Freilassung statt Auslieferung

Vor einem Londoner Gericht kämpft Julian Assange derzeit gegen seine Auslieferung an die USA. An seiner Seite weiß er Hunderttausende Unterstützer*innen weltweit, die im Namen der Pressefreiheit die Freilassung des Wikileaks-Gründers fordern. Die USA sehen in Assange einen Spion, der bis an sein Lebensende hinter Gitter gehört – ein Widerspruch zu den Hauptgrundsätzen der amerikanischen Gesellschaft.

Karin Wenk, verantwortliche M-Redakteurin Foto: Christian von Polentz

Ebenso wie im deutschen Grundgesetz nimmt die Pressefreiheit in der amerikanischen Verfassung einen prominenten Platz ein. Als grundlegendes Menschenrecht wurde sie bereits 1791 im ersten Verfassungszusatz fixiert. Getreu dem Grundsatz, dass die Macht des Wissens in den Händen des Volkes liegen sollte, wird dem Kongress untersagt, Gesetze zu erlassen, die Meinungs- oder Pressefreiheit einschränken. Das bedeutet: Jeder darf, ungeachtet der sozialen Herkunft, der politischen Einstellung oder des religiösen Glaubens, veröffentlichen, was immer er will.

Nichts anderes hat Assange getan. Der 49-jährige gebürtige Australier hat über die Plattform Wikileaks geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan veröffentlicht und damit zur Aufdeckung von Kriegsverbrechen durch amerikanische Soldaten beigetragen. Er erfüllt damit die Kernaufgabe von Journalistinnen und Journalisten, Vertreter*innen von Staat und Wirtschaft auf die Finger zu schauen und Fehlverhalten ans Licht zu bringen. Deshalb gehe es in diesem Verfahren um die Frage, ob ein demokratischer Staat jemanden ausliefern und damit der politischen Verfolgung preisgeben dürfe, betonte die Bundesvorsitzende der dju in ver.di, Tina Groll, und warnte vor einer „massiven Beschädigung der Pressefreiheit“, wenn die britische Justiz dem Auslieferungsersuchen nachgebe.

Eine „Auslieferung (…) an die USA, weil er während seines Aufenthalts in Europa journalistisch tätig war,“ würde den Weg frei machen für „die Extra-Territorialiserung von Gesetzen zur Wahrung staatlicher Geheimhaltung“ und eine „Einladung an andere Staaten darstellen, diesem Beispiel nachzueifern“, argumentiert eine Gruppe von 152 Rechtsexperten sowie 15 Anwaltsverbänden aus der ganzen Welt in einem Offenen Brief (lawyersforassange.org/) an die britische Regierung vom 14. August 2020. Bislang respektiere man in einem Rechtsstaat den Unterschied zwischen einem Spion und einem Verleger, mit diesem Fall werde diese Grenze aufgelöst. Diese gefährliche Grenzüberschreitung könne „zu irreparablen Schäden an einem unserer höchsten Güter, der Pressefreiheit“ und damit der Demokratie führen, warnen die Juristen.

Christian Mihr von „Reporter ohne Grenzen“, der zur Anhörung am 7. September in London war, spricht von einem „gefährlichen Präzedenzfall“ für die Pressefreiheit, sollte Assange ausgeliefert werden. An die britische Regierung wurde eine Online-Petition der Organisation mit rund 80.000 Unterschriften übergeben, die seine Freilassung nach fast zehn Jahren Strafverfolgung fordern.

Zugleich gab es in London Kritik an Einschränkungen der Prozessöffentlichkeit. So wurde etlichen Beobachtern – darunter Parlamentariern und Vertretern von Nicht-Regierungsorganisationen – kurzfristig die Akkreditierung für die Online-Übertragung der Anhörung entzogen. Nur wenige durften direkt im Gerichtssaal dabei sein – „dank“ Corona. Mit einer Entscheidung wird Ende des Jahres gerechnet.

Später Sieg

Ein Gericht in den USA hat am 2. September 2020 entschieden, dass die US-Vorratsdatenspeicherung des Geheimdiensts NSA illegal und möglicherweise verfassungswidrig war. Das Überwachungsprogramm, bei dem die NSA die Verbindungsdaten aller Telefongespräche von Millionen Amerikaner*innen sammelte, wurde 2013 durch den Whistleblower Edward Snowden enthüllt. Snowden sitzt immer noch im russischen Exil fest, weil ihm in den USA Strafverfolgung droht.

 

 

 

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