Montenegro: Unabhängige Zeitung Vijesti im Visier der Mächtigen
Ausgebrannte Lieferwagen, Drohungen und Überfälle gegen die Macher der Vijesti: Um die Pressefreiheit ist es beim EU-Anwärter Montenegro nicht gut bestellt. Die Zeitung vermutet die Täter im Dunstkreis von Ex-Premier Djukanovic, der aus seinem Missfallen über die Gazette keinen Hehl macht.
Er wurde beschimpft, krankenhausreif geprügelt – und mit dem Tode bedroht. Aber dennoch hat der hoch gewachsene Zeitungsmacher seine Motivation für seinen Job nicht verloren. Jemand müsse etwas tun, „damit sich die Lage in Montenegro endlich ändert“, sagt Zeljko Ivanovic achselzuckend. Dass die Lieferwagen der Vijesti zum Ziel einer Kette von Brandstiftungen geworden sind, hält der Mitbegründer und Geschäftsführer der größten unabhängigen Zeitung des Landes für keinen Zufall: „Wir schreiben über alles, was den Mächtigen missfällt: über Korruption, Organisiertes Verbrechen, Umweltzerstörung, die Verschandelung der Küste – und dubiöse Immobilienprojekte.“
Kurz vor vier Uhr morgens alarmierte die Feuerwehr von Podgorica eines Tages Ende August die Polizei in der Hauptstadt über einen erneuten Autobrand. Wieder hatte ein Unbekannter die Kühlerhaube eines Lieferwagens der Vijesti mit Benzin übergossen – und in Brand gesteckt. Von „isolierten“ Vorfällen spricht Montenegros Polizeichef Veselin Veljovic. Doch Einzelfälle sind die Attacken keineswegs: Bei drei Brandstiftungen wurden seit Mitte Juli schon vier Fahrzeuge der Zeitung zerstört.
Nicht nur weil Montenegros früherer Präsident und Premier Milo Djukanovic zuletzt mehrmals über die „Verleumdungen“ von Vijesti geklagt hatte, wittert Ivanovic die Brandstifter im Dunstkreis des mächtigsten Mannes im Adria-Staat. Mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren erreiche das seit 1997 erscheinende Blatt über 100.000 der 620.000 Einwohner, so der 49jährige Verleger, der die Vijesti als „die größte und einflussreichste Zeitung Montenegros“ bezeichnet. „Wir stören. In einem Land ohne starke parlamentarische Opposition ist die unabhängige Presse für Djukanovic eines der größten Probleme.“
Ob als Premier, Präsident, Parteichef oder Geschäftsmann: Schon seit zwei Jahrzehnten hat der erst 49jährige Polit-Veteran die Zügel in Montenegro fest in der Hand. Seine Kritiker werfen dem geschäftstüchtigen Chef der regierenden DPS die enge Verquickung von Staats- und Privatinteressen vor. Obwohl der Kleinstaat kaum über Bodenschätze verfügt, listete der die Zeitung vergangenes Jahr Djukanovic mit einem Privatvermögen von 11,5 Millionen Euro unter den 20 reichsten Politikern der Welt auf. Die Brandstifter müssten zwar nicht im direkten Kontakt zu dem Ex-Premier stehen, aber seien seine Parteigänger, vermutet Ivanovic: „Mit den Anschlägen senden sie die Botschaft, dass sie stärker sind als der Staat, – und dass unsere Arbeit und unsere Berichte über organisierte Kriminalität sinnlos sind.“
Er sei „kein Masochist“ und lese Vijesti schon lange nicht mehr, beteuert Djukanovic – und ärgert sich gleichzeitig über deren „tendenziöse Berichterstattung“: „80 Prozent der Berichte über mich sind Unwahrheiten“. Als Ivanovic gemeinsam mit Gleichgesinnten 1997 die Vijesti aus der Taufe hob, einigte die Zeitung mit Djukanovic zumindest das Ziel von Montenegros Eigenstaatlichkeit. Die Redaktion sei für die Loslösung von Serbien gewesen – auch wegen der Rolle, die Belgrad bei den Jugoslawien-Kriegen in den 90er Jahre gespielt habe, so Ivanovic. Djukanovic habe jedoch andere Ziele verfolgt: „Er wollte sich einen Privatstaat schaffen, in dem er nach Belieben Schalten und Walten kann.“
Seit der Unabhängigkeit vor sechs Jahren sieht sich die Zeitung, an der seit 2009 die österreichische Styria Medien AG zu 25 Prozent beteiligt ist, dem verstärkten Druck der Obrigkeit ausgesetzt. Außer dem Anzeigenboykott aller staatlichen Unternehmen und Institutionen sowie der Firmen, die mit dem mächtigen Djukanovic-Clan verbandelt seien, sei „Vijesti-TV“ für zwei Jahre die Sendelizenz in der Hauptstadt verweigert worden, berichtet der Verleger, der den Ausfall an Reklame-Einkünften auf Millionenbeträge beziffert.
Schon seit Jahren werde Vijesti mit einer Lawine von Schmerzensgeld- und Unterlassungsklagen überzogen, berichtet Ivanovic. Ausgerechnet nach der Feier zum 10jährigen Jubiläum der Vijesti wurde Zeljko Ivanovic im September 2007 zum Opfer eines gewalttätigen Überfalls. Drei maskierte Männer schlugen ihn mit Baseballschlägern krankenhausreif. Danach sah sich der Familienvater, der seine Kinder sicherheitshalber für ein Jahr außer Landes schaffen ließ, einer Verleumdungsklage ausgesetzt. Weil er Djukanovic direkt oder indirekt für die nie aufgeklärte Prügelorgie verantwortlich machte, verklagte dieser ihn auf ein Schmerzensgeld von einer Million Euro. Ein Gericht verdonnerte ihn schließlich zur Zahlung von 20.000 Euro. „Es war eine reine Farce“, so Ivanovic. Vor Jahresfrist erhielten Ivanovic und mehrere Redakteure Briefe mit anonymen Todesdrohungen: „Du bist erledigt, du bis der nächste“.
Ende 2010 trat Djukanovic zwar das Premier-Amt an Finanzminister Igor Luksic ab. Trotz dessen Bekenntnissen zur Pressefreiheit habe sich aber „nichts Grundlegendes“ geändert. „Djukanovic kontrolliert über seine Gefolgsleute in der Regierung und Partei weiter das Land.“ Neu-Premier Luksic habe die Brandanschläge zwar verurteilt, doch lasse den „schönen Worten“ keinerlei Taten folgen. Auf dem Pressefreiheit-Index von „Reporter ohne Grenzen“ rangierte der EU-Anwärter im letzten Jahr auf Rang 104 – gemeinsam mit Angola und Nigeria.