Ein „Horizonterweiterungsprogramm“ für Radiomitarbeiter
Die Erweiterung der Europäischen Union eröffnet neue unternehmerische Perspektiven. Das wollen deutsche Privatsender mit einer – für den Privatfunk einzigartigen – Aktion anschaulich beweisen: Einige ihrer Mitarbeiter sollen zukünftig einen Teil ihrer Weiterbildung im Ausland absolvieren.
„Das wäre eine schöne Vision“, sagt Dirk van Loh. „Wir schreiben 2006 und an dem Programm sind 25 Radiostationen europaweit beteiligt!“ Doch noch steht der Geschäftsführer des Radiovermarkters „Mach 3“ ganz am Anfang seiner Vision von „Europe goes Radio“. Van Lohs Idee: Hörfunksender tauschen untereinander für eine begrenzte Zeit Mitarbeiter aus. Ganz praktisch heißt das, polnische oder tschechische Kollegen fahren zum Beispiel zu deutschen Radiounternehmen – umgekehrt schicken diese einzelne Mitarbeiter nach Warschau oder Prag. Voneinander lernen, die EU-Erweiterung leben und neue Wege der Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter beschreiten – so lautet das Ziel des Austauschs, der im Sommer gestartet wurde. „Wir bieten allen Teilnehmern die Möglichkeit, über den nationalen Tellerrand zu blicken“, verspricht van Loh.
Der zündende Gedanke kam dem 36jährigen, als im Sommer vergangenen Jahres die EU-Erweiterung beschlossen wurde. Van Loh zappte sich durch Fernsehumfragen, bei denen viele Menschen auf der Straße befragt wurden, was sie von der EU-Erweiterung hielten. „Die meisten Äußerungen waren relativ abfällig, über das, was denn dort auf uns zukäme. Viele Äußerungen waren durch Ängste geprägt“, erinnert sich der Radiomann. „Und da ich selbst zweieinhalb Jahre in einem dieser Länder arbeiten durfte, fühle ich mich emotional damit verbunden und hab gedacht, man muss im kleinen was tun, damit sich im großen was ändert.“
Kostenlos freigestellt
Bis 2002 war van Loh beim Warschauer Privatsender Radio Wawa tätig und dort verantwortlich für dessen Vermarkter Agencia Reklamowa. Doch das ist nicht sein einziger Bezug zum Ausland. „Mach3“, dessen Geschäfte van Loh heute führt, ist Teil der Finanz- und Beteiligungsholding Regiocast, zu der auch die Berliner Firma Eurocast gehört, die in Mittel- und Osteuropas Hörfunkbeteiligungen hält. Auch Radio PSR aus Leipzig, bei dem van Loh vor einigen Jahren arbeitete, ist Teil der „Regiocast“.
Diese Firmen konnte er schnell gewinnen. Anschließend holten sich die Deutschen ihre ausländischen Geschäftspartner ins Boot: Radio Wawa, Radio Impuls aus Prag und Juice 107,6 FM aus Liverpool. Finanziert wird das gesamte Programm von den deutschen Partnern: Angefangen von Reise- und Übernachtungskosten bis hin zu einem Taschengeld für die Teilnehmer aus Osteuropa. Außerdem stellen alle Firmen ihre Mitarbeiter kostenlos von der Arbeit frei. Bewerben kann sich jeder im Intranet – egal aus welcher Abteilung, welchen Alters oder wie lange er schon im Unternehmen ist.
Die Kielerin Nina Goldenbaum fuhr im Mai als erste nach Warschau und hospitierte vier Wochen lang bei Radio Wawa. Dessen Programm ist vergleichbar mit Radio Energy in Deutschland und spielt den „besten Mix von Hits der 80er, 90er und von heute“; lediglich der Wortanteil ist etwa ein Drittel höher als bei Energy hierzulande.
Während ihres Aufenthalts studierte Goldenbaum, als Diplombetriebswirtin bei „Mach3“ für Sonderwerbeformen zuständig, vor allem das Kundenmarketing: Wie wird die Off-air Promotion beim polnischen Sender gestaltet, welche Unterschiede existieren im Verkauf? An Projekten für BMW und McDonalds hat sie direkt mitgewirkt und konnte ihre Promotion-Ideen selbst vor dem Kunden präsentieren. „Das verlief genauso, wie in Deutschland. Allerdings: In Polen wird dabei mehr über Privates gesprochen. Die Beziehungsebene ist sehr viel wichtiger als bei uns“, beschreibt Goldenbaum eine ihrer Beobachtungen. Neben den beruflichen Erfahrungen war denn auch das Eintauchen in eine fremde Kultur der wichtigste „Nebeneffekt“ ihres Besuches. „Man lernt die eigene Mentalität sehr viel besser kennen und hinterfragt sie auch mehr.“ Eine weitere Erfahrung: Die polnischen Kollegen sind humorvoller bei der Arbeit, man hört sie weniger stöhnen, obwohl sie einen härteren Alltag haben, als die Deutschen. Heute nimmt die 28jährige Polen anders war. „Ich hatte kein wirkliches Bild“, sagt sie. „Was ich mit Polen assoziiert habe, war, dass es noch Ostblock ist. Ich habe es immer ein bißchen als grau eingestuft und nicht gedacht, dass es dort so modern ist und – was das Radio betrifft – technisch auf dem neuesten Stand.“
Für Erweiterung offen
Genau solche Eindrücke sind es, die sich van Loh von seiner Idee verspricht. „Horizonterweiterungsprogramm“ nennt er denn auch „Europe goes Radio“, das sich seit seinem Start Schritt für Schritt weiterentwickelt. Eine Mitarbeiterin von „Eurocast“ war inzwischen für zwei Wochen in Liverpool, für September wird ein Kollege von Radio Wawa erwartet. Radio PSR will im kommenden Jahr einen Mitarbeiter entsenden. Auf unbestimmte Zeit ist das – für Privatsender ungewöhnliche – Programm angelegt. Ungewöhnlich deshalb, weil dieses Projekt zur Weiterbildung von Mitarbeitern im deutschen Privatfunk eine Premiere ist und Privatradios kaum mit derartigen Aktionen in Erscheinung treten. Doch „Radio goes Europe“ soll auch eine Einladung sein. „Wir sind kein closed shop“, erklärt Initiator Dirk van Loh deutlich. „Wenn andere Radiostationen Interesse haben mitzuwirken, von mir aus auch ARD-Anstalten, dann kann man das Programm ausweiten. Litauen, Estland – da gibt es ja viele Länder, die der EU beigetreten sind und es gibt viele westeuropäische Länder, in denen es viele Radiostationen gibt. Wenn das jemand in die Hand nähme und entwickeln würde, wird das Programm sicher wachsen können. Ich würde das sehr begrüßen.“