Gewerkschafterkongreß in Frankfurt kritisierte Desinformationspolitik im Kosovo-Krieg
Mehr als 15.000 Menschen unterschrieben in den vergangenen Monaten den vom „Forum Gewerkschaften/Redaktion Sozialismus“ initiierten Aufruf gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien – jetzt trafen sich rund 400 von ihnen im Frankfurter DGB-Haus, um zum Thema „Nach dem Balkan-Krieg: Die NATO, die neuen Weltordnung und die Gewerkschaften“ zu informieren, zu diskutieren und gegen die erneute Rechtfertigung des Krieges durch den DGB-Bundesvorstand am Antikriegstag zu protestieren.
„Es wurde und wird manipuliert, zensiert und gelogen“, sagte Franziska Hundseder, dju-Vorsitzende, im Tagungsforum „Krieg als Me-dieninszenierung“. Die dju – die Fachgruppe Jopurnalismus in der IG Medien – war neben der Redaktion „Sozialismus“, mehreren IG-Medien- und HBV-Landesverbänden und anderen Veranstalter des Treffens. In der Erklärung des Arbeitsausschusses der „Gewerkschaftslinken“ zur Tagung hieß es gleichfalls: „Es droht die Demontage des Erbes der Aufklärung durch gezielte Desinformationspolitik“ – und alle, einschließlich der JournalistInnen, fallen darauf herein? Die Kriegsberichterstattung der Medien und die fehlende Nachkriegsberichterstattung ist inzwischen, wo die Folgen des Krieges deutlicher werden, massiver (Selbst-) Kritik ausgesetzt. Hundseder erinnerte an die bekanntesten Lügen im Jugoslawien-Krieg: Die fünf angeblich zu Kriegsbeginn ermordeten, dann wieder lebendigen „Albanerführer“, das angebliche, nie vorhandene KZ im Stadion von Pristina, das die Titelseite von „Bild“ zierte, die wie schon im Golf-Krieg von amerikanischen PR-Agenturen verbreiteten Greuelfotos von toten Babies, die vor allem der „Verteidigungsminister“ zur Rechtfertigung der Bombardierung anderer Menschen anführte. Hundseder warnte aber vor dem Begriff der „Gleichschaltung“: Schließlich kommt bei uns niemand in Gefängnis, wenn er selber recherchiert. Schärfste Kritik traf das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das sehr spät KriegsgegnerInnen interviewte. Und nach dem Ende der Bombardierungen sucht man vergeblich nach umfassender Berichterstattung über die Vertreibung der Juden (von denen auch in Frankfurt keine Rede war) und Roma aus dem Kosovo, die Vertreibung der Serben immerhin ist auch in der Hauptsendezeit gelegentlich ein Thema. TeilnehmerInnen aus Friedensgruppen konnten zudem berichten, wie ihre Aktionen in den Kriegswochen verschwiegen wurden; fast konnte man den Eindruck gewinnen, die Proteste seien so schwach gar nicht gewesen – man erfuhr nur nichts über sie. Vorauseilender Gehorsam der JournalistInnen gegenüber einem vermeindlichen Mainstream? Aus dem Golfkrieg, nach dem sich kritische JournalistInnen vorgenommen hatten, der US-Propaganda nicht mehr aufzusitzen, habe man, so der ehemalige dju-Vorsitzende Eckard Spoo, jedenfalls wenig gelernt: „Jammern darüber, daß man nichts erfuhr, hilft nicht, es gab genug Quellen.“ Als „Schuldige“ wurden „unausgebildete Hasardeure mit Handys, die fliegen, wenn sie keine Sensationen liefern“, denen „journalistische Ethik egal ist“, ausgemacht. Daß auch viele „normal“ ausgebildete JournalistInnen beim Recherchieren versagt haben, zeigte Dieter Prokop, Kommunikationswissenschaftler aus Frankfurt, mit seiner These vom „Stimmmungsjournalismus“: Die Darstellung des Schrecklichen ohne Aufklärungscharakter, die Inszenierung von (vorwiegend weiblichen) Opfermythen und von „Kinderphantasien: Wir alle wollen allen Opfern helfen“, tritt an die Stelle kritischer Distanz und der Verpflichtung, alle Seiten zu Wort kommen zu lassen.
„Archaische Begründungen für Kriege“
Einen Tag vor der Konferenz wurde die D-Mark offizielle Wäh-rung im Kosovo. Vor diesem aktuellen Hintergrund bekamen die Thesen von Frank Deppe, Professor für Politikwissenschaften in Marburg, im Forum „Kriegsursachen – neue Weltordnung“ zusätzliche Aktualität: Krieg sei für die NATO ein Mittel zur Durchsetzung ökonomischer und strategischer Interessen, ein Mittel in der Hand von Regierungen, die ihr eigenes Handeln als „alternativlos“ darstellen. Die Anpassung der Politik an das Primat des Shareholder-value-Kapitalismus, soziale Kälte und Demontage des Sozialstaates zugunsten von Globalisierung und Neoliberalismus gehe einher mit der kriegerischen, gleichfalls „kalten“ Disziplinierung von Fall zu Fall definierter „Schurkenstaaten“, die sich dem ökonomischen Weltdiktat nicht beugen. Damit Kriege, die zur Stabilisierung ökonomischer Macht geführt werden, in Demokratien loyal mitgetragen werden, brauchen sie „archaische“ Begründungen: Bestimmte Völkermorde sollen verhindert, Menschen müssen errettet werden. Deppe schlug den Bogen zur Gewerkschaftspolitik: Die Brutalisierung des sozialen Verteilungskampfes werde im Kontext militärischer Disziplinierung sinnfällig.
Kritik am DGB
Der Frage, warum sich der DGB zum Sprachrohr der Regierung machte, kam man in der Podiumsdiskussion zum Thema „Die Haltung der Gewerkschaften zum Krieg“ näher: Wenn eine Bundesregierung, der man politisch und personell nahe ist, diesen Angriffskrieg führt, steht Loyalität vor einer auf Frieden verpflichteten Gewerkschaftspolitik. Offen erzählten DGB-VertrerInnen von fehlenden Diskussionen in der Gremien und Horst Schmitthenner vom geschäftsführenden IG Metall-Vorstand sprach von „bittersten“ Erfahrungen: Es habe kaum kritische Auseinandersetzungen mit der offiziellen DGB-Haltung gegeben. Sein Rat: Man müsse klar machen, daß der Sozialabbau mit diesem Krieg und folgenden Kriegen zu tun hat. Jörg Huffschmid, Professor für politische Ökonomie an der Uni Bremen, hatte zuvor dazu aufgeklärt: Zu den direkten Kosten, für Deutschland etwa 800 Millionen Mark, müssen mindestens 340 Millionen „Wiederaufbaukosten“ gerechnet werden, für „die militärische Stabilisierung“ des Balkan sind bei der EU zwei Milliarden veranschlagt. Für Sozialhilfeempfänger, RenterInnen und Arbeitlose bleibt da wenig übrig. Was tun? Journalistische Aufklärung gegen Desinformationskampagnen? Gewerkschaftlicher Kontakt mit den betroffenen Ländern Jugoslawiens? Beides soll geschehen und am 4. Dezember will man sich in Stuttgart wieder treffen. Bis dahin könnte sich vielleicht herumgesprochen haben, daß es auch weibliche Expertinnen für NATO-Strategie oder Friedens- und Konfliktforschung gibt.