Ein Amt von radikaler Machtlosigkeit

Seit dem 18. Dezember 1997 ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Freimut Duve der erste „Beauftragte für die Freiheit der Medien“ der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Er selbst hatte die Schaffung dieses Postens maßgeblich initiiert. „Reporter ohne Grenzen“ befragte ihn für „M“ zu Chancen und Problemen seines neuen Amtes.

? Herr Duve, Sie engagieren sich seit langem auf vielen Ebenen für die Menschenrechte und besonders für die Pressefreiheit. Haben Sie die Arbeit, die Sie – auch als Mitglied von „Reporter ohne Grenzen“ – unterstützen, nun zu Ihrem Beruf gemacht?

Duve: Das kann man so nicht sagen. Die Freiheit des Wortes als Voraussetzung für Demokratie beschäftigt mich schon seit meinem Studium. Das ist aber nichts Ungewöhnliches für meine Generation, die nach Kriegsende erlebte, was in der DDR, Ungarn, der CSSR passierte. Die Drangsalierung demokratischer Politiker, Schriftsteller und Autoren hatte ja schon zu den ersten Schritten der Nationalsozialisten gehört. Dieses Bewußtsein hat doch viele von uns – unabhängig ob rechts oder links – bei unserer politischen Arbeit begleitet, als wir solche Angriffe vor dem Hintergrund der DDR-Ideologie auch in Deutschland wieder stattfinden sahen.

? Pressefreiheit, die Freiheit zu informieren und informiert zu werden, ist Voraussetzung für Demokratie, ein elementares Menschenrecht. Warum braucht die OSZE einen Beauftragten für eine Angelegenheit, die doch eigentlich jedem ihrer Vertreter am Herzen liegen sollte?

Duve: Sie liegt nicht nur den Mitgliedern am Herzen, sondern ist auch Grundbestandteil aller Verträge. Die OSZE ist ja, anders als die UNO, konstitutiv eine Familie von Demokratien. Wenn man die Budapester Akte liest, die Kopenhagener Erklärung oder die Helsinki-Charta von 1975, dann ist immer klar: Die Unterzeichnerstaaten sind auch deshalb Mitglieder, weil sie Demokratien sind oder es zumindest sein wollen. Bei der UNO sitzt dagegen im Sicherheitsrat nach wie vor eine Mega-Diktatur, nämlich China. Das wäre in der OSZE in dieser Form nicht möglich.

? Trotzdem hat die Pressefreiheit, wie die Menschenrechte überhaupt in den verschiedenen Staaten der OSZE einen unterschiedlichen Stand.

Duve: Es gibt ganz dramatische Unterschiede. Die postkommunistischen Staaten hatten zum Teil auch vor dieser Phase der Diktatur nur eine sehr dünne Demokratiegeschichte. Auch macht es für die demokratische Kultur einen Riesenunterschied, ob ein Land 70 Jahre Diktatur durchgemacht hat oder zwölf. Eine solche Kultur ist aber wichtig im täglichen Erleben, in der Kommunalpolitik, in der Kritik an einem schlechten Bürgermeister oder an der Entwicklung einer Mafia, die überall in der Welt ganz schnell entstehen kann, wenn es keine freie Presse gibt. Pressefreiheit ist eben nicht nur das Menschenrecht, sondern auch ein Korrektiv für politische Entscheidungen auf allen Ebenen. Jede Regierung, die glaubt, sie müsse Kritik zunächst einmal kleinhalten, damit die noch so fragilen Strukturen in Ruhe aufgebaut werden können, landet schnell in der Sackgasse. Die Verwandlung von klugen Gedankenführern in Despoten ist oft ein sehr kurzer Prozeß.

Es wird ja oft gefragt, ob die Journalisten nicht verantwortungslos handeln, wenn sie permanent versuchen, jeden Politiker zu Fall zu bringen. Das ist ein sehr wichtiges Argument, aber diese Verantwortung muß der Journalist sich selber abverlangen. Wenn der Staat dies tut und mit dem Begriff der Verantwortung gegen den Journalisten hantiert, will er ihn kleinhalten.

