Journalisten ins Visier genommen

Die aktuelle Lage der Pressefreiheit wird durch den sogenannten Kampf gegen den Terror bestimmt. Eine subjektive Bestandsaufnahme.


(…) „Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten. (…)“

Resolution 217 A (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948
(Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, [Artikel 19])


 

Rückblende in den Oktober 2001. Bis zum Jahresende werden in Afghanistan, das zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahrzehnte durch einen Krieg aus der medialen Unbedeutsamkeit ins Zentrum der Weltöffentlichkeit gerückt ist, acht Journalisten gewaltsam sterben. Eine solch hohe Zahl von Todesopfern auf Seiten der Presse in so kurzer Zeit war in keinem Krieg seit 1945 zu beklagen. Zu diesem erschreckenden Resultat trugen mehrere Umstände bei. Johanne Sutton, Pierre Billaud, Volker Handloik, Harry Burton, Maria Grazia Cutuli, Julio Fuentes, Azizullah Haidari und Ulf Strömberg sind auch Opfer einer Entwicklung, in deren Verlauf die Freiheit der Presse, ein nach dem Zweiten Weltkrieg bewußt gepflegtes Gut, in erschreckender Geschwindigkeit verloren geht.

Die kritischen Regionen für Journalistinnen und Journalisten sind vor diesem 3. Mai dieselben wie danach. Kolumbien, Iran, Pakistan und, regional begrenzt, Nordspanien bleiben nach wie vor nur einige der Problemfälle für die Verteidiger der Pressefreiheit. Von der Medienkonzentration und Verquickung mit politischen Interessen abgesehen, geht die größte Bedrohung über ein Jahrzehnt nach dem Ende der bipolaren Weltordnung von den massiv zunehmenden regionalen und vermehrt auch überregionalen Konflikten aus. Über ein halbes Jahr nach den Terroranschlägen in den USA wird deutlich, dass der 11. September 2001 diese Situation massiv verschärft.

Mit Maulkorb gedroht

Die von George W. Bush für den sogenannten Krieg gegen den Terror ausgegebene Losung, einzig für oder gegen die Interessen dieser Regierung sein zu können, wirkte sich unmittelbar auf Kolleginnen und Kollegen in den USA aus. Nach dem 11. September wurde dort binnen weniger Tage ein ungeheurer Konformitätsdruck aufgebaut. Mitte Oktober 2001 wurden zwei Journalisten wegen kritischer Kommentare über den US-Präsidenten aus ihren Jobs gefeuert, ein bekannter Talkmaster mußte sich öffentlich entschuldigen und Bushs Pressesprecher drohte den Medien mit dem Maulkorb. Bald schon wurden Vergleiche zu der Kommunistenhatz unter John McCarthy in den Fünfziger Jahren gezogen.

Der bislang prominenteste Fall betraf TV-Unterhalter Bill Maher, der in seiner ABC-Mitternachtsshow „Politically Incorrect“ Präsident Bushs ersten Äußerungen zu dem Attentat widersprach, in dem dieser die Attentäter als Feiglinge bezeichnete. „Man kann darüber wohl sagen was man will, aber wer in einem Flugzeug bleibt, das in ein Gebäude einschlägt, ist nicht feige“, sagte Maher in seiner Talkrunde. „Da würde ich eher sagen, dass wir die Feiglinge sind, wenn wir Cruise Missiles aus 2000 Meilen Entfernung in ein Ziel schießen.“ Der Kommentar blieb nicht ohne Folgen. Zwei Sponsoren der Sendung, Federal Express und Sears, traten von ihren Werbeverträgen zurück. In verschiedenen Sendegebieten, darunter auch Washington D.C., wurde die Sendung wochenlang ausgeblendet. Ari Fleischer, der Pressesprecher im Weißen Haus, warnte vorwitzige Journalisten wie Maher, dass sie von nun an „aufpassen müssen, was sie sagen und was sie tun.“

Verfassungsschützer sahen nicht nur die Pressefreiheit, sondern Amerikas gesamte Bürgerrechte in Gefahr. Keine 24 Stunden nach dem Attentat verabschiedete die US-Regierung bereits neue Anti-Terror-Gesetze, die der Polizei große Freiräume bei der Ermittlung gegen mögliche Terroristen einräumen. Es gab grünes Licht für pauschale Lauschangriffe und Überwachung des Internetverkehrs, Maßnahmen, die in der Presse kaum kritisch reflektiert wurden. Keine gute Perspektive, wenn der US-Präsident zugleich ankündigt: „Dieser Krieg wird sehr lang werden“. Vergleichbare Entwicklungen in Europa lassen erahnen, dass sich der Antiterrorkrieg keineswegs nur auf die innere Lage der USA auswirkt.

Neben der politisch motivierten Einschränkung der Presse macht der Druck des Marktes die Arbeit schwer. Besonders im Norden Afghanistans blieben bald nach Beginn des Krieges noch die großen Networks wie BBC oder CNN kraft ihrer Finanzmacht zurück. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ empfahl den Berichterstattern, sich nur mit bewaffnetem Begleitschutz in zu bewegen. Doch der ist teuer.

Berichte aus erster Hand

Nur wenige schafften es in den Norden Afghanistans, um wie beabsichtigt „aus erster Hand“ zu berichten. Wenn doch, waren die dortigen Gegebenheiten alles anderen als ideal. In der kargen Landschaft waren kaum Unterkünfte vorhanden, geschweige denn eine Infrastruktur, die journalistische Arbeit ermöglicht hätte. Einzig die großen Networks sendeten ihre Reporter vor Ort – und gleich 3000-Liter-Tanks mit Trinkwasser nach. Für die Teams wurden eigene Behausungen und Funkverbindungen eingerichtet.

