Medienzensur in Australien

Australische Zeitungen erscheinen aus Protest mit geschwärzten Schlagzeilen
Collage: Petra Dreßler

Nachrichtensperren und Razzien führen zu kollektiven Protesten

Die haben das Recht zu erfahren, was die von Ihnen gewählte Regierung in Ihrem Namen tut“. So kommentierte die australische Gewerkschaft „Media Entertainment and Arts Alliance“ eine kollektive Protestaktion der Medienbranche: Am 21. Oktober erschienen alle großen Zeitungen mit geschwärzten Titelseiten und -fotos. TV-Spots machten auf Beschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit aufmerksam. Denn in Australien werden Journalisten zunehmend kriminalisiert.

Nachrichtensperren gehören inzwischen zum Alltag der Medien in Australien. Journalist*innen sollen über Einzelereignisse oder komplexe Themen nicht berichten, weil diese von Regierung oder Gerichten als geheim eingestuft werden. Staatliche Einrichtungen halten Informationen zurück. So zum Beispiel im August 2018, beim Gerichtsprozess in Melbourne gegen Kardinal George Pell, den früheren Finanzchef des Vatikan. Auch deutsche Journalist*innen sollten sich an eine vom Richter Peter Kidd verhängte Nachrichtensperre halten. Weltweit sollten Journalist*innen bis zur Urteilsverkündung im Februar 2019 so tun, als gäbe es nichts zu berichten. Und das, obwohl Pell bereits im Dezember 2018 wegen Kindesmissbrauchs von einem Geschworenengericht einstimmig schuldig gesprochen worden war.

Da sich mehrere australische Medien nicht an das Verbot hielten, erhob die Staatsanwaltschaft im April 2019 Anklage gegen 23 Journalist*innen und 13 Medienhäuser des Landes. Den Journalist*innen drohen bei einem Schuldspruch bis zu fünf Jahre Gefängnis. Die New York Times bezeichnete Australien in diesem Zusammenhang als „die wohl geheimnisumwittertste Demokratie der Welt“.

Öffentlich-rechtliche ABC als unpatriotisch gegeißelt

Es gibt noch weitere Themen, über die Journalist*innen in Down Under nach dem Willen der rechtspopulistischen Regierungskoalition nicht berichten dürfen. Der beschleunigte Verfall der Presse- und Meinungsfreiheit fußt in erster Linie auf einem Regierungs- und einem politischen Richtungswechsel. 2013 gelangte der Rechtspopulist Tony Abbott in das Amt des Premierministers. Abbott ist Einfädler der von den Vereinten Nationen inzwischen scharf kritisierten „stop the boats“-Politik, die für Bootsflüchtlinge, die nach Australien wollen, langjährige Lageraufenthalte auf Pazifikinseln vorsieht. Als die öffentlich-rechtliche ABC über Misshandlungen von Asylsuchenden durch australische Grenzbeamte berichtete, geißelte Abbott den Sender als „unpatriotisch“, die ABC vertrete „ausländische Interessen“. Er habe ein Problem mit Journalisten, fügte Abbott hinzu, „die ihr eigenes Land kritisieren“. Seither darf – unter Androhung von mehrjährigen Gefängnisstrafen für Journalist*innen – über Maßnahmen mit militärischen Schnellbooten auf dem Indischen Ozean und aus australischen Flüchtlingslagern im Südpazifik nicht mehr berichtet werden.

Auch der regierungskritische Privatsender „Seven“ sah sich mit einem kraftstrotzenden Auftritt der Staatsmacht konfrontiert. Ein Exklusiv-Interview mit einer verurteilten Drogenschmugglerin, die nach neun Jahren Gefängnis in Indonesien nach Australien zurückkehren durfte, reichte als Anlass für eine „beispiellose Durchsuchung eines Medienunternehmens“, wie es in einer Mitteilung des Senders hieß. Acht Stunden lang durchsuchten Dutzendschaften der australischen Bundespolizei Büros von „Seven“ in Sydney mit vorgehaltenen Gewehren und Pistolen, um Festplatten und Dokumente zu beschlagnahmen.

