In Vietnam hat der Staat alle Medien fest im Griff
In kaum einem Land sind Presse- und Meinungsfreiheit so sehr eingeschränkt wie in Vietnam. Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ nimmt Vietnam Platz 174 ein, von 180 Staaten. Rund drei Dutzend Blogger befinden sich derzeit in Haft, weil sie die Regierung kritisiert haben. Die Medien sind fest in der Hand des Staates, geführt durch die Kommunistische Volkspartei.
Richter Ngo Tu Hoc machte bei der Urteilsverkündung am 19. März vor dem Volksgericht in Hanoi deutlich, wie schwer aus seiner Sicht die Verfehlungen waren, derer sich Pham Viet Dao (Foto) schuldig gemacht hat. Der 62-Jährige, der Mitglied der Schriftstellervereinigung Vietnams ist, habe „die demokratischen Freiheiten missbraucht, um die Interessen des Staates zu verletzen“. Die „Handlungen des Angeklagten“, verlas der Richter, seien „gefährlich für die Gesellschaft.“ Sie versetzten „die Öffentlichkeit in Angst“ und verringerten das „Vertrauen der Menschen in die Führung der Partei und des Staates.“
Daos Verbrechen: Er hatte in seinem Blog die Regierung kritisiert und über heikle Themen geschrieben, etwa den andauernden Territorialkonflikt zwischen Vietnam und China. Das Urteil: 15 Monate Haft. Wenige Tage zuvor hat ein anderes Gericht Truong Duy Nhat, einen weiteren prominenten Blogger, zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die jüngsten Urteile sind keine Ausnahme. Rund drei Dutzend Blogger befinden sich in Vietnam derzeit in Haft, weil sie den Staat kritisiert haben.
Die Medien sind in Vietnam staatlich organisiert. Die Kommunistische Volkspartei (KPV) und staatliche Behörden sind die Herausgeber aller offiziellen Medien. Private Medien gibt es nicht. Das Ministerium für Kultur und Information kontrolliert die Presse und den Rundfunk. Journalisten und Presseorganen drohen schwere Sanktionen, wenn sie sensible Themen ansprechen oder die Regierung kritisieren. Einige Publikationen und Onlinemedien berichten dennoch hin und wieder über Korruption. Das Fernsehen ist das dominante Medium des Landes, wobei in ländlichen Gebieten auch sehr viel Radio gehört wird. Daneben gibt es Hunderte von Zeitungen und Zeitschriften. Die KPV selbst unterhält in allen 61 Provinzen eine Zeitung. Die auflagenstärksten Tageszeitungen auf zentraler Ebene sind das offizielle Parteiblatt Nhan Dan und das Blatt der vietnamesischen Volksarmee Quan Doi Nhan Dan. 2012 hatte das Land 31 Millionen Internetnutzer. Webseiten mit kritischen Inhalten werden jedoch geblockt. Die Internetanbieter des Landes blockieren auch häufig den Zugang zu Facebook.
In den vergangenen Jahren hat sich in Vietnam eine zunehmend vielfältige Bloggerszene entwickelt. Die Hoffnung, dass sich dadurch auch die Meinungsfreiheit verbessert, hat sich jedoch nicht erfüllt. Ganz im Gegenteil: Seit etwa zwei Jahren geht der Staat immer härter gegen Kritiker vor.
Organisationen wie Human Rights Watch (HRW) kritisieren das Vorgehen der Behörden daher regelmäßig. Kurz vor dem Urteil gegen Pham Viet Dao rief HRW Vietnam dazu auf, die Anklage gegen den Blogger fallen zu lassen. Die vietnamesischen Behörden stellten sich „ein Armutszeugnis aus“, indem sie „ein weiteres politisches Verfahren gegen einen friedlichen Kritiker inszenieren“, erklärte HRW-Asiendirektor Brad Adams. Daos einziges „Verbrechen“ bestehe lediglich darin, dass er „das Internet dazu genutzt hat, Meinungen zu äußern, die viele Vietnamesen teilen“, fügte er hinzu.
Seit dem vergangenen Jahr ist ein Gesetz in Kraft, das es Vietnams Bürgern verbietet, im Internet das Tagesgeschehen zu diskutieren. Das Gesetz, das den orwellianisch klingenden Namen „Verordnung 72“ trägt, verbietet es, Nachrichtenartikel auf Blogs und über soziale Medien zu teilen. Nur persönliche Informationen dürfen dort ausgetauscht werden. Die Verbreitung von Informationen, die sich „gegen Vietnam richten,“ die „nationale Sicherheit“ gefährden, oder die „Sozialordnung und nationale Einheit“ gefährden, ist ausdrücklich verboten. Internetfirmen aus dem Ausland sind dazu gezwungen, lokale Server in Vietnam zu betreiben, damit die Behörden jederzeit auf Nutzerdaten zugreifen können. Nicht ohne Grund zählt „Reporter ohne Grenzen“ Vietnam zu den „Feinden des Internets.“
Welle der Kritik
Die regierende Kommunistische Partei reagiert mit den zunehmenden Repressionen auf eine noch nie da gewesene Welle der Kritik, die ihr aus allen Teilen der Gesellschaft entgegenschlägt. Viele Vietnamesen sind über die wirtschaftliche und politische Lage des Landes offenbar desillusioniert. Vietnam galt noch vor wenigen Jahren als asiatischer Tigerstaat, die Wirtschaft verzeichnete Rekord-Wachstumsraten. Doch die strukturellen Probleme haben das Land seitdem mit Wucht eingeholt. Das Wirtschaftswachstum hat sich drastisch verlangsamt, auf zuletzt etwa nur fünf Prozent. Das verschärft die persönliche Notlage vieler Menschen, die hochverschuldet auf Immobilien sitzen, deren Wert stagniert oder sinkt. Hinzu kommen Streitigkeiten über Landnahmen durch als korrupt empfundene Beamte. Sie machen den Großteil der offiziellen Beschwerden aus, die Vietnams Bürgerinnen und Bürger an den Staat richten. Mit ihrer verschärften Repressionspolitik scheint Vietnams Regierung verhindern zu wollen, dass sich in ihrem Land ein ähnlicher Aufstand wie etwa in Tunesien und Ägypten wiederholt.