Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

Mädchen mit Europafahne

Foto: 123rf

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als „Beginn einer neuen Ära“ zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  – vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei – umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.

Das Büro des Bundeslandes Bayern bei der EU in Brüssel sieht aus wie ein Schloss, zeugt von weißblauem Selbstbewusstsein und ist ein Veranstaltungsort, der traditionell auch gerne von der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle für ihre Konferenzen genutzt wird. Dann werden dort die wichtigen medienpolitischen Themen des Kontinents verhandelt, schließlich ist die Audiovisuelle Informationsstelle eine Organisation des Europarats.

Im Dezember war es wieder so weit. Rund dreihundert politische Player der europäischen Medienindustrie sowie -politik versammelten sich in der bajuwarischen Landesvertretung, direkt gegenüber liegt das Europäische Parlament. Diesmal im Fokus: Das Europäische Medienfreiheitsgesetz (EMFA), das „als Beginn einer neuen Ära der Medienregulierung durch die EU und als wichtiger Schritt zur Sicherung der Medienfreiheit und des Medienpluralismus im EU-Binnenmarkt angesehen werden kann.“ So formulierte es der Medienrechtler Mark David Cole. Der Brite aus Darmstadt ist in Deutschland kein Unbekannter, schließlich ist er Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) in Saarbrücken und saß im von den deutschen Bundesländern einberufenen Zukunftsrat zur Reform der Öffentlich-Rechtlichen hierzulande.

 Ein „Geschenk“ namens EMFA

Aktuelle Missstände wie unkoordinierte nationale Vorschriften und Verfahren im Zusammenhang mit Medienpluralismus, unzureichende Zusammenarbeit zwischen nationalen Medienregulierungsbehörden, Einmischung in redaktionelle Entscheidungen von Medienunternehmen sowie undurchsichtige und unfaire Zuweisung wirtschaftlicher Ressourcen an die Medien sollen von der neuen Richtlinie wenn schon nicht beseitigt, so doch wenigstens eingedämmt werden. Ein „Geschenkpaket“ sei das, sagte Cole was da bereits im Mai an die Mitgliedsstaaten „ausgeliefert“ worden sei.

Nun wollen auch große Würfe Weile haben, weshalb erst ab August 2025 die meisten seiner Bestimmungen anwendbar sein werden. Falls mache EU-Mitglieder das „Geschenkpaket“ überhaupt auspacken. Denn der EMFA zielt natürlich auf die „Länder innerhalb der EU, die Desinformation verbreiten, die Slapps gegen Journalist*innen zulassen und die die Pressefreiheit einschränken“, sagte Mark Dempsey von der Menschenrechtsorganisation „Article 19“.

Gemeint sind Italien, Kroatien, Griechenland, die Slowakei und auch Ungarn. Sie sind allesamt keine Leuchttürme in Sachen Medienfreiheit, und Dempsey hob vor allem die Durchsetzung von EMFA-Artikel 5 hervor, der vor allem die öffentlich-rechtlichen Medienanbieter schützen und ihre redaktionelle und funktionelle Unabhängigkeit gewährleisten soll.

 „Spezielle Sichtweise“ der deutschen Medien

Bayern beziehungsweise die Bundesrepublik gehören bislang nicht zur Liste der Problemländer. Schon zur Begrüßung hatte es sich der Ministerialdirigent und Leiter der Abteilung Europaangelegenheiten und Internationales der Bayerischen Staatskanzlei, Michael Hinterdobler, daher nicht nehmen lassen, den Teilnehmenden zu verkünden, dass es in Deutschland keine staatliche Beeinflussung die Öffentlich-Rechtlichen geben würde.

Vielmehr hätten hierzulande „die Journalisten nur alle eine spezielle Sichtweise, von der sie glauben, dass sie damit die gesellschaftliche Mehrheit abbilden.“ Womit Hinterdobler das gängige Narrativ der Populisten bediente, um eine angeblich staatsnahe Sicht bei ARD, ZDF und Co zu bestimmten Entwicklungen zu erklären, beispielsweise während der Syrienkrise 2015/2016 oder der Corona-Pandemie.

