Europas Blick nach Osten

In der Europäischen Union ist die Pressefreiheit im Großen und Ganzen garantiert. Für die zentralasiatischen Staaten gilt das jedoch ganz und gar nicht. Jetzt sucht die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nach einer neuen Strategie im Umgang mit den früheren Sowjet­republiken in der Region. Dabei geht es auch um Menschenrechte und Pressefreiheit. Doch unter welchen Bedingungen arbeiten Journalisten in Ländern wie Usbekistan oder Turkmenistan eigentlich? Pressefreiheit und Außenpolitik am Beispiel Zentralasiens.

Erik Bettermann fand klare Worte: „Es ist nicht zu akzeptieren, dass Journalisten durch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen eingeschüchtert und unter Druck gesetzt werden.“ Adressat der Worte des Intendanten der Deutschen Welle war der usbekische Präsident Islam Karimow. Diesen forderte Bettermann auf, „dafür Sorge zu tragen, dass sein Land auf dem Weg zu einer Demokratie auch und gerade die Rolle der Medien in besonderer Sorgfalt beobachtet und begleitet.“

Deutsche-Welle-Kollegin drohen drei Jahre Haft

Nicht ohne Grund protestierte Better­mann Ende März so massiv bei der usbekischen Regierung. Denn die Behörden in Taschkent hatten am 23. März gegen Natalja Buschujewa, eine usbekische Mitarbeiterin der Deutschen Welle, Ermittlungen eingeleitet. Ihr wird unter anderem vorgeworfen, Einkommen verschleiert und vor allem ohne gültige Akkreditierung als Journalistin gearbeitet zu haben. Allerdings ist die Vergabe von Akkreditierungen in Usbekistan – freundlich formuliert – sehr schwierig. Anträge werden meist nämlich gar nicht erst bearbeitet. Und auf Nachfrage heißt es oftmals, sie seien „verloren gegangen“. Usbekische Bürger dürfen mit nicht-akkreditierten Journalis­ten allerdings nicht sprechen.
Die Situation der Deutsche-Welle-Mit­arbeiterin ist symptomatisch. Nach der blutigen Niederschlagung von Protesten in Andischan im Jahr 2005 wurden die Büros der britischen BBC in Usbekistan genauso geschlossen wie die von „Radio Free Europe / Radio Liberty“. Die Behörden zwangen die Mitarbeiter anschließend zur Ausreise. Wenn heute usbekische Journalisten ausländische Medien mit Informationen versorgen, riskieren sie die Inhaftierung. Natalja Buschujewa drohen im schlimmsten Fall bis zu drei Jahre Haft. Nach Angaben ihres Anwalts hat sich die Journalistin ins Ausland abgesetzt.
Vor diesem Hintergrund war die Zentralasienreise von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am 27. und 28. März eine schwierige Aufgabe. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft arbeitet derzeit an einer neuen europäischen Strategie gegenüber den Ländern Zentralasiens. Dabei geht es darum, bis zum Juni einen „weißen Fleck“ in den Außenbeziehungen der Europäischen Union zu tilgen. Neben Fragen der Energiepolitik und strategischen Überlegungen – die sich aus dem Wunsch nach Stabilität in der Nachbarschaft zu Afghanistan erklären – stehen auch die Themen Bildung, Demokratie und Menschenrechte auf der Tagesordnung. Hier will die Europäische Union, wenn die Staats- und Regierungschefs den deutschen Vorschlägen folgen, mit Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan unter anderem in einen Menschenrechtsdialog eintreten.
Das Auswärtige Amt bemüht sich nach eigenen Angaben schon lange um die Achtung der Pressefreiheit in der Region. In der Tat besteht mit den „Reportern ohne Grenzen“ ein regelmäßiger Dialog. Die deutschen Botschaften in Zentralasien protestieren bei Bedarf gegen Festnahmen von Journalisten oder auch bei Zeitungsschließungen. Auch bei Staatsbesuchen ist es langjährige Übung, dass deutsche Außenminister Menschenrechtsverletzungen ansprechen und Listen mit konkreten Einzelschicksalen übergeben – mit der Bitte um eine Stellungnahme. Auch bei der jüngsten Zentralasienreise hat Steinmeier nach Angaben einer Minis­teriumssprecherin alle relevanten Menschenrechtsthemen angesprochen. Dabei dürfte auch das Schicksal von Natalja Buschujewa erwähnt worden sein, auch wenn es keine offizielle Bestätigung dafür gibt.