Zwar wurde Abbott 2015 von Parteifreunden gestürzt und verlor 2019 auch sein Abgeordnetenmandat. Doch seine unverhohlene Kriegserklärung an kritische Medien wirkt sich bis heute lähmend auf Arbeitsbeding-ungen australischer Journalist*innen aus. Öffentlich mischte er sich wiederholt in redaktionelle Inhalte ein, etwa indem er die ABC aufforderte, die Rubrik „Fakten Check“ aufzugeben und sich auf das Sammeln von Nachrichten zu konzentrieren. Auch Abbotts Nachfolger drohen der ABC regelmäßig mit drastischen Mittelkürzungen – und setzen diese auch um.

„Australia Network“, das australische Pendant zur Deutschen Welle, mit rund 150 Millionen Zuschauer*innen in 46 Ländern, musste schon vor fünf Jahren den Sendebetrieb einstellen. Mit den Worten, man wolle einen Sender „mit einer positiveren Ausrichtung“, begründete die Regierung das Abschalten des Networks. Am Sparkurs und an Plänen der größten Regierungspartei, die ABC in einen Privatsender umzuwandeln, übte deren Geschäftsführerin Michelle Guthrie im vorigen Jahr scharfe Kritik. Kurz darauf wurde Guthrie entlassen. Nachweislich auf Druck der Regierung, wie ein Untersuchungsausschuss des australischen Parlaments inzwischen ermittelt hat.

Geheimdienst und Polizei spähen journalistische Quellen aus

Printmedien, besonders aber investigative Journalist*innen, scheint Australiens rechtspopulistische Regierung im trumpschen Sinne als „the enemy of the people“ ausgemacht zu haben. Seit 2013 sind Befugnisse von ihr massiv ausgeweitet worden. Paul Farrell arbeitete 2016 investigativ für den britischen Guardian und berichtete über Versuche der Bundespolizei AFP, an Daten seiner Informanten zu gelangen. Mit dem Ausspähen journalistischer Quellen, „indem sie meine Telefon- und E-Mail-Daten abriefen“, schrieb Farrell im Guardian, hätten die Bundespolizisten „nicht einmal gegen Gesetze verstoßen“. Die Maßnahmen hatten das Ziel, Whistleblower innerhalb der Regierung ausfindig zu machen, um peinliche Veröffentlichungen zu verhindern. Derzeit muss sich der Whistleblower Richard Boyle, ein früherer Mitarbeiter der australischen Steuerbehörde ATO, vor Gericht verantworten. Boyle hatte rabiate Praktiken der ATO im Umgang mit Steuerzahlern öffentlich gemacht. Wenig später wurde er entlassen, die Bundespolizei durchstöberte Boyles Wohnung.

In Australien ist es keine Seltenheit mehr, dass kritische Zeitungsartikel von Regierungsmitgliedern an die AFP zur Untersuchung weitergeleitet werden, ergaben Paul Farrells Recherchen in eigener Sache. Ein einzelner Artikel zu Bootsflüchtlingen habe einen 200 Seiten langen polizeilichen Untersuchungsbericht nach sich gezogen.

Hausdurchsuchung bei der Australian Broadcasting Corporation (ABC) in Sydney durch die Australische Bundespolizei am 5. Juni 2019
Foto: picture alliance/AP Photo

Kurz nach den Parlamentswahlen im Mai 2019 war es abermals die dem Innenministerium unterstellte Bundespolizei, die sich erneut die ABC vornahm. Diesmal mit der Befugnis, Recherchematerial „zu konfiszieren, zu löschen und zu manipulieren“, wie der Sender mitteilte. Bei der Razzia wurden auch Fingerabdrücke mehrerer Redakteure genommen. Anlass dieser Razzia war eine Dokumentation der ABC, die Kriegsgräuel australischer Soldaten in Afghanistan aufgedeckt hatte.

