Massenentlassungen bei El País

Spanien: Tausende Journalisten verloren in der Krise ihren Arbeitsplatz

Der spanische Prisa-Konzern hat am 11. November per E-Mail die ersten Kündigungen an 52 Kollegen der Zeitung El País in Madrid gesandt. Ein dreitägiger Streik der Redaktion vom 6. bis 8. November konnte Prisa nicht zur Rücknahme der Kündigungen bewegen. Der Betriebsrat der Zeitung spricht von gravierenden Fehlern, die von der Konzernleitung begangen wurden. Nun müssen die Journalisten mit dem Verlust des Arbeitsplatzes dafür zahlen.

Auf Twitter schrieb der Journalist Ramón Lobo, als er am 11. November 2012 von seiner Kündigung erfuhr: „Ich stehe auf der Liste“. Und sein Kollege Manuel Cuéllar bekannte: „ Nach 17 Jahren bei El País bin ich nur eine Nummer“. Der Betriebsratsvorsitzende Manuel Gonzáles sagte gegenüber Journalisten, weitere Kündigungen würden folgen – 149 Entlassungen insgesamt sind angekündigt. Und den Journalisten, die bei El Paìs weiter arbeiten können, würden die Gehälter gekürzt – um 15 Prozent.
Die Nachricht, dass Prisa kündigen will, kam für die Redakteure nicht über Nacht. Seit dem Frühjahr schwebte über El País die Drohung, dass nach den zugunsten der Arbeitgeber geänderten Gesetzen der konservativen Regierung Mario Rajoys, gekündigt werde. In dem Arbeitsgesetz „ERE“ (expediente de regulación de empleo) wird den Firmen der arbeitsrechtliche Prozess genau beschrieben – eine Anleitung für Massenentlassungen und Gehaltskürzungen.
Nach Konzernangaben ist die Auflage von El País seit 2007 um 18 Prozent gesunken und liegt heute bei 350.000 Exemplaren. In den Boomjahren waren es täglich 1,2 Millionen Exemplare. Seit Beginn der Wirtschaftskrise in Spanien beträgt der Rückgang im Anzeigengeschäft 53 Prozent. Damit hat der Verlag 200 Millionen Euro weniger an Einnahmen. Gegenüber den anderen Zeitungen im Land hat El País noch immer relativ stabile Verkaufswerte. Aber der Chef des Mutterkonzerns Jan Luis Cebrián setzt die Sparschere bei Entlassungen von Redakteuren an. Die Zeitung ist seine „goldene Konzernkuh“. Konzernchef Cebrián selbst genehmigte sich, so eine spanische Wirtschaftszeitung, in der Krise ein Jahresgehalt von 13 Millionen Euro. Die Proteste in der Redaktion prallten an ihm ab.

Mitarbeiter von El Pais protestierten gegen die angedrohten Massenentlassungen. Foto: Reuters/Susana Vera
Mitarbeiter von El Pais
protestierten gegen
die angedrohten
Massenentlassungen.
Foto: Reuters/Susana Vera