Schwieriger Dialog über Pressefreiheit

Die Reaktion des usbekischen Außenministers auf den Besuch seines deutschen Amtskollegen indes sprach Bände. Man verbete sich „die Einmischung in innere Angelegenheiten“, tobte Wladimir Norow auf einer Pressekonferenz mit Steinmeier recht undiplomatisch am 28. März in der kasachischen Hauptstadt Astana. Ein „Verhältnis wie zwischen Lehrern und Schülern“ werde man nicht akzeptieren, meinte er mit Blick auf die Äußerungen Steinmeiers, man wolle beim Aufbau von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie helfen.
Am 7. November 2006 gab es noch Grund zur Zuversicht. An diesem Tag durfte der usbekische Journalist Ulugbek Chaidarow das Gefängnis verlassen und zu seiner Familie nach Andischan zurück­kehren. Gut vier Wochen vorher war der oppositionsnahe Journalist wegen angeb­licher Bestechung und Erpressung zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Kurios war die weitere juristische Behandlung seines Falls. Der Richter verschob aus persönlichen Gründen die Berufungsverhandlung am 7. November. Aber noch am gleichen Tag ordnete er die Freilassung Chaidarows an. Die Begründung: Er habe zu Hause entschieden, dass der Journalist unschuldig sei.
Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) hatte den Fall zuvor öffentlich gemacht und im Vorfeld eines Usbekistan-Besuchs im Herbst 2006 auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf das Schicksal Chaidarows hingewiesen. „Wir haben das Gefühl, dass Steinmeier die Pressefreiheit wichtig nimmt“, meint Elke Schäfter von ROG. „Das merken wir auch an der Ernsthaftigkeit, mit der sich das Auswärtige Amt für unsere Anliegen interessiert.“

