Meinungsforscher ins Gefängnis

Mehrheit der Iraner für die Wiederaufnahme des Dialogs mit den USA

Iranische Parlamentarier gaben bei drei Teheraner Instituten eine Meinungsumfrage in Auftrag, die unter anderem die Frage enthielt: Sind Sie für oder gegen einen Dialog mit den USA, wenn dieser zur Ausräumung von bedrohlichen Differenzen beiträgt? Herausgekommen ist: die Mehrheit der Bevölkerung will keine Konfrontationen mit den Vereinigten Staaten von Amerika.

Preis der Wahrheit für das Meinungsforschungsinstitut war eine Verhaftungswelle mit dem Vorwurf der Spionage für die USA. Das ist einmalig in der jüngsten Geschichte des Irans. Die Weltöffentlichkeit hat sich in den vergangenen Jahren mit den Meldungen aus der Hauptstadt Teheran abgefunden, dass iranische Journalisten und Schriftsteller wegen „Beleidigung“ des Islams oder des Geistlichenführers verhaftet und kritische Zeitungen verboten worden sind.

Neuerdings richten sich die Repressalien gegen Behruz Geranpajeh, Leiter des „Nationalen Instituts zur Erforschung der öffentlichen Meinung“. Er wurde verhaftet, weil er in einer Umfrage die verbreitete Tendenz zur Normalisierung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten veröffentlicht hat. In der Befragung hatten sich 74,7 Prozent der Iraner für die Wiederaufnahme des Dialogs mit den USA, und 24 Prozent dagegen ausgesprochen. 70,4 Prozent der Befragten nennen zwar die USA als nicht vertrauenswürdig und 62 Prozent sind der Meinung, „die USA ist im Kampf gegen Terrorismus unehrlich“, aber der Dialog beseitige die Bedrohungen und die Feindschaften, so die Mehrheit der Iraner.

Anklage wegen der „Verbreitung von Lügen“

Der beschuldigte Institutsleiter wurde ins Evin-Gefängnis gebracht. Geranpajeh soll wegen der Verbreitung von Lügen und Handlungen gegen das islamische System angeklagt werden. Die Justiz ließ das Gebäude des Forschungsinstituts schließen. Dieses Institut ist halbstaatlich und dem Kultusministerium untergeordnet, die Meinungsumfrage über die Beziehungen zu den USA erfolgte im Auftrag des Kultusministeriums und des Parlaments. Nach der Verhaftung von Geranpajeh protestierten drei Minister ebenso wie das Präsidium des Parlaments gegen die ihrer Meinung nach rechtswidrige Reaktion der Justiz. Kurz darauf folgten weitere Verhaftungen: der Mitarbeiter des Meinungsforschungsinstituts Ajandeh, Hussein Gasian und der Journalist Abbas Abdi. Abdi wurde Ende Dezember in einer TV-Sendung zum Geständnis „bewegt“. Er lobte sogar seinen Peiniger.

Kein Kompromiss mit dem „Satan“

Das Institut für öffentliche Meinung, das Meinungsforschungsinstitut ISPA und das Meinungsforschungsinstitut Chrad (Vernunft. Meinungsforschungsinstitut Ajandeh (Zukunft), arbeiteten zum ersten Mal gleichzeitig an dem selben Thema und kamen zum gleichen Ergebnis. Die Umfrageergebnisse hatten in konservativen Kreisen wütende Reaktionen ausgelöst. Die konservative iranische Justiz entdeckte sofort in diesen Institutionen Verrat und Spionagetätigkeit. Nach Ansicht der Justizbehörden hat das Institut bei Umfragen über die USA falsche Ergebnisse ermittelt. Ihnen wird zudem Unterschlagung von Geldern zur Last gelegt. Tatsächlich aber hatten das NIRS und Ajandeh die Erhebungen im Auftrag von Reformpolitikern durchgeführt. Der Auswärtige Ausschuss des Parlaments hatte mehrfach die Richtigkeit der Ergebnisse bestätigt. Wegen der Umfragen wurden der Abgeordnete des Reformflügels, Ahmed Burqani, und der Leiter der amtlichen Nachrichtenagentur IRNA, Abdullah Nasseri, auch vor Gericht geladen.

Bei der Eröffnung des Prozesses wurde den genannten drei Meinungsforschern „Kontakte mit ausländischen Elementen“ und der Verkauf von „Geheiminformationen“ an das Ausland zur Last gelegt. Der Mitarbeiter des Meinungsforschungsinstituts Ajandeh, Hussein Gasian, habe die Umfrage für das US-Institut Gallup gemacht, das seinerseits mit dem US-Geheimdienst CIA in Verbindung stehe, wurde unterstellt. Der Justizchef, Ayatollah Mahmud Schahrudi möchte gegen alle gerichtlich vorgehen, die offen den Dialog mit den Vereinigten Staaten fordern. Das nationale Interesse gebiete Gegnerschaft zu den USA. „Wir verdammen jede feige Haltung gegen Amerika und jede Rede von Kompromiss mit dem Großen Satan“, erklärte er. Der Übermächtige Ahmad Janati, Chef des Wächterrats, der sogar über dem Parlament steht, kritisiert jegliche Meinungsumfragen auf dem Freitagsgebet in Teheran. Er nannte die Meinungsumfragen „Verrat am Volk“. Die Einschüchterungen, Verhaftungen und Erpressungen der Geständnisse für das staatliche TV sind eine bewährte Regelung um das System der „Herrschaft der Geistlichkeit „(welayat-e faghih) zu erhalten. Presse- und Meinungsfreiheit sind nicht kompatibel mit dem islamischen System in Iran. Der geistliche Führer Ali Khamenei beherrscht das staatliche Fernsehen und die Justiz. Die Justiz richtete sogar eigene Geheimdienste und eigene unkontrollierte geheime Gefängnisse gegen Dissidenten und Reformkräfte ein.

Geistlicher Führer erst auf Platz Siebzehn

Das Nationale Meinungsforschungsinstitut hatte vor einigen Monaten ein weiteres interessantes Umfrageergebnis veröffentlicht. Sie fragten Tausende Iraner; wer die beliebteste Persönlichkeit des Landes sei? Die Antwort fiel zu ungunsten von Ayatollah Ali Khamenei, dem Geistlichen Führer aus. Er kam auf Platz siebzehn. Der Parlamentsabgeordnete Akbar Alami sagte daraufhin: „Dreiviertel der iranischen Bevölkerung akzeptieren den Khamenei und seine Führung nicht“. Die Kenner der Iranpolitik sind einhellig der Meinung, dass nicht allein die Akzeptanz des „Führers“ nachgelassen, sondern auch das Experiment der „Herrschaft der Geistlichkeit“ „von Ayatollahs gescheitert ist. Alle wissen es, nur die Kleriker im Iran glauben nicht daran und versuchen mit immer mehr Repressalien, das Rad der Geschichte zu stoppen. Was jedoch den Menschen in Iran zu gute kommen würde bei der Annährung der Vereinigten Staaten an den Iran, wäre die Unterstützung der EU-Länder dabei.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Klimaprotest erreicht Abendprogramm

Am 20. August 2018, setzte sich die damals 15jährige Greta Thunberg mit dem Schild “Skolstrejk för Klimatet“ vor das Parlament in Stockholm. Das war die Geburtsstunde von Fridays for Future (FFF) – einer Bewegung, die nach ersten Medienberichten international schnell anwuchs. Drei Jahre zuvor hatte sich die Staatengemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) völkerrechtlich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
mehr »