Nur noch Kostenfaktor

Griechenland: Mitarbeiter wehren sich gegen RTL-Umbaupläne

„Geschäft abgeschlossen“ verkündete RTL am 17. Dezember letzten Jahres. Für 125,7 Millionen Euro waren 66,6 Prozent des griechischen Medienkonzerns Alpha in den Besitz der europäischen Marktführer im Radio- und Fernsehgeschäft Europas übergegangen. Damit steigt RTL in den als „vielversprechend“ eingeschätzten griechischen Fernsehwerbungsmarkt ein.

„Der TV-Werbemarkt des Landes ist von ungefähr 300 Millionen Euro in 2001 auf mehr als 500 Millionen Euro in 2007 gestiegen und wird voraussichtlich auf mittlere Sicht um weitere jährliche 6 bis 7 Prozent wachsen“, hatte der Konzern bereits im September 2008 sein Interesse am Geschäft begründet. An den Arbeitsverhältnissen werde sich jedoch nichts ändern, verkündete der neue Chef in Athen Anfang des Jahres den etwa 610 angestellten Journalisten, Technikern und Verwaltungsangestellten des drittgrößten griechischen Senders. Rick Spinner versprach insbesondere die Sparte Information mit den drei täglichen Nachrichtensendungen beizubehalten.
Doch dann „entdeckten“ die neuen Eigentümer, dass Alpha Schulden hat. Daraufhin wurden Kosteneinsparungen beschlossen, in allen Bereichen, auch beim Personal. Eine derartige Entscheidung verursache natürlich „Stress unter den Mitarbeitern“, so Rick Spinner. Deswegen werde man „das so schnell wie möglich“ über die Bühne bringen. „Offiziell wird niemand entlassen“, erläutert Machi Zisidou im Gespräch mit M. Stattdessen habe die Geschäftsführung die Kollegen aufgefordert, individuell die Bedingungen für ein „freiwilliges Ausscheiden“ aus dem Sender auszuhandeln. Für die Vertreterin der bei Alpha angestellten Rundfunk- und Fernsehreporter ist dies lediglich eine euphemistische Umschreibung desselben Sachverhaltes. „Wenn der Chef dich solange auffordert, doch zuzugreifen und die Abfindung zu kassieren, bevor die Kündigungsbedingungen schlechter werden, bis der Kollege wirklich geht, was ist das anderes als eine Entlassung?“
Für die griechische Journalistengewerkschaft, ESIEA, ist das Vorgehen von RTL gleich aus vier Gründen unzulässig. „Erstens wurde die Übernahme des Senders durch RTL noch nicht von der zuständigen griechischen Instanz, dem Fernseh- und Rundfunkrat abgenommen“, erklärt Dimitris Trimis gegenüber M. Vorher aber könne RTL eine derartige Entscheidung gar nicht treffen. Zum anderen sei die von RTL gewählte Variante gar kein „freiwilliges Ausscheiden“. „Darunter versteht man vielmehr die vorzeitige Entlassung älterer Arbeitnehmer in die Rente, wobei das Unternehmen für die fehlenden Beiträge bis zum eigentlichen Renteneintrittsalter aufkommt“, erläutert das Vorstandmitglied der ESIEA. „Außerdem hätte RTL nach Vorgaben nationalen und EU-Rechtes mit der Gewerkschaft verhandeln müssen.“ Und nicht zuletzt sei in vergleichbaren Fällen von griechischen Gerichten festgestellt worden, dass die „freiwillig Ausgeschiedenen“ unter Missbrauch der Gesetze entlassen wurden. In solchen Fällen wurde der Arbeitgeber verpflichtet, sämtliche Löhne bis zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung nachzuzahlen und den Entlassenen wieder einzustellen.
Neben der Angst um den Arbeitsplatz sind es vor allem die Veränderungen der Arbeitsbedingungen, die den Mitarbeitern Sorgen machen. „Besonders den Journalisten geht gegen den Strich, dass plötzlich alle nur noch Befehlsempfänger und Kostenfaktoren sein sollen“, meint Machi Zisidou. „Alles wird unter Ausschluss der Meinung der Kollegen entschieden. Als besonders gravierend beschreibt Zisidou die Veränderungen bei den Nachrichtensendungen. Die abendliche Hauptnachrichtensendung wird um ein Viertel auf 45 Minuten gekürzt – üblich sind in Griechenland Hauptnachrichtensendungen zwischen einer und zwei Stunden Dauer. Die Mittagsnachrichten werden demnächst von einer halben Stunde auf 10 bis 15 Minuten zusammengestrichen. Und die Spätnachrichten werden jetzt schon nicht mehr aktuell und live, sondern als vorproduzierte „Konserve“ ausgestrahlt.
„Alpha hat eine der begehrten und begrenzten griechenlandweiten Sendelizenzen“, erläutert Zisidou. „Die ist mit bestimmten Auflagen verbunden, zum Beispiel mir der Verpflichtung zur Information. Es geht nicht, dass ein Sender mit landesweiter Sendelizenz überwiegend Soaps und Magazinsendungen und ganz wenig Nachrichten sendet.“ Genau hier aber dürfte das Interesse des nach Eigenauskunft weltweiten Marktführers bei der Produktion und Vermarktung von Rechten an Filmen und Serien liegen. „RTL will aus einem Fernseh- und Rundfunksender ein Unternehmen machen, das mediale Produkte herstellt“, fasst die Gewerkschafterin die Konzernintention zusammen. „Techniker und Journalisten werden rausgedrängt, Finanzer und Juristen eingestellt. Alles dreht sich nur noch um Kosten.“
Die Beschäftigten sind jedoch entschlossen, sich zur Wehr zu setzen. Trotz aller Repression können sie dabei erste Erfolge aufweisen. Die Geschäftsleitung holte unter der falschen Angabe einer drohenden Besetzung des Senders sogar die Polizei ins Haus, um die Teilnehmer an einer Mitarbeiterversammlung einzuschüchtern. Ein von den betroffenen fünf Branchengewerkschaften beschlossener Streik wurde zwar vom Gericht aus formalen Gründen als „missbräuchlich“ verboten, kurzfristig aber neu beschlossen und erfolgreich durchgeführt. „Nach den Aktionen ist das Klima wieder entspannter, von neuen Entlassungen redet erst mal keiner“, meint Zisidou. Gebannt ist die Gefahr für die Gewerkschafterin allerdings nicht. „Wir sind alle in Wartestellung.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Klimaprotest erreicht Abendprogramm

Am 20. August 2018, setzte sich die damals 15jährige Greta Thunberg mit dem Schild “Skolstrejk för Klimatet“ vor das Parlament in Stockholm. Das war die Geburtsstunde von Fridays for Future (FFF) – einer Bewegung, die nach ersten Medienberichten international schnell anwuchs. Drei Jahre zuvor hatte sich die Staatengemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) völkerrechtlich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
mehr »