Journalisten im Fokus des Militärs

Arbeiten im Exil in Mexiko: Sonny Figueroa und Marvin del Cid. Foto: Knut Henkel

Das guatemaltekische Militär hat vier Journalisten als Risiko für die nationale Sicherheit ins Visier genommen. Die vier Reporter arbeiten investigativ, haben immer wieder die omnipräsente Korruption im Umfeld der Regierung aufgedeckt und sind „unbequem“. Als solche wurden sie schon früher bedroht. Mit José Ruben Zamora sitzt einer von ihnen im Gefängnis. Das droht auch den anderen, da sie unbeirrt ihre Arbeit fortsetzen und sich für die Demokratisierung des Landes engagieren. 

Die Analyse aus dem Verteidigungsministerium war streng geheim. Erst ein Hackerangriff mit so genannter Ransom-Software sorgte dafür, dass das Dokument in die „falschen“ Hände geriet: in die von Luis Assardo. Assardo, guatemaltekischer Journalist mit Schwerpunkt Datensicherheit, lebt seit 2021 aufgrund von Morddrohungen im Berliner Exil. Ihm sind die Unterlagen aus dem Umfeld der Hackerorganisation Cyclops angeboten worden, die bereits im Juli diesen Jahres ein Datenvolumen im Umfang von rund fünf Gigabyte von der Seite des guatemaltekischen Verteidigungsministeriums herunterluden. „Erst nachdem die Hacker das Material gesichtet, teilweise entschlüsselt hatten, wendeten sie sich an mich und fragten nach, ob ich interessiert sei.“ 

Luis Assardo war es, sichtete die Studie des militärischen Geheimdienstes mit dem Titel „Bedrohungen und Risikofaktoren für die nationalen Sicherheit Guatemalas“, informierte die Kolleg*innen in Guatemala und im Exil und schrieb einen ersten Artikel für das Online-Portal „Medium“. „Fakt ist, dass Journalist:innen unter dem Punkt „Medienkampagnen gegen die Armee“ auf eine Stufe gestellt werden mit dem Drogenschmuggel oder der organisierten Kriminalität. Sie werden als Risiken für die nationale Sicherheit bezeichnet“, so Assardo, der zu den Themen Troll-Fabriken, Desinformation, Radikalisierung, Hassreden und Manipulation von Wahlprozessen arbeitet. Das, eventuell aber auch seine Gutachten als Kriminologe und Feuerwissenschaftler zu absichtlich gelegten Waldbränden in Guatemala, haben Assardo in Guatemala Angriffe in den sozialen Medien und massive Morddrohungen eingebracht. Deshalb floh er 2021 nach Berlin, wo er sich erfolgreich für das Berliner Stipendienprogramm von „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) beworben hatte. Seitdem lebt der gut vernetzte Experte für digitalen Journalismus in der deutschen Hauptstadt, beobachtet aufmerksam das Geschehen in seinem Heimatland und hält den Kontakt. 

Äußerst schwieriges Arbeiten für Journalist*innen

Dort hat sich die Situation für Berichterstatter*innen seit dem Amtsantritt von Präsident Alejandro Giammattei im Januar 2020 massiv verschlechtert. RSF führen das Land auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 127 von 180 – Tendenz fallend. Das kann Assardo nur bestätigen und die alarmierende Studie aus dem Verteidigungsministerium belegt das: Vier Journalisten stehen im Fokus der Militärs: José Rubén Zamora, ehemaliger Redaktionsleiter der aufgrund staatlicher Schikanen pleitegegangenen Tageszeitung „elPeriódico“, Óscar Clemente Marroquín, über Jahrzehnte Direktor der kleinen, kritischen Tageszeitung „La Hora“, sowie die beiden freien Journalisten Marvin del Cid und Sonny Figueroa. Sie werden als „Risiko für die nationalen Sicherheit“ bezeichnet, weil sie immer wieder im Umfeld des Präsidenten zu Korruption und Klientelismus recherchieren, so Assardo. „Das machen auch andere Medien wie „Plaza Pública“ oder „No Ficción“, aber die Kollegen Figueroa und del Cid haben sich auf dieses Thema fokussiert, sind extrem unbequem“. Nicht viel anders liegt der Fall bei José Rubén Zamora, der in Guatemala wegen angeblicher Geldwäsche inhaftiert ist und in Berufung gehen will. Dessen kritische, investigativ arbeitende Tageszeitung „elPeriódico“ musste am 15. Mai ihr Erscheinen einstellen. „Ein herber Rückschlag für den kritischen Journalismus in Guatemala“, so Marvin del Cid, der sich gemeinsam mit seinem Kollegen Sonny Figueroa derzeit in Mexiko-Stadt im Exil aufhält.

Zu riskant ist die Situation für die beiden, die einmal pro Woche auf ihrem YouTube-Kanal als „El Combo“ – etwa „Doppelpack“ – auftreten und dort Ende Oktober auch die einst geheime Studien aus dem Verteidigungsministerium sezierten. „Die beruht auf Daten aus den Jahren 2021 und 2022, wurde im Januar 2023 erstellt und nimmt neben den vier genannten – in Guatemala recht prominenten – Journalisten nahezu sämtliche kritische Medien des Landes, oft Online-Portale, in den Fokus“, erklärt Assardo. Erschreckend für Marvin del Cid ist, dass Armee und Verteidigungsministerium die Presse als Feind betrachten: „Die Armee sollte begreifen, dass wir unsere Arbeit machen, Teil der Gesellschaft sind und uns für den Erhalt der Demokratie in Guatemala engagieren“, appelliert der 45-jährige Journalist, der vor fünf, sechs Jahren mit seinem Kollegen Sonny Figueroa das investigative Online-Portal „Vox Populi“ aufbaute. Die dort erschienene Reportagen über Korruptionsfälle im direkten Umfeld von Präsident Giammattei haben die beiden als auch Buch in Umlauf gebracht. Das zweite, erst im Sommer erschienen, durfte in den wichtigsten Büchereien von Guatemala nach staatlichem Druck nicht verkauft werden. „Typisch für ein Land, in dem Journalist*innen angesichts der landesweiten Proteste noch mehr in den Fokus der Ordnungskräfte geraten sind“, meint der seit dreißig Jahren in Guatemala lebende Jurist Michael Mörth. 

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