Im Doppel-Pack

Großbritannien und seine zwei Gesetzgebungshoheiten bei einem Informationsfreiheitsgesetz

Gut drei Jahre dauerte die Vorbereitungsphase, seit dem 1. Januar 2005 gilt in Großbritannien der FOIA, der „Freedom of Information Act“, das Informationsfreiheitsgesetz. Was sich einfach liest, war und ist in der Praxis schwierig.

Großbritannien hat jedoch keine einheitliche britische Gesetzgebung – England / Wales / Nord-Irland und Schottland haben eigene Gesetzgebungshoheiten. So gibt es ein „englisch / walisisch / nord-irisches“ Informationsfreiheitsgesetz und in Schottland gilt der „Freedom of Information (Scotland) Act“. Das eine Gesetz wurde vom Westminster Parlament London verabschiedet, das andere vom Scottish Parliament Edinburgh.

Die Schotten sind überzeugt, dass ihr Gesetz einen freieren Zugang zu Informationen ermöglicht als das „englische“ Gesetz. Sie haben zur Überwachung der Abläufe und zur strikten Durchsetzung einen unabhängigen Scottish Information Commissioner eingesetzt. Dieser hat in allen Streitfragen zum schottischen Informationsfreiheitsgesetz das alleinige Sagen. Im restlichen Land gibt es den United Kingdom (UK) Information Commissioner. In Streitfragen um den freien Info-Zugang muss er Beschwerden an das „Information Tribunal“ und den „National Security Appeals Panel“ weiterleiten. Diese entscheiden, der UK-Commsissioner muss die Beschlüsse vollziehen. Scottish Information Commissioner Kevin Dunion sieht „sein“ Gesetz so: „Der Zweck dieser neuen Gesetzgebung ist es, jedem weltweit die Möglichkeit zu geben, Schottlands public authorities (öffentliche Dienste) nach Informationen zu befragen.“ Ob man also in Schottland lebt oder nicht, jeder kann jetzt bei öffentlichen Institutionen in Schottland Informationen erhalten. Ein Grund muss dafür nicht mehr angegeben werden. Eine förmliche Anfrage reicht. Das neue Gesetz gilt für alle öffentlichen Einrichtungen in Schottland, von der schottischen Regierung über die Stadt- und Regionalverwaltungen bis hin zum Amt für historische Bauten. Auch Daten von Ärzten sind eingeschlossen. Sie müssen auf Anfrage ihren Patienten mitteilen, wo – etwa bei welchem Facharzt oder bei welcher Institution – Informationen über sie gespeichert sind. Dazu waren sie bisher nicht verpflichtet.

Die neue Informationsfreiheit wird von Schottlands Politik als ideale Ergänzung der seit 1999 geltenden Informationsfreiheit im schottischen Parlament angesehen. Wer will, kann dort jederzeit per Internet alle laufenden Ausschuss – und Plenumdebatten in Bild und Ton verfolgen.

Keine Regierungsinterna

Für das übrige UK sieht die Informationsfreiheitslage anders aus. Zwar sind seit Neujahr 2005 Informationen von rund 100.000 englischen, walisischen und nord-irischen Institutionen des öffentlichen Bereichs frei zugänglich, doch wenn es z. B. um die Beteiligung am Irak-Krieg und Nord-Irland-Daten geht, ist Schluss mit der Freiheit. Das Londoner Department of Constitutional Affairs hat festgelegt, welche Infos die Öffentlichkeit nicht erreichen sollen. Die wichtigsten Ausnahmen des FOIA sind: … „wenn das öffentliche Interesse an der Zurückhaltung der Information größer ist als das öffentliche Interesse es zu veröffentlichen“. Komplett ausgeschlossen sind solche Informationen, die keinesfalls unter „öffentliches Interesse“ fallen wie bestimmte Verteidigungsdaten und Daten der nationalen Sicherheit. Auch vor der Royal Family macht das Gesetz nicht halt: „Communications with Her Majesty The Queen and other members of the Royal Family“ sind auch weiterhin tabu. Dafür sorgt besonders in Medienkreisen ein anderer Teil für Aufregung. „Information about the formulation of government policy, how a minister’s private office works, ministerial communications and any advice received by a minister“ fallen nicht unter das englische Gesetz.

