise zu schaffen. Falsche Informationen, manipulierte Fotos und Videos sollen den Eindruck erwecken, so eine Untersuchungskommission, dass die Regierung der Lage nicht gewachsen sei. Die Regierung glaubt, dass die gezielte Verbreitung von Fake News einen politischen Background hat. Für die Journalist*innen von „Ecuador Chequea“ nur ein Teil des Problems. Sie plädieren für mehr Qualität in der Berichterstattung.

Videos von brennenden Leichen aus Guayaquil, der ökonomischen Drehscheibe Ecuadors, machten Ende März in den sozialen Medien genauso die Runde wie Fotos eines von der Stadtverwaltung in Auftrag gegebenen Massengrabs. Nur zwei Beispiele für Fake News, die derzeit in Ecuador in großer Zahl die Runde machen, für Verunsicherung und teilweise auch für Panik sorgen. Einhundert Mails und Anrufe mit Bitten, zweifelhafte Fotos, Videos oder im Netz zirkulierende Informationen zu prüfen, erhält Desirée Yépez und ihre Kollegen von „Ecuador Chequea“ derzeit pro Tag.

So gab es das Foto einer Leiche, die angeblich dem Meer überantwortet wurde. Mit der Strömung, heißt es auf Facebook, werde sie ins benachbarte Peru treiben. Eine Fehlinformation, die zudem mit Bildern illustriert wurde, die aus Libyen stammten, wo nach einem Schiffsunglück die Leichen von afrikanischen Migranten am 25. August 2014 angespült wurden. Das hat die Redaktion von „Ecuador Chequea“, so viel wie „Ecuadur  Überpüft“ recherchiert. Seit dem Oktober 2016 widmet sich die dreiköpfige Redaktion der Überprüfung suspekter Nachrichten und begreift das Aufspüren und Richtigstellen von gefakten News als journalistisches Genre. „Parallel dazu haben wir Recherchen über die Kapazität der Bestattungsunternehmen in Guayaquil und die durchschnittliche Zahl von Toten gemacht, um die Übersterblichkeit aufzuzeigen“, so Desirée Yépez. Ziel sei die Leser aufzuklären, Horrormeldungen zu entkräften, die im Kontext der Coronakrise Konjunktur hätten.

Guayaquil ist das Epizentrum der Pandemie in Ecuador mit landesweit 11200 positiv getesteten Menschen und 560 Toten. (Stand 28. April) 7500 der Infizierten entfallen auf die Provinz Guayas mit der Hauptstadt Guayaquil. Fake News haben vor allem dort für Panik gesorgt.

Falschmeldungen als politisches Instrument

Dabei geht „Ecuador Chequea“ nicht der Herkunft der Falschmeldungen nach. Dafür hat die ecuadorianische Regierung eine Kommission gegründet. Das Kommunikationssekretariat Secom will 6000 Konten in sozialen Netzen, auf Twitter, Instagram, Facebook und Co., aufgespürt haben, über die Fehlinformationen gestreut werden. Man wolle die Regierung destabilisieren, so Gabriel Arroba, bis Ende April Leiter des Secom, das den Fake News nachgeht und Mitglieder der ehemaligen Regierung von Rafael Correa verdächtigt, dahinter zu stecken.

Der im Mai 2017 vereidigte Lenín Moreno liefert sich mit seinem Vorgänger Rafael Correa seit rund zwei Jahren einen öffentlich ausgetragenen Konflikt. Correa wurde gerade in Ecuador wegen Korruption zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Damit steht ein politisches Comeback des für seinen autoritären und medienfeindlichen Führungsstil bekannten Ex-Präsidenten in Frage. Correa lebt mit seiner belgischen Frau in Brüssel und weist die Verdächtigungen von sich. Für die gebe es bisher nicht ausreichend stichhaltige Beweise. Deshalb hat er Berufung gegen das Urteil angekündigt.

