Kritik unerwünscht

Der Fall „Prestige“ – Ausdruck der demokratischen Schieflage in der spanischen Medienlandschaft

Wenn im galicischen Muxía in der staatlichen „Televisión Española“ (TVE) die 15-Uhr-Nachrichten beginnen, schaut kaum noch einer hin. Die Ölpest an der nordwestspanischen Küste hat nicht nur Spaniens Regierung, sondern auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise gestürzt.

Das Misstrauen sitzt tief. Der Dorfkünstler Coque Magallán, der seit Wochen T-Shirts zur Unterstützung der Freiwilligen verkauft, ist sich sicher: „Die machen mit den Daten was sie wollen“. Die Berichterstattung der in ganz Spanien ausstrahlenden TVE oder auch der regionalen „Televisión Galega“(TVG) über die Ölpest spiegele die Wirklichkeit nicht wider.

Bewohner schweigen

Muxía ist eines der Dörfer der galicischen „Todesküste“. Am 13. November funkte der mit 77.000 Tonnen Schweröl beladene Tanker „Prestige“ in 50 Kilometer Entfernung SOS, trieb steuerlos im stürmischen Meer. Er näherte sich Muxía bis auf sieben Kilometer, verlor bis heute knapp 30.000 Tonnen Schweröl. Die stürmische See spuckte in den letzten Novembertagen Öl bis gegen die Fassaden der Häuser auf dem Dorfplatz. „Doch die staatlichen Medien erzählten was davon, das Schiff sei 20 Kilometer entfernt und redeten von ‚Verunreinigungen'“, beschwert sich Coque Magallán.

Wie der Dorfkünstler sind viele in Galicien überzeugt: Die Journalisten der öffentlichen Medien waren von den konservativen Regierungen Spaniens und Galiciens angewiesen, das Ausmaß der Katastrophe herunterzuspielen. Der Unmut geht noch heute so weit, dass manche Bewohner nicht mit Reportern von TVE und TVG reden wollen. Statt dessen versammeln sie sich in so mancher Live-Schaltung hinter dem Berichterstatter und rufen „televisión -manipulación“ – ein Spruch, der auch auf Bettüchern gemalt aus vielen Fenstern hängt.

Ein Protestplakat hängt selbst am Gebäude der Madrider Zentrale von TVE. „Nie mehr wieder – Für eine wahrheitsgemäße Information“, heißt es auf der schwerölschwarz gefärbten galicischen Fahne, die der Betriebsrat dort befestigt hat. Kritik an den eigenen Nachrichten übt auch der Betriebsrat von TVG. Betriebsratsvorsitzender Antón Lama Pereira spricht offen von „Zensur“ im eigenen Sender.

Diese „Zensur“ werde vor allem durch die Beschäftigungsverhältnisse der Kollegen möglich. Für Live-Schaltungen würden nur Journalisten mit zeitlich befristeten Verträgen, freie Mitarbeiter oder gar Reporter von ausgelagerten Produktionsfirmen beauftragt. Diese wüssten oft nur zu gut, was von ihnen erwartet werde. Wer dennoch von „Schwarzer Flut“ rede, werde eben nicht mehr beschäftigt. „Nur Festangestellte sitzen auch fest genug im Sattel, dass sie sich gegen die Bevormundung wehren können“, sagt Antón Lama.

Unter Regierungskontrolle

Möglich ist diese Art von politischer Einflussnahme aber auch durch die seit der Franco-Diktatur unangetasteten Verwaltungsstrukturen im spanischen Staatsfunk. Die Generaldirektoren, mit den deutschen Intendanten vergleichbar, werden seit der Franco-Diktatur direkt von der jeweiligen Regierung ernannt. Der Arm der Regierung reicht so durch alle Hierarchieebenen. Dies kehrt den demokratischen Auftrag der Medien um. Statt die Regierenden zu kontrollieren, sind sie selbst direkt der Regierungskontrolle unterworfen.

Hinter kritischen Journalisten vermuten Spaniens Regierungsmitglieder dagegen stets die Opposition. Ministerpräsident José María Aznar beschuldigt professionelle Nachfrager, „Alarmisten“ zu sein, und die Katastrophe auszuschlachten. Vizeregierungschef Mariano Rajoy weicht unangenehmen Fragen aus. So schaffte er es in einer Pressekonferenz, fünf Mal die von fünf unterschiedlichen Kollegen gestellte Frage unbeantwortet zu lassen, warum er vor dem Sinken des Schiffes am 19. November keine unabhängigen Experten in Umweltfragen zu Rate gezogen habe.

Davon berichtet jedoch nur das Privatfernsehen „Telecinco“ oder unabhängige Zeitungen wie „El País“ oder „La Voz de Galicia“. Sie sind für die Spanier zu den Garanten für einen freien Informationsfluss geworden. Sie beschäftigten zeitweise bis zu 30 Redakteure täglich mit dem Fall „Prestige“ und suchen sich die Informationen im Zweifelsfall auch heute noch bei portugiesischen und französischen Stellen, die meist wesentlich konkreter informieren, als spanische Behörden.

Mängel aufgedeckt

So erkannten die Menschen in Muxía doch noch ihre Wirklichkeit auch in den Medien wieder, erfuhren vom desaströsen Kurs eines lecken Öltankers, der auf Regierungsanordnung die galicische Küste erst nach Norden und dann nach Süden abfuhr, von den Mängeln in der Beseitigung des Schweröls an den Stränden, und davon, dass das inzwischen gesunkene Wrack noch heute täglich 130 Tonnen Öl verliert. Die Staatssender haben zu diesem Kenntnisstand freilich wenig beigetragen.

 

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