Interna der britischen Regierung bleiben also auch in Zukunft unter Verschluss. Das führt zu einer interessanten Situation. Während Schotten ihren Ministern (nach dem für Schottland geltenden Gesetz) in Zukunft intensiv auf die Finger schauen können, ist Her Majesty’s Finanzminister Gordon Brown gegen die Info-Freiheit geschützt. Er ist Schotte, wohnt in Schottland, fällt aber als „britisches“ Regierungsmitglied unter das englische Gesetz. Auch Regierungsstellen, die zur Londoner Regierung gehören, aber ihren Sitz in Schottland haben, werden so behandelt.

Die Bürger Britanniens haben zur Überraschung der Politik offensichtlich längst entschieden, wie sie die neuen Gesetze sehen. In den ersten sechs Wochen gingen in London 4.000 Anträge auf Informationen ein. In Schottland sind es knapp 1.000. Es geht dabei zum Beispiel um Infos aus Verträgen zwischen Kommunen und Unternehmen über das Schulmenü, um Reinigungsverträge staatlicher Stellen oder Auskünfte oder wo und unter welchen Voraussetzungen im UK Gen-Mais zu Testzwecken angebaut wird. Viele Behörden sind von diesem Freiheitsdrang (noch ??) sichtlich überfordert. Ihr Problem: Sie müssen jetzt plötzlich offen sein, wo sie doch in der Vergangenheit mit der Verschlossenheit sehr gut leben und entscheiden konnten.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Smart-Genossenschaft für Selbstständige

Smart klingt nicht nur schlau, sondern ist es auch. Die solidarökonomische Genossenschaft mit Sitz in Berlin hat seit ihrer Gründung im Jahr 2015 vielen selbstständig Tätigen eine bessere und stärkere soziale Absicherung verschafft – genau der Bereich, der bei aller Flexibilität und Selbstbestimmtheit, die das selbstständige Arbeiten mit sich bringt, viel zu oft hinten runterfällt.
mehr »

Medienkompetenz: Von Finnland lernen

Finnland ist besonders gut darin, seine Bevölkerung gegen Desinformation und Fake News zu wappnen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Schulen, aber die Strategie des Landes geht weit über den Unterricht hinaus. Denn Medienbildung ist in Finnland eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auf vielen Ebenen in den Alltag integriert ist und alle Altersgruppen anspricht. Politiker*innen in Deutschland fordern, sich daran ein Beispiel zu nehmen. Kann das gelingen?
mehr »

Beim Tatort selbst ermitteln

Ein Zocker sei er nicht. So sagte es Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks (SWR), als er im August vorigen Jahres auf der Gamescom in Köln zu Gast war. Am ARD-Stand hat sich der damalige Vorsitzende des Senderverbunds dennoch zum Zocken eingefunden, zu sehen auch im Stream auf der Gaming-Plattform Twitch. Erstmals hatte die ARD einen eigenen Auftritt auf der weltweit größten Messe für Computer- und Videospiele – ein deutliches Signal, dass die ARD auch auf Games setzt. Und das hat maßgeblich mit dem SWR zu tun.
mehr »

Europäische Serien werden erfolgreicher

Das Festival Series Mania bietet alljährlich einen internationalen Überblick der kommenden TV-Serienhighlights, wenn rund 5000 Branchenprofis aus 75 Ländern zusammenkommen. Auch in diesem Jahr feierten zahlreiche Produktionen mit ungewöhnliche Themen Premiere. US-Amerikanische Serien waren diesmal kaum vertreten. Das hat politische Gründe.
mehr »