Nie dagewesene Härte

Der übergroße Teil der Pressevertreter beschränkte sich auf die Informationen vor Ort. Im pakistanischen Islamabad war das in erster Linie die Pressekonferenz der Vereinten Nationen, bei der sich täglich um 17.00 Uhr im Marriott-Hotel Reporter aus aller Welt trafen. Später wurde etwas CNN geschaut, um dann im Hotelzimmer den Bericht für die Heimredaktion zu verfassen. „Die Reporterschaltungen sind zugegebenermaßen Krücken“, sagte auch der stellvertretende RTL-Chefredakteur Achim Tirocke auf dem 15. Journalistinnen- und Journalistentag Ende November 2001 in Dortmund, wie „Menschen Machen Medien“ berichtete. Ob dem Druck der Heimatredaktionen oder dem eigenen Streben nach exklusivem Material geschuldet, hat diese Situation zum Tod der acht Journalisten in Afghanistan beigetragen.

Dass Journalisten zunehmend zu Zielen von Kriegsparteien werden, ist keineswegs eine auf Afghanistan beschränkte Entwicklung und auf den „pervertierten Islam“ zu schieben. Als die israelische Armee Ende März als Reaktion auf ein Selbstmordattentat im nordisraelischen Netanja weite Teile des palästinensischen Autonomiegebietes besetzte, wurden auch Journalisten ins Visier genommen. In einer nie dagewesenen Härte gingen die Soldaten auch gegen internationale Vertreter vor. Nach der Besetzung von Ramallah, wo sich das Hauptquartier von Palästinenserpräsident Jassier Arafat befindet, wurden alle ausländischen Staatsbürger aufgefordert, die Region zu verlassen, Diplomaten und Journalisten eingeschlossen. Die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju), Ulrike Maercks-Franzen, dazu: „Wir können auf keinen Fall gutheißen, dass von vornherein die Anwesenheit der Presse an diesen Orten ausgeschlossen wird. Das halten wir für einen Eingriff in die Pressefreiheit.“

Maercks-Franzen sieht in den Restriktionen gegen die Presse im israelisch-palästinensischen Konflikt vorrangig ein politisches Problem. Es sei der Versuch, die Augen der Weltöffentlichkeit von dem Ort des Geschehens fernzuhalten. Eine Entwicklung übrigens, die schon im ersten Golfkrieg mit US-Beteiligung 1991 zu beobachten war. Im Rahmen einer vermeintlich modernen Militärstrategie wurde Berichterstattern vom US-Militär der Zugang zum Kriegsschauplatz verweigert. Einzig denjenigen wurde ein Einblick in das Geschehen ermöglicht, die sich zuvor einer peniblen Kontrolle des Pentagon zu unterziehen bereit waren. Diese Probe bestanden 120 Reporter. Jeder ihrer Schritte wurde ebenso genau kontrolliert wie ihr Zugang zu Satelliten- und Sendeausrüstungen. Im Irak selber waren zu Beginn des Krieges alle Journalisten ausgewiesen worden – bis auf den CNN-Mann Peter Arnett und seine beiden Kollegen Bernard Shaw und John Holliman.

Rundfunk bombardiert

Die militärstrategische Gerade vom Golkrieg nach Afghanistan in die palästinensischen Autonomiegebiete ist offensichtlich. Während der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon den Vorstoß noch als „unseren Kampf gegen den Terror“ verteidigte, zogen die Betroffenen schon die erste Bilanz. „Ich habe hier wirklich schlimme Dinge gesehen, und ich weiß, dass weiter schlimme Dinge geschehen“, erklärte Julia Deeg, eine 22-jährige Berlinerin, die sich mit einer Friedensdelegation zur Zeit der Offensive im Hauptquartier Arafats aufhielt. Die Informationspolitik der israelischen Armee sei der beste Beweis dafür, dass es etwas zu verbergen gebe, so Deeg. „Wir sind hier, um diese Informationsblockade zu brechen.“

Der gefährlichen Entwicklung muß an zwei „Fronten“ etwas entgegengesetzt werden. Zum einen ist es unabdingbar, der schleichenden Unterhöhlung geltender ethischer Regimes Widerstand entgegenzusetzen. Machtinteressen, die dem Völkerrecht entgegenstehen, werden sich auch vom Menschenrecht, darunter dem auf Informationsfreiheit, nicht aufhalten lassen. Die Bombardierung von Rundfunkanstalten darf nicht akzeptiert werden, sei es vermeintlich aus Versehen wie bei einem Büro des arabischen Fernsehsender Al-Jazeerah in Kabul geschehen, oder vorsätzlich wie im Fall der „Stimme von Palästina“, deren Gebäude von israelischen Soldaten gesprengt wurde.

Auf der anderen Seite steht die Selbstkontrolle der Medien. Beim Streben nach dem ersten Platz darf niemand auf der Strecke bleiben. Ansatzweise hat eine Diskussion über die Auswirkungen des 11. September schon Wochen nach den Ereignissen unter dem Eindruck der ersten Todesmeldungen aus Afghanistan begonnen. Es ist dringend nötig, sich die Lehren dieser Wochen und Monate zu eigen zu machen, wenn das Leben von Journalisten und die Freiheit der Presse nicht Geld- und Machtinteressen geopfert werden sollen.

 

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