Nicaragua: Störfaktor unabhängige Medien

Der Journalist Carlos Fernando Chamorro und seine Frau Desiree Elizondo im Büro des Generalstaatsanwalts der Republik. Der Regierungskritiker reicht eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gegen die nationale Polizei ein, nachdem sein Büro in Managua am 19. Dezember 2018 durchsucht worden war. Foto: Reuters/Oswaldo Rivas

Nicaraguas autoritär regierendes Präsidentenpaar, Daniel Ortega und Rosario Murillo, ziehen alle Register für ihren Machterhalt. Erst wurden mehrere potenzielle Kandidaten der Opposition für die Präsidentschaftswahlen am 7. November verhaftet, dann bekannte Oppositionelle und nun gehen Polizei und Justiz gegen die letzten unabhängigen Medienvertreter*innen vor. Der bekannte regierungskritische Journalist Carlos Fernando Chamorro konnte in letzter Sekunde das Land verlassen, bevor ein Sondereinsatzkommando am 21. Juni sein Haus in Managua durchsuchte.

Abgeriegelt und mit Kontrollposten versehen, an denen sich die Bewohner*innen ausweisen mussten, war der Stadtteil Managuas, wo Carlos Fernando Chamorro wohnte, schon lange. „Das gehörte zu unserem Alltag im Polizeistaat Nicaragua“, so der Direktor von „Confidencial“, einer kritischen Online-Zeitung, mit bitterem Ton. „Confidencial“ berichtet seit Ende Juni 2021 seit der Flucht von Chamorro wieder aus Ausland. Für den 63-jährigen war klar, dass die Spezialeinheit, die in sein Haus eindrang, den Auftrag hatte ihn festzunehmen und zum Schweigen zu bringen, so schreibt er in seiner Kolumne auf der weiterhin funktionierenden Homepage von „Confidencial“.

Die Server der Website steht schon lange im Ausland, denn es ist nicht das erste Mal, dass Reporter und Reporter*innen fliehen mussten. Anfang 2019 ging ein gutes halbes Dutzend nach Costa Rica, weil sie in Nicaragua nicht mehr sicher waren. Im November 2019 kehrten sie zurück. Nun wiederholt sich die Geschichte, nur ist sich Chamorro nicht sicher, ob und wann er zurückkehren kann. Für ihn sitzen die Putschisten in El Carmen, der Residenz der Familie Ortega/Murillo. „Sie haben die Gesetze und demokratischen Institutionen pulverisiert, den Polizeistaat durchgesetzt und nun scheint Daniel Ortega zu dem Schluss gekommen zu sein, dass er keine Wahl gegen einen Kandidaten der vereinigten Opposition gewinnen kann“, meint Chamorro in einem Video auf „Confidencial“ online. Daniel Ortega wolle eine Ein-Parteien-Herrschaft wie in Kuba oder Venezuela durchsetzen, betonte er.

Da scheinen unabhängige Medien zu stören. Auffällig ist, wie konfrontativ Vizepräsidentin Rosario Murillo Ende Juni öffentlich gegen die „Terroristen der Kommunikation“ agierte. „Ihre Federn sind voll von Hass“, sagte die Frau von Daniel Ortega, die sowohl Sprecherin der Regierung als auch Vizepräsidentin ist. Für Gonzalo Carrión vom Nicaraguanischen Menschenrechtskollektiv „Niemals wieder“ ist das eine „Konfrontation auf höchster Ebene“. Die Rede Murillos zeige den inhumanen Charakter des Regimes.

Die Regierung hat anscheinend die gesamte Opposition, die Familie Chamorro und die Medien des Landes im Visier. Anders lässt sich die Welle der Repression, die seit Anfang Juni durch Nicaragua zieht, kaum erklären. 21 namhafte Oppositionelle wurden zwischen dem 2. Juni und dem 20. Juni inhaftiert. Darunter fünf potenzielle Präsidentschaftskandidaten für die am 7. November anstehenden Wahlen.

Die politische Opposition hat sich darauf verständigt, geeint aufzutreten.  Von den sieben Kandidat*innen sind mit Cristiana Chamorro, Schwester von Carlos Fernando Chamorro, und Miguel Mora zwei in Mittelamerika bekannte Journalist*innen. Während Cristiana Chamorro, die seit dem 2. Juni unter Hausarrest steht, die Stiftung Violeta Barrios de Chamorro für Pressefreiheit leitet, ist Miguel Mora der Mann hinter „100% Noticias“, dem regierungskritischen Nachrichtenkanal. Ihm werde vorgeworfen, die Unabhängigkeit und Souveränität des mittelamerikanischen Landes zu untergraben, eine Intervention ausländischer Kräfte voranzutreiben und Wirtschaftssanktionen gegen die Regierung zu unterstützen, hieß es in einer Presseerklärung der Polizei. Für Mora ist es nicht die erste Festnahme, bereits 2018 war er 172 Tage in Haft.

Nun berufen sich Polizei und Justiz auf ein Gesetz, dass erst im letzten Dezember erlassen wurde: das „Gesetz zur Verteidigung der Rechte des Volkes auf Unabhängigkeit, Souveränität und Selbstbestimmung für den Frieden“. Mit diesem Gesetz, dessen Paragraphen derzeit gegen mehrere der insgesamt 21 bekannten Oppositionellen Anwendung finden, darunter die fünf potenziellen Kandidat*innen für die Präsidentschaft, hat die Regierung Ortega ihr gesetzliches Instrumentarium gegen Andersdenkende komplementiert. Dazu gehört ebenso das Gesetz gegen „ausländische Agenten“, das Personen und Organisationen von politischen Aktivitäten ausnimmt, wenn sie Geld aus dem Ausland erhalten. Auch das Gesetz gegen „Internetkriminalität“, das Haftstrafen für die Verbreitung „falscher Informationen“ in elektronischen Medien vorsieht, ist de facto ein Gesetz, um unliebsame Informationen zu unterbinden und richtet sich damit gegen alternative Medien wie „100%Noticias“ oder „Confidencial“.

Dabei hat die Regierung die gesamte Familie Chamorro im Visier. Kein Zufall, denn Violeta Barrios de Chamorro besiegte den Ex-Revolutionär bei der Wahl 1990. Sie ist die Mutter von Carlos Fernando Chamorro, von Cristiana Chamorro und dem vor einer Woche festgenommenen Pedro Joaquín Chamorro. Zu Familie zählt mit Juan Sebastían Chamorro zudem ein weiterer festgenommener potenzieller Präsidentschaftskandidat. Der ist allerdings nicht Journalist wie das Gros der Familie Chamorro, sondern Ökonom. Er repräsentiert den wirtschaftspolitischen Think Tank Funides, tritt aber auch für freie Berichterstattung ein.

 

 

 

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