Justiz-Willkür gegen Oppositionelle

In Usbekistan bleibt für das Ministerium aber noch viel zu tun: ROG führt das Land auf der „Rangliste zur Pressefreiheit weltweit“ auf Platz 158 von 168 Staaten. Allein wer das Internet nutzt, um an Informationen jenseits der offiziellen Regierungslinie zu kommen, muss mit Verfolgung rechnen. Und die oben skizzierten seltsamen Umstände der Freilassung von Chaidarow verdeutlichen die Willkür, mit der die Justiz gegen Oppositionelle, aber auch gegen Journalisten vorgeht. Ein anderes Beispiel ist Jamschid Karimow. Der Neffe des Präsidenten verschwand nach seiner Festnahme am 12. September vergangenen Jahres zunächst spurlos. Erst zwei Wochen später tauchte der Journalist in einer psychiatrischen Klinik in der Stadt Samarkand wieder auf. Diese hat er bis heute nicht verlassen. „Dieses Vorgehen erinnert an die schlimmsten Zeiten der Sowjetunion“, ist Joel Simon, Direktor des „Komitees zum Schutz von Journalisten“ entsetzt. „Wenn schon ein Verwandter des Präsidenten mit solch brutalen Methoden an der Arbeit gehindert werden soll, ist es schwer vorstellbar, wie es anderen ergehen könnte“.
Als noch schlimmer betrachtet ROG die Lage in Turkmenistan. Auf der Liste der Verletzer der Pressefreiheit steht das Land auf Platz 167 – nur in Nordkorea gibt es somit noch schlechtere Bedingungen für die Medien. Nach dem Tod des für seinen Personenkult berüchtigten Präsident Separmurad Njasow im Dezember hoffen Menschenrechtler allerdings auf eine Besserung der Lage. Auch die Bundesregierung hält den Zeitpunkt für günstig, dem Land jetzt nach dem Regierungswechsel ein Angebot zum Dialog zu machen. Ihrer Ansicht nach gibt es auch in dieser zentralasiatischen Republik ein großes Interesse an einer Zusammen­arbeit mit Europa. Und das gelte es zu nutzen.
Bis sich „europäische Werte“ in Turkmenistan durchgesetzt haben, dürfte es aber noch eine Weile dauern. Der Pressekonferenz in Astana jedenfalls, die sein usbekischer Kollege Norow für Kritik am Westen nutzte, blieb der stellvertretende Außenminister Turkmenistans, Wepa Hadijew, jedenfalls ohne Angabe von Gründen fern, obwohl er zuvor an der von Außenminister Steinmeier geleiteten Konferenz in Kasachstan teilgenommen hatte.
Fragen nach Menschenrechten und Pressefreiheit weichen die turkmenischen Behörden aus naheliegenden Gründen aus. Es gibt nicht ein einziges unabhängiges Medium im Land, ausländische Journalisten sind nicht willkommen und das Internet steht vollständig unter staatlicher Kontrolle. Ohnehin hat nur ein Prozent der Bevölkerung Zugang zum Netz, aber nur zu einer streng gefilterten Version. Seit 2002 fegt eine Welle der politischen Repression durch das Land. Für Aufsehen sorgte im vergangenen Juni die Festnahme von drei Journalisten, die einem franzö­sischen Fernsehkanal bei einer Reisedokumentation geholfen hatten. Ogulsapar Muradowa kam im September unter ungeklärten Umständen in der Haft ums Leben – Menschenrechtler befürchten, dass sie an den Folgen der Folter starb (siehe M, 10 / 2006). Von den damals mit ihr inhaftierten und in einem Schnellverfahren zu sieben Jahren Haft verurteilten Kollegen Annakurban Amanklitschew und Sapardurdi Chadschijew gibt es seit Monaten keine Nachricht. Laut Amnesty International werden sie ohne Kontakt zur Außenwelt gefangen gehalten.

Kasachstan: Medien in Präsidentenhand

In Kasachstan sieht die Lage nur unwesentlich besser aus. So wurde im August vergangenen Jahres in der Großstadt Almaty der französische Journalist Grégoire de Bourges erschossen. Er arbeitete an einem Text im Auftrag der Regierung und fiel offiziellen Angaben zufolge einem bewaffneten Überfall zum Opfer. Laut ROG gibt es aber noch viele offene Fragen zu seinem Tod. Im Land selbst bestimmt die Familie des Präsidenten Nursultan Nasarbajew die Medienpolitik: So gehören seiner Tochter Dariga und seinem Schwiegersohn mehrere Rundfunkstationen und Zeitungen, die früher in staatlichem Besitz waren. Nach der Wiederwahl Nasarbajews im Dezember 2005 wurden zudem mehrere oppositionelle Blätter geschlossen.
Auch aus Tadschikistan werden immer wieder Festnahmen von Journalisten bekannt. Ausländischen Sendern wie der BBC oder „Radio Free Europe“ wird die Arbeit regelmäßig durch bürokratische Hindernisse erschwert. Eine Ausnahme in Zentralasien stellt Kirgisistan dar. In diesem Land hat die Pressefreiheit einen Status erreicht, der als zufriedenstellend betrachtet werden kann.
Das möchte Frank-Walter Steinmeier am liebsten schon bald für alle früheren Sowjetrepubliken in Zentralasien sagen können. Für das Projekt einer neuen europäischen Zentralasien-Strategie, die auch Menschenrechte und Pressefreiheit fördert, ist also genug zu tun. In den nächsten Monaten wird man mit Spannung beobachten können, ob in Brüssel und Berlin der Ansatz der Demokratie­förderung hochgehalten oder letztlich doch dem Aspekt der Absicherung von Rohstoffquellen untergeordnet wird. Denn in der strategisch wichtigen Region Zentralasien sind etwa fünf Prozent der weltweiten Öl- und Gasreserven nachgewiesen.

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