Mutiger Blog

Yoani Sánchez aus dem Epizentrum der kubanischen Realität

Die 32-jährige Sprachwissenschaftlerin Yoani Sánchez erhielt Anfang Mai den spanischen Journalistenpreis Ortega y Gasset. Den von der Tageszeitung El País gestifteten Preis konnte Kubas bekannte Bloggerin jedoch nicht persönlich entgegennehmen. Sie durfte zur Preisverleihung nicht nach Madrid reisen.

M | Was war Ihre erste Reaktion als Sie erfuhren, dass Sie den Preis Ortega y Gasset, den bedeutendsten spanischen Journalistenpreis in der Kategorie Online-Journalismus, erhalten haben?

YOANI SÁNCHEZ | Oh, ich war platt, denn ich verstehe mich nicht als Journalistin. Ich freue mich aber ungemein, dass mit diesem Preis eine neue Art der Berichterstattung gewürdigt wird. Ein Journalismus, der eben nicht von ausgebildeten Journalisten, sondern von kritischen Bürgern, die im Epizentrum der Realität leben, gemacht wird. Der Preis ist, so hoffe ich, ein weiterer Impuls für die Bloggersphäre in Kuba.

M | Sie haben lange gehofft nach Madrid reisen zu dürfen, um den Preis persönlich entgegen nehmen zu können. Doch die Regierung in Havanna verweigerte Ihnen die Ausreise. Ein harter Schlag?

SÁNCHEZ | Letztlich hat sich meine Hypothese bestätigt. Ich habe immer behauptet, dass die Reformen der kubanischen Regierung vorrangig das Ziel haben mehr Essen auf die kubanischen Tische zu bringen. Auch der Verkauf von Haushaltsgeräten, Mobiltelefonen und selbst Computern ist kein Meilenstein, denn die kubanische Regierung hat sich bei Menschen- und bürgerlichen Freiheitsrechten nicht einen Millimeter bewegt. Die Verweigerung der Ausreisegenehmigung zeigt, wie viel uns Kubanern auf dem Weg zu den bürgerlichen Freiheitsrechten noch fehlt.

M | Weshalb haben Sie sich entschieden über Ihren Blogg „Generación Y“ in die Öffentlichkeit zu treten?

SÁNCHEZ | Ich habe einen Berg von Geschichten mit mir rumgeschleppt und brauchte ein Ventil, um sie loszuwerden. Diese kleinen emotionalen Geschichten aus meiner sehr persönlichen Perspektive hätten woanders keine Chance auf Veröffentlichung. Sie sind ironisch, werden in der ersten Person erzählt und sind mit dem klassischen Journalismus nicht vereinbar und genau deshalb habe ich den Blogg als Medium gewählt. Für mich eine ideale Plattform, denn sie ist umsonst, stellt technisch keine große Herausforderung dar und gibt mir die Möglichkeit das alles auf zu schreiben.

M | Was gab den Ausschlag für den Blogg?

SÁNCHEZ | Die Idee entstand Ende Januar 2007. In Kuba lief eine Debatte unter Intellektuellen, die es so noch nicht gegeben hatte. Auslöser war der Fall Pavón beziehungsweise das Auftauchen dieses Mannes, der in den siebziger Jahre als Zar der Zensur in Kuba galt, im staatlichen Fernsehen. Daraufhin wurde per E-Mail darüber debattiert, ob es einen Wandel in Kuba gegeben habe. Nach und nach verlagerte sich die Debatte in die akademischen Institute, obwohl sie alle anging und auch Fragen zur wirtschaftlichen Situation beinhaltete. Bei mir hinterließ das ein Gefühl der Frustration und führte dazu, dass ich im April 2007 meinen ersten Beitrag auf „Generación Y“ veröffentlichte.

M | Was bedeutet dieser Blogg für Sie?

SÁNCHEZ | Oh, für mich ist der Blogg eine persönliche Therapie, ein Ausstieg aus der Apathie, der Frustration. Faktisch führe ich jetzt zwei Leben, ein reales und ein virtuelles im Cyberspace. Das reale hat sich kaum geändert, auch wenn mich mehr Leute auf der Straße erkennen und mich hin und wieder ein Journalist anruft. Das virtuelle Leben hingegen ist gigantisch, denn die Dimensionen, in die sich Generación Y entwickelt hat, sind unglaublich.

M | Wie sind die Bedingungen für unabhängigen Journalismus in Kuba?

SÁNCHEZ | Der unabhängige Journalismus in Kuba hat sich noch immer nicht von dem Schlag erholt, den ihm die Staatssicherheit im Frühjahr 2003 verpasst hat mit den Razzien und Verurteilungen von 75 Bürgern, darunter über zwanzig Journalisten. Es gibt zwar eine ganze Reihe unabhängiger Journalisten in Kuba, aber die Möglichkeiten alternative Nachrichten von der Insel zu verbreiten sind sehr begrenzt. Die Leute, die am einfachsten Informationen streuen könnten, eben diejenigen, die mit dem Internet vertraut sind und die Technik beherrschen, interessieren sich kaum für die Politik. Die unabhängigen Journalisten, die die kubanische Wirklichkeit analysieren können, sind hingegen oft Informatikanalphabeten – sie kennen sich mit der modernen Technik nicht aus. Die große Herausforderung ist es also junge Leute an den unabhängigen kritischen Journalismus heranzuführen und ihn neu zu beleben.

M | Woher nehmen Sie die Energie und den Mut Ihre Nachrichten aus dem anderen Kuba ins Netz zu stellen?

SÁNCHEZ | Frustration ist kein schlechter Nährboden, aber es sind auch Freunde, die mich, in dem was ich mache, bestärken. Natürlich habe ich auch Angst, aber ich fühle mich mitverantwortlich für das was hier in Kuba passiert und diese Verantwortung überwiegt.

M | Durch den Journalistenpreis Ortega y Gasset sind Sie international bekannt geworden – erhöht das Ihre Sicherheit in Kuba?

SÁNCHEZ | Ich denke, dass der Preis mir etwas mehr Sicherheit gibt, aber bestimmt keine Immunität. Niemand in Kuba ist immun gegen die Machenschaften des Staates, der nun einmal die Gesetze macht, durchsetzt und die Gerichte kontrolliert.

M | Wie aktualisieren Sie Ihren Blogg, wie sind die Abläufe?

SÁNCHEZ | Bloggen aus Kuba ist ein echtes Abenteuer. Ich schreibe alles offline, lade die Daten auf einen Memory-Stick und gehe dann in ein Hotel oder ein Internet-Kaffee, um die Seite zu aktualisieren. Das mache ich einmal pro Woche und unser Server steht in Kuba. Da Kubaner jedoch keinen Zugang zum Internet kaufen dürfen, haben wir den Umweg über einen Freund in Deutschland genommen, verwalten den Account jedoch aus Kuba.

Interview: Knut Henkel 

http://desdecuba.com/generaciony/

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