Verhältnis von Medienschaffenden zur Regierung nachhaltig gestört

Doch spätestens seit der jüngsten Durchsuchungswelle formiert sich Widerstand in Australiens Medienbranche. Inzwischen hat die Regierung selbst den ihr bislang gewogenen Murdoch-Konzern gegen sich aufgebracht. An der Protestaktion „Your right to know“ am 21. Oktober beteiligten sich auch zahlreiche Murdoch-Zeitungen, darunter das Flagschiff The Australian. Auch Murdoch-Journalist*innen müssen mittlerweile mit unangekündigten Besuchen der AFP rechnen. So wurde im Juni die Wohnung der Journalistin Annika Smethurst von Bundespolizisten durchkämmt. Smethurst hatte über Pläne des australischen Geheimdienstes berichtet, die Kommunikation von Privatleuten auszuspionieren. Chris Merritt, Gerichtsreporter des Australian, schrieb dazu: „Willkommen im modernen Australien: Wir sind eine Nation, in der die Polizei Journalisten durchsucht, um Whistleblower innerhalb der Regierung ausfindig zu machen und Veröffent-lichungen zu bestrafen.“

Das Verhältnis von Medien, Redakteuren, Bloggern und Whistleblowern zur Regierung ist nachhaltig gestört. Unmut hat sich breitgemacht, insbesondere seit 2018 ein sogenanntes Anti-Spionage-Gesetz in Kraft trat, das tatsächlich aber nicht nur Terroristen, sondern auch Journalisten trifft. Laut Gesetz sollen investigative Journalist*innen, die mit ihren Recherchen den Themenkomplex „Nationale Sicherheit“ tangieren, in Einzelfällen mit lebenslangen Haftstrafen geahndet werden. Journalist*innen machen sich strafbar, wenn sie Geheimdokumente veröffentlichen – oder auch nur besitzen.

Aber was ist geheim? Laut der Gesetzesnovelle alles, was Australien „in einem schlechten Licht“ erscheinen lässt – womöglich also jede Form von Kritik, die der Regierung missfällt. Zwar dürfe „im öffentlichen Interesse“ recherchiert werden, heißt es in einer Neufassung des Gesetzes. Doch was soll das nun wiederum bedeuten? Selbst Juristen in Down Under können derzeit nicht genau definieren, wann sich Journalisten strafbar machen. Justizminister Christian Porter versuchte nun mit einer ironisch wirkenden Maßnahme zu besänftigen. Dass er sich dabei selbst zum obersten Kontrolleur der australischen Presse aufschwingt, begreift Porter offenbar als Entgegenkommen. Alle Durchsuchungsaktionen von Medienunternehmen und Journalisten müssten künftig von ihm persönlich genehmigt werden.

Medienbündnis fordert Pressefreiheit und Schutz

Premierminister Scott Morrison sagt, er respektiere die Pressefreiheit. Doch genau genommen gibt es diese Freiheit nicht. Jedenfalls nicht in Australien, das zu den wenigen Demokratien zählt, in denen Presse- und Meinungsfreiheit nicht ausdrücklich in der Verfassung verankert sind. Zwar hat das Land die UN-Charta zur Deklaration der Menschenrechte unterzeichnet. In der Erklärung von 1948 heißt es, jedermann habe das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf freien Zugang sowie auf die Weitergabe von Informationen. Doch weder Informations- noch Meinungsfreiheit würden in Australien noch ausreichend gewährleistet, kritisieren Medienhäuser.

Journalistinnen und Journalisten protestieren mit geschwärtzten Titelseiten vor dem Parlamentsgebäude der australischen Hauptstadt Canberra Foto: Rog Mcguirk/picture alliance/AP Photo

Fast zwei Dutzend Verlage, Fernseh- und Radiostationen sowie zahlreiche Internetportale (siehe Kasten) werfen der Regierung vor, zunehmend Geheimhaltung zu betreiben, Journalisten zu kriminalisieren und investigative Recherchen zu unterbinden. Sie könnten ihrem Informationsauftrag nur noch bedingt nachkommen. Das australische Medienbündnis hat Forderungen an die Regierung von Premierminister Morrison formuliert:

– Es solle ein Rechtsrahmen geschaffen werden, der Redaktionen und freien Journalisten die Möglichkeit gibt, Durchsuchungsbefehle der australischen Bundespolizei anzufechten.

