Ihr Durchhaltevermögen hat sich gelohnt. Nach fast zwei Wochen Ausstand haben die Beschäftigten des US-Medienunternehmens Insider Inc. ihre Forderungen durchgesetzt. Erreicht haben sie ein Mindestjahresgehalt von 65000 US-Dollar (ca. 60000 Euro), Gehaltserhöhungen, Erstattungen für gestiegene Krankenversicherungskosten in Höhe von insgesamt 400000 US-Dollar sowie weitere Zugeständnisse. Für die meisten Gewerkschaftsmitglieder sollen die Löhne sofort um 3,5 Prozent steigen, 2024 um 3,75 Prozent und um weitere drei Prozent 2025. Bis Jahresende werden keine Gewerkschaftsmitglieder entlassen.
Über 250 in der Insider-Gewerkschaft (Insider Union) organisierte Reporter*innen, Redakteur*innen, Produzent*innen und Designer*innen waren ab Mitternacht des 2. Juni in einen unbefristeten Streik getreten. Sie forderten unter anderem einen fairen Tarifvertrag und kostengünstigere Gesundheitsversorgung. Auf der Spendenplattform GoFundMe war für die Streikenden gesammelt worden, um den Gehaltsausfall abzumildern.
Die Insider Union wird von der Gewerkschaft NewsGuild of New York vertreten. „Das Insider-Management dachte vielleicht, dass ihr union-busting unsere Solidarität brechen würde, aber stattdessen sind wir stärker geworden. Wir definieren neu, was Journalist*innen am Arbeitsplatz gewinnen können“, so Susan DeCarava, Vorsitzende der NewsGuild of New York, am 14. Juni.
Post an Springer-Vorstand
Post von den Streikenden hatte auch Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer SE, des Mutterkonzerns von Insider Inc., bekommen. In einem auf Twitter veröffentlichten Brief vom 8. Juni hatte sich der Tarifausschuss der Gewerkschaft an Döpfner und Jan Bayer, Vorstand von News Media USA, mit der Bitte gewandt, den Forderungen der Streikenden an die Unternehmensleitung entgegenzukommen. Bei einem Besuch im New Yorker Büro im Dezember 2022 habe Döpfner Insider Inc. „überraschend profitabel“ genannt und als Vorbild für den gesamten Konzern angepriesen. Diese Wertschätzung ihrer Arbeit solle sich auch in den Verhandlungen zeigen, so der Tarifausschuss in besagtem Schreiben. Einen weiteren Brief hatte der Ausschuss am 8. Juni an den Finanzinvestor KKR adressiert, der über ein Drittel der Springer-Aktien hält. Der Konflikt mit dem Insider-Management schade Insider wirtschaftlich, spalte die Organisation und untergrabe das „erklärte Bekenntnis von Axel Springer zu qualitativ hochwertiger Originalberichterstattung“, hieß es darin.
Die Streikenden baten auch die Öffentlichkeit um Unterstützung, niemand sollte während des Streiks auf Artikel der Onlinepublikation „Insider“ (ehemals „Business Insider“), der bekanntesten des Medienunternehmens, klicken oder diese teilen, die „digitale Streikpostenkette“ (digital picket line) also nicht durchbrechen. Eingeschaltet hatte sich sogar die US-Regierung. Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, hatte in einer Stellungnahme an „Business Outsider“, einer Publikation der Streikenden, am 8. Juni geschrieben, alle Beschäftigten verdienten Mitspracherecht am Arbeitsplatz, das gelte auch für Journalist*innen.
Zwei Jahre verhandelt
Zwei Jahre lang hatte die Insider-Gewerkschaft einen fairen Tarifvertrag (Collective Bargaining Agreement) verhandelt. Angefangen hatte alles im April 2021, als über 300 Beschäftigte von Insider Inc. die Gründung einer Gewerkschaft verschiedener Beschäftigtengruppen, von Redakteur*innen bis Videoproduzent*innen, meldeten. Im Juni 2021 wurde die Gewerkschaft offiziell von der zuständigen Behörde, dem National Labor Relations Board (NLRB), zertifiziert. Für Unmut hatte insbesondere die Entscheidung des Insider-Managements gesorgt, den Krankenversicherungsanbieter Ende 2022 zu wechseln, von UnitedHealthcare zu Cigna, was für die Beschäftigten zu höheren Kosten bei gleichzeitigem Wegfall bestimmter Gesundheitsleistungen führte. Die Insider Union erachtete den Vertragswechsel, der ohne vorherige Absprache erfolgt war, als illegal und meldete im November 2022 diese unlautere Beschäftigungspraxis (Unfair Labor Practice, ULP) dem NLRB. Die Behörde sah die Vorwürfe der Gewerkschaft als begründet an und reichte im Mai 2023 Beschwerde ein.
Am 24. April 2023 hatten Hunderte Beschäftigte bei Insider bereits für einen Tag die Arbeit niedergelegt, als bekannt wurde, dass das Management plante, 60 gewerkschaftliche organisierte Beschäftigte zu entlassen – obwohl es keine ökonomische Notwendigkeit dafür gab. Die Insider Union hatte der Unternehmensführung eine Deadline bis 1. Juni 23.59 Uhr gesetzt, um die ULP zu beheben und zu einem fairen Vertrag zu kommen. Am 10. Juni waren drei weitere ULP-Beschwerden der Gewerkschaft dazugekommen, zwei davon, weil Manager per Twitternachrichten gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte von weiteren Aktivitäten abhalten wollten bzw. diese auf Twitter und LinkedIn blockiert hatten. Die Beschwerde wegen des Versichererwechsels wurde dank der Einigung vom 14. Juni beigelegt und auch die geplanten Entlassungen sind vorerst gestoppt.
Eine weitere besorgniserregende Entwicklung für die Beschäftigten bleibt die Einführung von KI-Systemen, die Entlassungen zur Folge haben könnte. Am 9. Juni berichtete Reuters, der Verlag Axel Springer wolle KI-Unternehmen übernehmen, die „in der Frühphase oder in der Spätphase“, so Döpfner, „aus verschiedenen Gründen wichtig oder attraktiv für Axel Springer sein können“.
Der Streik bei Insider reihte sich ein in weitere in der US-Medienbranche. Anfang Mai traten rund 11500 Drehbuchautor*innen nach Aufruf der Writers Guild of America (WGA) in den Ausstand. Einige Tage nach Streikbeginn bei Insider streikten Hunderte Beschäftigte des US-Medienkonzerns und größten US-Zeitungskette Gannett am 5. Juni (an manchen Standorten auch länger), zeitgleich zur jährlichen Aktionärsversammlung – es war bislang die größte gemeinsame Aktion von Gannett-Beschäftigten. Aufgerufen dazu hatte NewsGuild.