? Ihr Mandat gilt nicht nur für Staaten, in denen eine freie Presse erst im Aufbau begriffen ist. Wo sehen Sie Probleme in den „alten“ Demokratien?

Duve: Da gibt es eine zweite, ganz anders geartete Dimension meines Amtes: Welche Rolle spielt die Freiheit des Wortes, die Freiheit der Kritik, also der Journalismus mit der ihm eigenen Ethik und dem ihm eigenen Auftrag bei der Industrialisierung der Medien? In einigen der großen Medienkonzerne ist der genuin journalistische Anteil relativ klein geworden. Wenn in Zukunft aber nicht mehr Stahlindustrie oder Maschinenbau im Zentrum der wirtschaftlichen Entwicklung stehen, sondern die Medien, dann haben sie als Unternehmen auch die Verantwortung, die eben geschilderte Funktion des Journalismus zu gewährleisten und müssen ihm ähnlich wie der Staat den dafür nötigen Schutzraum garantieren.

? Wie wollen Sie Ihre Arbeit angehen, was wird die geschickteste Taktik sein? Sich auf diejenigen Staaten konzentrieren, in denen die Lage besonders schlecht ist, oder eher flächendeckend zu arbeiten und überall auf Entwicklungen hinzuweisen, die Sie für bedenklich halten?

Duve: Es wäre wirklich Unsinn, wenn der Medienbeauftragte der OSZE versuchte, die ungeheure Materialfülle, die es zu diesen Entwicklungen bereits gibt, zu duplizieren. Ich habe eine ganz spezifische Rolle, die sehe ich auf zwei Ebenen: Wenn mein Institut direkt auf einen Vorfall angesprochen wird, dann werde ich das der OSZE zu dem Zeitpunkt mitteilen, wo ich mit meinen Mitarbeitern zu dem Schluß gekommen bin, wir müssen jetzt diesen oder jenen Schritt tun. Da gibt es aber ganz verschiedene Rhythmen: Es kann zum Beispiel sein, daß wir ein Forschungsinstitut oder eine NGO (Non Government Organisation, Nicht-Regierungsorganisation, red.) fragen, ob sie für uns jemanden zur Beobachtung hinschicken könnten und erst danach selbst aktiv werden. Natürlich besteht ein Teil der Arbeit auch darin, in Bedrängnis geratenen Menschen zu helfen und dafür auch die Medien mit einzuspannen. Es wird aber auch Fälle geben, wo wir längst mit den betreffenden „Verantwortlichen“ und Instanzen in einem kritischen Diskurs sind, bevor wir irgendetwas davon öffentlich machen.

? Sie sind aber optimistisch, daß Ihr Amt – in welcher Form auch immer – genügend Einfluß entwickelt, um überhaupt hinter den Kulissen Druck machen zu können?

Duve: Das Wichtigste ist, wie immer in der politischen Geschichte der Ethik, daß man Machtlosigkeit in Einfluß verwandelt. Ich will das nicht überhöhen, aber: Dieses Amt ist von radikaler Machtlosigkeit, hat aber schon jetzt Elemente von Einfluß. Die weitere Entwicklung wird sehr stark davon abhängen, wie verantwortungsbewußt meine Mitarbeiter und ich mit diesem Einfluß umgehen, wie stark die Unterstützung durch Journalisten, die Verantwortlichen der Medienindustrie und die in dieser Frage engagierten Regierungen sein wird. Auf allen drei Ebenen habe ich schon gemerkt, daß da Unterstützung kommt.

? Sie verfügen über keinerlei Sanktionsmöglichkeiten. Wie können Sie im konkreten Fall Druck ausüben?

Duve: Zum einen ist es wichtig, daß der amtierende Präsident der OSZE – das ist der Außenminister des Landes, das jeweils den Vorsitz innehat – die Philosophie mitträgt. Ich unterstehe ja nicht dem Generalsekretär, sondern dem Präsidenten. Ich merke aber auch, daß die OSZE selbst, die Mitarbeiter der Organisation in Wien ebenso wie die Botschafter, mit denen ich in den letzten Wochen schon viel habe reden können, sich enorm für diese Sache engagieren. Es könnte durchaus sein, daß der eine oder andere von ihnen meine Arbeit unterstützt, selbst wenn es in seinem eigenen Land Probleme für die Pressefreiheit gibt.