Das sieht der unabhängige Journalist Arturo Torres, ehemaliger Redaktionsleiter der in Quito erscheinenden Tageszeitung „El Comercio“ und heute verantwortlichen für das investigative Rechercheportal „Código Vidrio“ anders. Torres schreibt, dass in den letzten  zwei März-Wochen mehr als 4000 Falschmeldungen aus einem Geflecht von User-Konten aus Mexiko, Venezuela und Ecuador abgesendet und über Twitter, Telegram, Facebook und andere Kanäle vertrieben worden seien. Millionen Menschen seien über das System erreicht worden. Prinzipielles Ziel dieser „Informationen“ sei offenbar, die Regierung von Moreno zu destabilisieren und Chaos zu säen, meint Torres.

Diese These teil Kommunikationswissenschaftler Gerardo Merino von der Zentraluniversität in Quito nur teilweise. Für das mitunter chaotische Krisenmanagement und für die Defizite bei der Bestattung der Toten in Guayaquil sei die Regierung zumindest mitverantwortlich gewesen. „Es ist richtig, dass eine Menge an Fake News in Ecuador kursieren. Es ist auch möglich, dass sie zumindest zum Teil einen politischen Hintergrund haben. Aber ich denke auch, dass die Regierung ihre eigenen Versäumnisse hinter der Debatte über Fake News versteckt“, kritisiert er.

Unstrittig ist, dass das Bestattungssystem in Guayaquil kollabierte, weil rund 85 Prozent der Beerdigungsunternehmen ihre Arbeit wegen fehlender Schutzmasken, Handschuhen und anderen Sicherheitsmaterialien einstellten. Zugleich vermisst Merino kritische Berichterstattung und eine Debatte über die Defizite im Krisenmanagement und deren Hintergründe. „Die großen Medien widmen diesen Themen zu wenig Aufmerksamkeit. Warum sind Kochrezepte im Zeichen der Pandemie wichtiger als die Folgen der Quarantäne in den Armenvierteln“, fragt er. Für Merino lehnen sich zu viele Medien zu stark an die Regierung an. Alternative Medien, darunter auch „Ecuador Chequea“, die überprüfen, nachfragen und analysieren, gäbe es immer noch zu wenig. Das müsse sich ändern, auch das wäre ein Beitrag zur Eindämmung der Fake News.

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Pokerspiele der Süddeutschen Zeitung

Bei einer Betriebsversammlung des Süddeutschen Verlags am vergangenen Dienstag ruderte Geschäftsführer Dr. Christian Wegner etwas zurück. Er deutete an, dass der Stellenabbau in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung (SZ) nicht ganz so dramatisch ausfallen könnte wie bislang befürchtet. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass der Verlag in München für das laufende Jahr mit einem Abbau von 30 Vollzeitstellen plant. Die dju in ver.di kritisiert das Vorhaben scharf.
mehr »

Italien plant harte Strafen für Journalisten

Italien plant eine Reform seines Verleumdungsgesetzes. Das Vorhaben wird derzeit vom Justizausschuss des italienischen Senats geprüft und sieht neben höheren Geldstrafen auch ein gefährliches Verbot journalistischer Berufsausübung vor. Verurteilte Reporter*innen könnten ein Arbeitsverbot von bis zu sechs Monaten erhalten. Auch Haftstrafen für Medienschaffende, die eigentlich nicht im Gesetz auftauchen sollten, werden in einem jüngsten Änderungsantrag wieder hinzugefügt.
mehr »

Echte Menschen in Film und Fernsehen

Wie wird Künstliche Intelligenz das Filmgeschäft verändern? Und welche Auswirkungen hat die Technologie auf die Kreativen? Die Erwartungen an KI sind groß, die Befürchtungen aber auch. Denn Algorithmen können mit Hilfe von großen Datenmengen schon heute Stimmen oder Deepfakes erstellen. Auf der Fernseh- und Streaming - Messe MIPTV in Cannes beschäftigte das Thema die internationale Branche.
mehr »

Leipzig: Rechtswidrige Durchsuchung

Ein 19-jähriger Journalist hatte im Juni vergangenen Jahres Fotos einer Antifa-Demonstration im Internet veröffentlicht. Die Staatsanwaltschaft Leipzig durchsuchte daraufhin seine Wohnräume und beschlagnahmte mehrere Datenträger. Seine nachgewiesene journalistische Tätigkeit wurde dabei ignoriert. Das Landgericht Leipzig bezeichnet das Vorgehen nun als rechtswidrig.
mehr »