Kein Land der Zeitungsleser

Frankreich: Pressesubventionen weiter ausgebaut

Im Zuge der aktuellen Entwicklungen in der Medienbranche, die von Zeitungsschließungen, Fusionen und zunehmender Mantelproduktion für mehrere Titel sowie neuen journalistischen Formen im Internet geprägt ist, wird in Deutschland wieder über Möglichkeiten der Presseförderung diskutiert.
Auch ver.di ist Frank Bsirske zufolge offen „für alternative Finanzierungsmodelle zum Erhalt der Presse- und Meinungsfreiheit“. Allerdings nicht ohne die Verlage in die Pflicht zu nehmen, selbst in journalistische Qualität zu investieren und auch Bezahlmodelle im Internet – sinnvoll verzahnt mit Print – voranzutreiben, sagte der ver.di-Vorsitzende gegenüber dapd. In anderen Ländern gibt es verschiedene Arten an Presseförderung oder Mediensubventionen. Es lohnt also ein Blick über die Landesgrenzen. Das wird M in den nächsten Ausgaben mit einer kleinen Serie tun.
Erste Station: Frankreich.

Frankreich ist wahrlich kein Land der Zeitungsleser. Während der Franzose weiterhin gerne Radio hört – im Schnitt fast drei Stunden am Tag – ging der Verkauf von nationalen Printprodukten binnen 20 Jahren um mehr als ein Drittel zurück. Rechnet man die Auflagen der fünf größten nationalen Tageszeitungen zusammen, kommt man im Jahresschnitt 2011 auf etwas über eine Million. Dem gegenüber stehen drei große Gratiszeitungen mit einer täglichen Gesamtauflage von 2,8 Millionen Exemplaren sowie – in hoher Gesamtauflage – qualitativ oft schlechtere Regional- oder Lokalzeitungen. Da überrascht es nicht, dass Frankreich seine Pressesubventionen aufrechterhält, sie sogar noch ausbaut.

Im Jahr 2010 gewährten der französische Staat und die Post 19 verschiedene Formen an Zuwendungen und Vergünstigungen für die Presse, in einer Höhe von insgesamt 1,372 Milliarden Euro, davon mehr als 400 Millionen Euro in Form von Subventionen. Die Hilfen lassen sich in vier Kategorien unterteilen. Kategorie 1 beinhaltet alle Hilfen bei Anschaffungen und beim Druck. Darunter fällt die Steuerfreiheit auf Gewinne, die in das Unternehmen gesteckt werden, Ausgaben für die Modernisierung der Tagespresse, 2010 auch Aktivitäten, um junge Leser zu gewinnen, sowie zwei weitere Fonds zur Förderung von Onlineaktivitäten und Gewerkschaften. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Frankreich qualitativ hochwertige Onlinezeitungen, sogenannte pure player wie rue89, Mediapart und Slate, die sich unabhängig von großen Medienhäusern etabliert haben. Diese kritisierten 2010 die aus ihrer Sicht zu geringe Höhe des gerade eingeführten Topfes für den Onlinesektor. Immerhin 20 Millionen lässt sich der Staat jedes Jahr den Onlinejournalismus kosten.

Förderkategorie 2 – Unternehmenshilfen – verdeutlicht, wie ungleich die einzelnen Medien in Frankreich subventioniert werden. Während alle Printmedien von der Gewerbesteuer befreit werden, profitiert allein die Presseagentur AFP von staatlichen Abonnements. Während für lokale und regionale Zeitungen 2010 nicht einmal drei Millionen Euro bereitgestellt wurden, erhielten sechs ausgewählte – wenn auch eher kleinere – nationale Tageszeitungen mehr als das Dreifache an Subventionen. Wichtigstes Förderkriterium ist hier ein schwaches Anzeigenaufkommen. Mehr als die Hälfte der Hilfen macht die Kategorie 3 – Verteilung – aus. Der Großteil wird hierfür beim Postversand ausgegeben, welchen der Staat und die Post gemeinsam unterstützen. Weitere Punkte sind ein vergünstigter Transport bei der SNCF, ein kleiner Fonds zur Verteilung der Printprodukte im Ausland, Gelder für die Unterstützung von Zeitungsausträgern, ein Fonds zur Erhaltung der Verkaufsstellen sowie eines gemeinsamen dezentralen Verteilungsnetzes (Presstalis). Die vierte und letzte Kategorie beinhaltet eine reduzierte Mehrwertsteuer von 2,1 Prozent für den Kioskverkauf.
Experten kritisieren an der französischen Presseförderung, dass eine klare Zielsetzung fehle, man die Mittel nicht effizient einsetze und die Medien ungleich behandle. So fordert zum Beispiel die Pariser Medienökonomin Nadine Toussaint-Desmoulins: „Es braucht eine grundlegende Reform dieser Hilfen, sie sind nicht mit einer liberalen Marktwirtschaft zu vereinbaren.“ Subventionen seien allgemein nicht der richtige Weg: „Eine Subvention ist meist nur das erste Jahr zielführend, im zweiten Jahr wird sie bereits im Budget der Unternehmen eingeplant, ohne die wirklichen Probleme zu lösen.“ Insgesamt kann man keine gute Bilanz der Presseförderung ziehen. Der Rückgang der Verkaufszahlen wurde durch die Hilfen sicher gebremst, aber nicht aufgehalten.
Vieles vermag die staatliche Hilfe grundsätzlich nicht. Der Kaufpreis einer französischen Tageszeitung stieg zwischen 2000 und 2009 um durchschnittlich mehr als ein Fünftel und somit stärker als die Inflation. Die gesetzlichen Regelungen sind zudem nur bedingt effektiv zur Verhinderung von Konzentrationsbestrebungen der Medienhäuser. Ein Gesetz verbietet zwar einer natürlichen oder juristischen Person, mehr als 30 Prozent des Pressemarktes zu beherrschen, verhindert somit eine horizontale, nicht aber eine vertikale Konzentration der Presse. So beherrschen große Medienkonzerne weite Teile des Druck- und Vertriebsnetzes.
Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisiert in seinem Länderbericht 2010 die französische Medienpolitik: „Auch bei den EU-Gründungsstaaten Frankreich (2009: Platz 43, 2010: Platz 44) und Italien gibt es keine Indizien für eine Verbesserung der Situation: Grundlegende Probleme wie die Verletzung des Quellenschutzes, die zunehmende Konzentration von Medieneigentum sowie gerichtliche Vorladungen von Journalisten dauern an.“ Im Bericht zur aktuellen Rangliste 2011 kommentiert ROG: „Der Schutz journalistischer Quellen und die Möglichkeiten investigativer Journalisten, über einflussreiche regierungsnahe Personen zu berichten, sind dort nicht ausreichend gewährleistet.“ Gute Arbeitsbedingungen für Journalisten zu schaffen, glaubt man den Worten des ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy, sei doch aber immer das Ziel der Hilfen gewesen. Um mehr als ein Viertel wurden die Mittel während seiner Amtszeit aufgestockt, die Folge: ein Zehntel ihres Umsatzes erhalten die subventionierten Medien inzwischen vom Staat. Die Regierung unter François Hollande bricht nicht mit dieser Politik, sie plant lediglich eine Absenkung der Subventionen um fünf Prozent sowie eine Anhebung des Mehrwertsteuersatzes auf sieben Prozent.

Literatur:

Nadine Toussaint-Desmoulins: L’économie des médias Presses Universitaires de France, Paris 2011

 

 

 

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