– Journalisten sollen von Anti-Terror-Gesetzen ausgenommen werden, insbesondere dann, wenn sie aufgrund investigativer Recherchearbeit mit Gefängnisstrafen bedroht sind. Auch Whistleblower müssten vor dem Zugriff der Bundespolizei geschützt werden.

– Ein Regelwerk soll freien Zugang zu Informationen gewährleisten. Die sich ausweitende Praxis der Regierung, Dokumente als geheim einzustufen, müsse begrenzt werden.

Repressalien auch gegen ausländische Jorunalisten

Auch für ausländische Journalisten wird es zunehmend ungemütlich in Australien, insbesondere bei Reportagen zu Umweltthemen. Alle Korrespondenten sollen sich neuerdings in ein Register von Personen eintragen, „die für einen ausländischen Auftraggeber arbeiten“. Im Juli 2019 wollte ein französisches Fernseh-Team Proteste am Rande der geplanten weltgrößten Kohlemine „Carmichael“ des „Adani“-Rohstoffkonzerns filmen. Doch beim Versuch, Interviews zu führen, erschien die Polizei. Die Journalisten wurden von Beamten in Handschellen abgeführt und auf der Ladefläche eines geschlossenen Kastenwagens zur nächsten Wache gebracht. Diese konnten die Reporter bald wieder verlassen – schließlich gab es auch keinen wirklichen Grund, sie festzuhalten.

Bei der Arbeit verhaftet oder „Einreise verweigert“ – so ergeht es ausländischen Journalist*innen in Australien neuerdings. Die Kamerunerin Mimi Mefo, die als freie Journalistin für die Deutsche Welle in Berlin arbeitet, sollte Ende Oktober in Brisbane eine Rede zum Thema Meinungsfreiheit halten. Doch Mimi Mefo wurde ein Visum für die Einreise verweigert. Daran änderte auch ein dringendes Schreiben der australischen „Media Entertainment and Arts Alliance“ an den zuständigen Minister nichts – die Journalistin konnte nur per Video zu den Teilnehmer*innen einer Konferenz der Griffith University sprechen.

Kerry O`Brien, der bis 2015 die renommierte Dokumentationsreihe „Four Corners“ im australischen Fernsehen moderiert hat, sagte bei der Veranstaltung in Brisbane, es sei offensichtlich, dass die Regierung von Premierminister Scott Morrison „freie Medien fürchte“ und deshalb einschränken wolle. Zahlreiche Gesetze zur „Nationalen Sicherheit“ in Australien hätten das Potential, sagte O´Brien, „die Demokratie zu untergraben“.

 

Aktion „Your right to know“

Diese australischen Medien sind beteiligt:
Australian Associated Press (aap)
Australian Broadcasting Corporation (ABC)
Australian Community Media (acm)
Astra (australische Abonnement-Medien)
Bauer Media Group (Zeitschriftenverlag)
Community Broadcasting Association of Australia (CBAA)
Commercial Radio Australia (Industrieverband)
Daily Mail Australia (Boulevard-Zeitung)
free tv Australia (Industrieverband)
Media Entertainment and Arts Alliance (Gewerkschaft)
News Corp Australia (rund 170 Zeitungen und Zeitschriften)
Nine Network (Fernseh-Network)
Prime Media Group (Fernseh-Network)
SBS (Fernseh-Network)
Seven West Media (Fernsehen, u.a. Seven Network)
Sky News Australia (Nachrichtensender)
Ten (Fernseh-Network)
The Guardian (britische Tageszeitung)
WIN (Fernseh-Network)

Mehr Info zur Aktion


Korrektur 

In einer der Bildtexte war uns ein Fehler unterlaufen, den wir zumindest online korrigieren konnten. Die australische Hauptstadt heißt natürlich nicht „Cranberry“, sondern „Canberra“.

 

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