Kolumbiens Präsident Gustavo Petro steht unter Druck. In den Medien kommt seine Regierung trotz einiger Erfolge wie dem jüngst in Kraft getretenen Waffenstillstand mit der Guerilla der ELN (Ejército de Liberación Nacional) schlecht weg. Das hat strukturelle Gründe, so die Stiftung für die Pressefreiheit (FLIP). In Kolumbien gebe es weder staatliche noch private Institutionen, die über den Informationsauftrag der Medien wachen. Ein Dilemma, dem die Regierung Petro mit innovativen Förderkonzepten begegnen will.
Die Schlagzeilen über dubiose Wahlkampffinanzierung, die Petros Sohn Nicolás mit seinen Aussagen in der ersten Augustwoche noch befeuert hat, sind ein Fest für die traditionellen Medien. Mit denen liefert sich der erste linke Präsident des Landes seit Monaten eine verbale Dauerfehde. Kein Tag vergeht, an dem die Regierung nicht Halbwahrheiten und Fehlinformationen ausräumen muss. „Wir haben die mediale Berichterstattung, die Tweets und Kommentare in den sozialen Medien in den letzten Monaten ausgewertet und glauben, dass es eine Kampagne gegen die Regierung gibt“, meint der Abgeordnete Alirio Uribe Muñoz vom „Pacto Histórico“, der Regierungspartei. „60 Millionen negative Berichte, Meldungen, Tweets und Kommentare haben wir in einem Monat registriert – zwei Millionen pro Tag“, berichtet der ehemalige Menschenrechtsanwalt und kann sich nicht vorstellen, dass das noch Zufall ist.
Die mutmaßliche Kampagne zeigt Wirkung auf der Straße, wo das Vertrauen in die Regierung laut Umfragen zurückgeht. Auch die Anhänger der Regierung, die sich mehrheitlich in der einfachen Bevölkerung finden, rücken zumindest partiell ab. „An den Demonstrationen gegen die Regierung nehmen zunehmend auch Leute aus der Mittel- und den einfachen Bevölkerungsschichten teil. Es ist nicht nur der Block der Konservativen und des Sicherheitsapparats“, meint Carlos Ojeda von der Menschenrechtsorganisation FASOL.
In Kolumbien wird schnell das Pferd gewechselt. „Dabei spielen die großen Medien, die Fernsehsender Caracol und RCN, die Tageszeitung ´El Tiempo´ und ´El Espectador´ eine wichtige Rolle“, so FLIP-Direktor Jonathan Bock. „Die Medienkonzentration in den Händen von Firmenholdings, hinter denen einflussreiche Familien stehen, ist ein Problem in Kolumbien. Das führt nach unseren Untersuchungen dazu, dass die Erfolge der Regierung, die Auseinandersetzung mit sinnvollen Projekten wie der Justizreform und der des Strafvollzugssystems zu kurz kommen.“
Reportagen über die Situation in den Haftanstalten, wo nach der angestrebten Justizreform mehr auf Resozialisierung und weniger auf hohe Strafen gesetzt werden soll, finden sich kaum in den großen Medien, sagt Bock. „Was uns fehlt, ist empirische Auswertung der Berichterstattung, Kontrollsysteme aus dem Berufsstand heraus, die einer objektiven Berichterstattung verpflichtet sind“, meint der 43-jährige Journalist. Besonders prekär sei die Situation in den Regionen des Landes, wo es kaum mehr lokale Berichterstattung gibt und die Kolleginnen und Kollegen unter katastrophalen Bedingungen arbeiten. In Putumayo, einer Region an der Grenze zu Ecuador, die für die Präsenz bewaffneter Akteure im Zusammenhang mit dem Coca-Anbau und der Weiterverarbeitung bekannt ist, haben vierzig Journalist*innen die Berichterstattung über den bewaffneten Konflikt eingestellt, so Bock. „Sie wollen im Konflikt nicht weiter instrumentalisiert und immer wieder bedroht werden.“ Das komme auch in anderen Konfliktregionen wie Nariño, Arauca, Cauca oder dem Norte de Santander vor, sagt Bock. 67 Morddrohungen gegen Journalisten wurden bis Anfang Juli gezählt. Im Jahr 2022 waren es 217.
Positiv aus Perspektive der FLIP ist die Ankündigung der Regierung Petro, alternative Medien fördern zu wollen. Allerdings liegt noch kein konkretes Konzept vor. Kolumbien ist das Land mit der höchsten Dichte an neuen, digitalen Medien in der Region, so eine Studie aus dem November 2022. „Vorágine, Cuestión Pública oder La Silla Vasia sind dafür gute Beispiele. Erst Ende Anfang Mai gab es eine Treffen der zuständigen Regierungsstellen mit den Redaktionen im Teatro Gaitán in Bogotá“. Überfällig nicht nur aus Perspektive der FLIP, sondern auch aus jener des Abgeordneten Alirio Uribe Muñoz. „In der Außendarstellung, in unserer Kommunikationsstrategie hat die Regierung, haben wir, etliche Fehler gemacht“, gibt der 61jährige Uribe Muñoz offen zu. „Wir müssen unsere Erfolge wie die Steuerreform oder den Waffenstillstand mit der Guerilla der ELN besser vermitteln, Reforminitiativen wie die des Arbeitsrechts, des Gesundheits- und Rentensystems klarer kommunizieren“. Das sieht nicht nur der Abgeordnete so. Im April wurde das Direktorium beim staatlichen Sender RTVC mit dem durch zahlreiche Dokumentationen über soziale Brennpunkte bekanntgewordenen TV-Journalisten Hollman Morris und der Anwältin und Schauspielerin Norida Rodríguez neu besetzt. Mit dem Duo hofft auch Uribe Muñoz, dass sich der Sender besser positioniert.
Das hält auch Jonathan Bock für wahrscheinlich. Der begrüßt außerdemn, dass die Regierung Fonds für kommunale Radios freigegeben hat. „Die haben in Konfliktregionen wie dem Cauca oder Nariño eine wichtige Informationsfunktion und viele werden von indigenen Gemeinden organisiert“, lobt Bock die Initiative der Regierung. Davon wünscht sich der FLIP-Direktor noch mehr, um die verkrusteten Medienstrukturen Kolumbiens aufzubrechen. Das wäre durchaus im Sinne der Regierung.