El País hat ihre Ausgaben für Galicien, Andalusien, Valencia und das Baskenland eingestellt. Einzig die Ausgabe für die Hauptstadt Madrid gibt es noch. Sparmaßnahmen bestehen bei der Zeitung seit 2008. So durften Redakteure nur noch selten auf Reisen gehen. Weniger Beiträge von freien Mitarbeitern werden angekauft, selbst Agenturmeldungen sind zu reduzieren. Vor Jahren nannte sich die Zeitung im Untertitel: „unabhängige Morgenzeitung“, heute „das Leitmedium in spanischer Sprache“. Angesichts der Massenentlassungen wohl etwas übertrieben.
El País ist jedoch nicht das Sorgenkind der Prisa-Gruppe. Bereits seit dem vierten Jahr ihres Erscheinens schreibt die Tageszeitung Gewinne. Prisa-Konzerngründer Jesús Polanco, der vor zwei Jahren starb, war als cleverer Geschäftsmann in Spanien bekannt. Seit seinem Tod führt Jan Luis Cebrián für Prisa die Geschäfte. Vor Jahren war er auch einmal Chefredakteur von El País.
Der Medienkonzern Prisa (Promotora de Informaciones S.A.) ist der Größte des Landes. Zu den Printmedien gehören auch die Wirtschaftszeitung Cinco Dias und die täglich erscheinende Sportzeitung Diario As. Ein wichtiger Teil sind die Buchverlage Santillana, Alfaguera und Taurus. Tätig ist Prisa auch im Radio- und Fernsehgeschäft. In seinem Eigentum befindet sich der größte Radiosender Spaniens „Caldena SER“ und die Hörfunkkanäle „Los 40 Principales“, „Caldena DIAL“ und „Máxima FM“. In Portugal und Kolumbien gibt es weitere Radiostationen. Mit der Fernsehtochter „Sogecables“ ist er Markführer beim Pay-TV. Das Fernsehvollprogramm Digital + ist ein Teil davon. In Portugal kontrolliert Prisa den Sender TVI. Das Fernsehgeschäft ist defizitär, brachte im Geschäftsjahr 2011 einen Verlust von 451 Millionen Euro.
Wegen hoher Schulden und Verbindlichkeiten hatte Prisa bereits 2010 finanzielle Schwierigkeiten. Als Heilsbringer stieg der deutsch-amerikanische Finanzinvestor Nicolas Berggruen mit der Investmentgesellschaft Liberty Acquisition Holding ein und lies sich feiern. Hierzulande wurde der Investor bekannt durch die Übernahme der Kaufhauskette Karstadt. Mit im Boot Martin E. Franklin. Beide, Berggruen und Franklin, wurden mit ihrem Invest Großaktionäre am spanischen Medienkonzern. Das finanzielle Engagement geschah sicherlich nicht aus philanthropischen Gründen. Trotz der Geldspritze von Liberty Acquisition Holding in Höhe von 650 Millionen Euro musste die Prisa-Gruppe Anfang 2012 ein Refinanzierungsabkommen mit den Gläubigerbanken abschließen, um die Fälligkeit um zwei Jahre hinauszuzögern.
Vor Jahren schrieb der Journalist Enric Gonzáles in einem Beitrag für El País: „Eines Tages, in jedem x-beliebigen Unternehmen, werden die Gehälter der Arbeiter gekürzt, um die Börsensucht ihrer Besitzer zu befriedigen.“ Der Beitrag erschien nicht im Blatt. Die Herausgeber fühlten sich davon angesprochen und übten Zensur. Heute trifft diese Zeile auf die Prisa zu. Dabei sind seit 2007 bereits 10 Tageszeitungen in Spanien eingestellt worden. In der Zeit des Umbruchs und der Krise haben im Land 8.000 Journalisten ihre Arbeit verloren. Im Februar 2012 war es die linke Público, die nun als Internetzeitung versucht, zu überleben.


nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

Beschwerde gegen BND-Gesetz

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
mehr »

Social Media: Mehr Moderation gewünscht

Wer trägt die Verantwortung, um etwas gegen zunehmenden Hass in den sozialen Medien zu unternehmen? Die Plattformen? Die Politik? Die Nutzer*innen? Alle drei Gruppen jeweils zu einem Drittel. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie der Technischen Universität München (TUM) und der University of Oxford. Sie zeigt auch: der Großteil der Menschen in den zehn untersuchten Ländern wünscht sich mehr Moderation bei Inhalten.
mehr »

Ecuador: Medien ohne Schutz

Mehr Schutz für Berichterstatter*innen, fordert Ecuadors Medienstiftung Fundamedios. Doch in der Regierung von Daniel Noboa, Sohn des Bananenmilliardärs Álvaro Noboa, stößt die Initiative auf Ablehnung. Dafür sei kein Geld da, lautet das Argument. Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass Daniel Noboa eher auf TikTok, Instagram und andere soziale Netzwerke setzt und wenig von den traditionellen Medien hält. Erschwerend hinzu kommt, dass Kartelle, aber auch lokale Kaziken versuchen, Journalist*innen zu instrumentalisieren.
mehr »