Und schon kurz vor der Brüsseler Veranstaltung hatte sich „Article 19“ besorgt über den von der EU vorgeschlagenen neuen Ansatz der Europäischen Kommission gezeigt, „der sich auf Unternehmens- und Sicherheitsinteressen konzentriert und von der Annahme ausgeht, dass Wachstum und Sicherheit für die Aufrechterhaltung der europäischen Werte und Lebensweise notwendig sind“. Das könnten die großen Konzerne und Plattformen für sich nutzen und so bestimmte Zielsetzungen des EMFA unterlaufen, warnte Dempsey: „Die Entscheidungsträger sollten wachsam bleiben gegenüber Narrativen und Argumenten, die die Interessen von Unternehmen fördern und unsere Abhängigkeit von ihnen verstärken.“

Mehr oder weniger Regulierung?

Da könnte mehr Regulierung helfen, doch davon hätte Grégoire Polad, Director General der Association of Commercial Television in Europe, lieber weniger. Er jedenfalls erklärte aus Sicht seines Verbandes den Artikel 21 des MFA für fundamental, der festschreibt, dass der

Regulierungsaufwand für kleinere Unternehmen auch gefälligst klein gehalten werden soll. Der Feind, mahnte Polad, sitze anderswo: „Was passiert gerade in den USA, wo das Soziale Netzwerk X zu einer politischen Maschine umgebaut wird? Was die Konzentration angeht, ist es wichtig, auf die Plattformen zu schauen.“ Doch diese sehen das – auch nicht ganz überraschend – anders. Inga Moser von Filseck, Head of Public Policy Europe bei Amazon Prime Video, machte jedenfalls umgehend klar, dass sie ihre Industrie schon für „sehr reguliert“ hält. Weshalb sie EMFA-Artikel 20 viel interessanter findet. Dort wird unter anderem die Möglichkeit eingeräumt, bei Entscheidungen der Europäischen Union erstmal eine unabhängige Schiedsstelle anrufen zu können. „Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Kundschaft ihre Vorlieben mit Blick für Programme selbst festlegt“, sagte von Filseck, und das sei eben „spezifisch für das User Interface“.

Welchen Stellenwert die Videoplattformen mittlerweile einnehmen, machte schließlich Gilles Fontaine von der Audiovisuellen Informationsstelle noch einmal deutlich: Während sich das gesamte Wachstum über alle audiovisuellen Gattungen in Europa zwischen 2019 und 2023 nur auf 4,5 Prozent belaufe, konnten sich die On-Demand-Angebote um knapp 30 Prozent steigern und machten damit aktuell ein Viertel des gesamten europäischen AV-Marktes aus.

Jetzt geht’s ums Kleingedruckte

Nach Geschenkauslieferung und gebührender Feierstunde geht es jetzt beim EMFA ums Kleingedruckte. Denn was wirklich dabei herauskommt, wird sich wie gesagt frühestens im Sommer 2025 zeigen; oder, wie die Referatsleiterin Audiovisuelle und Medienpolitik bei der Europäischen Kommission, Anna Herold, höchst pragmatisch formulierte: „Jetzt startet der Umsetzungs- und Vermittlungsprozess.“ Und auf dem Papier durften zwar alle unterschreiben, was der oberste Medienschützer Nordrhein-Westfalens, Landesmedienanstalt-NRW-Direktor Tobias Schmid, forderte: „Am Ende sollten es professionelle und unabhängige Aufsichtsbehörden sein, die darüber entscheiden, was erlaubt und was verboten ist – und nicht die AGB von Herrn Musk.“ Ob das allerdings den zukünftigen Chef des US-„Department of Government Efficiency“ sonderlich beeindruckt, bleibt abzuwarten.


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