Öffentliches Interesse kann Leben retten

In London demonstrierten 2011 Menschen für die Freilassung von Irina Khalip und ihrem Mann Andrei Sannikov. Filmstill aus „This Kind of Hope“. © Copyright: A FILM COMPANY und DEPARTURES FILM / Kameramann: Daniel Samer

Für ihre Arbeit als belarusische Journalistin wurde Iryna Khalip vom Lukashenko-Regime ins Gefängnis gesteckt. Sie wurde für „Mut im Journalismus“ ausgezeichnet. Seit 2020 ist Khalip im Exil und schreibt weiter unter anderem für die „Novaya Gazeta Europa“. Derzeit ist sie mit ihrem Mann Andrei Sannikov, dem Exildiplomaten, im Dokumentarfilm „This Kind of Hope“ in Berlin zu sehen.

Was bedeutet für Sie Mut im Journalismus?

Es bedeutet für mich, dass ich einfach meine Arbeit mache, ohne darüber nachzudenken, ob das mutig, riskant oder gefährlich ist. Nichts Besonderes eigentlich.

2011 wurden Sie vom Regime zu zwei Jahren Haft verurteilt, später wurde das Urteil aufgehoben. Ihr Mann, der 2010 als Präsidentschaftskandidat gegen Lukashenko angetreten war, musste ins Exil. Warum blieben Sie trotzdem in Belarus?

Iryna Khalip Foto: privat

Die Entscheidung war wirklich schwierig und ich habe sie gemeinsam mit Andrei getroffen. Wir haben über längere Zeit verschiedene Möglichkeiten durchgesprochen, denn im Land zu b leiben barg unzweifelhaft Risiken. Ständig gab es Drohungen gegen mich. Aber so konnte ich einige weitere Jahre von Belarus aus arbeiten sowie meine Eltern und meine Schwiegermutter unterstützen. Und Andrei konnte sein Engagement für Belarus außerhalb des Landes fortführen.

Nach den Protesten 2020 verließen Sie dann allerdings das Land.

Wenn ich wieder ins Gefängnis gekommen wäre – und ich wäre definitiv dort gelandet, wie alle meine Kolleg*innen, die das Land nicht mehr verlassen konnten – dann hätten meine Eltern und meine Schwiegermutter das nicht verkraftet. Eine erneute Inhaftierung hätten sie nicht überlebt. Und auch Andrei hätte vermutlich nicht weiterarbeiten können, wenn ich im Gefängnis sitzen würde. Das ist der eine Aspekt, der andere: Da die unabhängigen Medien in Belarus mittlerweile komplett zerstört wurden, während gleichzeitig die Stimmen aus dem Ausland lauter wurden, kann ich nun viel effektiver und produktiver außerhalb von Belarus arbeiten.

Wie hat sich Ihre Arbeit seither verändert?

Eigentlich nicht viel – ich schreibe über Belarus wie schon zuvor. Nur mit einem breiteren Themenspektrum, denn ich kann jetzt frei in ganz Europa reisen und auch über Themen jenseits von Belarus recherchieren. Anders gesagt: Meine Arbeit wurde ein bisschen „globalisierter“. Noch immer schreibe ich für „Novaya Gazeta”, auch, wenn ein Teil des Redaktionsteams in Folge des eskalierten Kriegs gegen die Ukraine nun von Lettland die „Novaya Gazeta Europa“ herausgibt. Mein Lesepublikum konnte ich also behalten und sogar vergrößern.

Wie geht es den Kolleg*innen von „Novaya Gazeta“ jetzt?

Nach dem eskalierten Krieg 2022 verlor die „Novaya Gazeta“ in Russland ihren Medienstatus. Nur „Novaya Gazeta Europa“ kann von Lettland aus frei berichten. Die Kolleg*innen in Russland sind gezwungen, sich irgendwie an die neuen Regeln anzupassen, um ihre Freiheit und ihr Leben zu schützen. Aber trotzdem sagen sie weiter tapfer die Wahrheit.

Wie sieht das internationale Medieninteresse an Belarus aus?

Vor der Kulisse des Krieges gegen die Ukraine und Israels Kampf gegen den Terror tritt das Thema Belarus in den Hintergrund. Dennoch interessieren sich Journalist*innen weiter, das liegt auch an unabhängigen Belarusischen Journalist*innen, Politiker*innen und Menschenrechtsaktivist*innen im Exil. Sie verhindern, dass Belarus quasi komplett verschwindet und ein weißer Fleck auf der Landkarte wird.

In welcher Situation befinden sich Journalist*innen heute dort?

In Belarus sind keine Journalist*innen mehr übrig – die Propagandist*innen der Staatsmedien zähle ich selbstverständlich nicht darunter. Alle Journalist*innen befinden sich entweder im Exil oder im Gefängnis. Unabhängige Medien haben aufgehört zu existieren. Mit den inhaftierten Kolleg*innen leide ich aus tiefsten Herzen mit. Und für alle, die ins Exil fliegen konnten, ist es natürlich auch nicht einfach, aber es eröffnet auch große Chancen für einen unabhängigen Journalismus.

Es gibt eine Szene im Dokumentarfilm „This Kind of Hope”, die auch im Trailer zu sehen ist: Als Sie und Ihr Mann nach einer großen Protestkundgebung 2010 verhaftet wurden, berichteten Sie der Presse live, während die Polizei Sie beide aus dem Wagen zog. Wie wichtig sind die Medien und öffentliche Aufmerksamkeit für Ihre Sicherheit?

Als wir verhaftet wurden, war ich gerade mit dem russischen Radiosender „Echo von Moskau“ auf Sendung. Auch dieser Sender wurde mittlerweile zerstört. Über Nacht verbreitete sich diese Aufnahme in der ganzen Welt und selbst jene, die die Nachrichten aus Belarus nicht verfolgten, erfuhren, was mit uns geschehen war. Daher sind die Medien so entscheidend. Wir sagen schon lange, dass Öffentlichkeit Sicherheit bedeutet. Natürlich garantiert öffentliches Interesse niemandem direkt Sicherheit. Aber öffentliches Interesse kann Leben retten.

Sie sind selbst so lange Journalistin. Wie fühlte es sich da für Sie an, dass Sie und Ihre Familie über so lange Zeit für einen Film beobachtet worden sind?

In den vielen Jahren der Unterdrückung haben Andrei und ich uns daran gewöhnt. Ich habe irgendwann mal gescherzt, dass ich während meiner Laufbahn als Journalistin mehr Interviews gegeben als selbst geführt habe. Pawel (der Regisseur) hat einen hervorragenden Film gemacht, sehr tiefgründig und subtil. Gerade als Journalistin weiß ich, wie wichtig es ist, Informationen weiterzugeben und zu vermitteln. Daher habe ich niemals Interviews oder Kommentare für meine Kolleg*innen abgelehnt, egal wie müde und erschöpft ich gewesen bin. Jedes Wort über Belarus muss so laut wie möglich erklingen.

Filmplakat mit Andrei Sannikov„This Kind of Hope“

Der Dokumentarfilm „This Kind of Hope“ ist mit einer Kinotour von Protagonist Andrei Sannikov und Regisseur Pawel Siczek am 25. Januar in Leipzig gestartet. Sie führte nach Augsburg, Köln, Düsseldorf, Nürnberg und München. Derzeit wird der Film in Berlin gezeigt.

 

 

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