Außerdem werde ich versuchen, in den drei Jahren dieser ersten Amtszeit möglichst alle OSZE-Staaten zu besuchen und dort in Round-Table-Gesprächen mit Journalisten und Medienverantwortlichen die jeweilige Lage zu besprechen. Nehmen wir einmal Rußland, wo es einen hochinteressanten, sehr komplexen Journalismus gibt, aber natürlich auch Medien von Firmen aufgekauft wurden, die eigentlich in ganz anderen Bereichen tätig sind. Ich denke, es ist dringend an der Zeit, mit den in diesen Unternehmen für die Medientöchter Verantwortlichen über die Grundanforderungen an einen unabhängigen Journalismus zu diskutieren.

? Das ist ein Beispiel für eher strukturelle Probleme. Sie werden sich aber auch um ganz konkrete Fälle kümmern müssen. Können Sie ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit nennen, wo sie aktiv geworden wären, wenn es Ihr Amt schon gegeben hätte?

Duve: Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Beispielen nennen, aber in dieser Anfangsphase bin ich verhalten. Nehmen wir einmal die Verhaftung des weißrussischen Journalisten Pawel Scheremet, der im Auftrag des russischen Fernsehens über Schmuggel an der ukrainisch-weißrussischen Grenze recherchierte und dann in Weißrußland wegen illegalen Grenzübertritts ins Gefängnis kam. Wenn in einem solchen Fall der Betroffene selbst, Freunde, Kollegen, Familienangehörige oder auch Regierungen sich an mich wenden, werde ich tätig sein. In manchen Staaten gibt es auch geradezu kafkaeske Gesetzeslagen: Die Regierung behauptet dann, dieser oder jener ihrer Schritte sei nicht nur völlig legal, sondern aufgrund der Gesetze geradezu notwendig gewesen. Da ist relativ schnell die Grenze meiner Tätigkeit und damit der Punkt erreicht, an dem ich der OSZE einen Bericht vorlege und womöglich weitere Maßnahmen vorschlage. Es gilt abzuwägen, denn es gibt Staaten, denen so etwas unangenehm ist – aber auch solche, denen das ganz und gar nichts ausmacht.

Eines muß ich aber deutlich machen: Der Medienbeauftragte ist keine NGO und kein Missionar. Es wird eine hoffentlich gute Zusammenarbeit geben, aber die NGOs können von mir nicht jene Macht erwarten, die sie selbst nicht haben. Es kann deshalb durchaus Situationen geben, wo zum Beispiel „Reporter ohne Grenzen“ sagt: Da hätte der Duve doch längst etwas machen müssen. Ich muß aber immer die Wirkung meines Protestes analysieren. Das darf eine NGO meiner Meinung nach nie. Sie muß immer protestieren, wenn sie überzeugt ist, daß jemandem Unrecht geschieht.


    Mit Freimut Duve sprach Jochen Siemer/ROG
nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

US-Wahlkampf: Absurd, aber sehr real

Der US-Wahlkampf kommt in die heiße Phase. Journalistin und Historikerin Annika Brockschmidt beobachtet seit mehr als einem Jahrzehnt das politische System der USA. In ihren neuen Buch beschreibt sie, wie historische Entwicklungen und Machtkämpfe die republikanische Partei geprägt und radikalisiert haben. Mit M spricht Brockschmidt über die Kommunikationsstrategien der extremen Rechten in den USA und die Wahlberichterstattung.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »

Nachrichten gegen Desinformation

Über 800 Medien wie Reuters, die Washington Post, Zeit Online und AFP unterstützten den diesjährigen World News Day, der zeitgleich mit dem UN-Tag für den universellen Zugang zu Information, am 28. September gefeiert wird.  „Journalismus ist das Sicherheitsnetz unserer Gesellschaft, sagte David Walmsley, Gründer des Weltnachrichtentages und Chefredakteur der kanadischen Zeitung Globe and Mail. Dieses Sicherheitsnetz hat Risse und hängt fast überall in der Welt am seidenen Faden - und mit ihm alle freien Gesellschaften.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »