Politische Interessen

Venezuelas Regierung wegen Lizenzstreichung in der Kritik

Marcel Granier wählte starke Worte. Venezuela sei „auf dem direkten Weg in den Totalitarismus“, warnte der Medienmogul, nachdem sich die Regierung Ende Mai geweigert hatte, dem größten privaten TV-Sender „Radio Caracas Televisión“ (RCTV) die Nutzungsrechte für den zweiten staatlichen UKW-Kanal nach dem 27. Mai nach zwei Jahrzehnten zu verlängern. RCTV gehört zu Graniers Medienimperium „1 BC“.

Mit der Unterstützung von anderen Privatmedien, oppositionellen Parteien und Studentenorganisationen gelang es dem Unternehmer binnen weniger Tage, eine der größten Protestbewegungen der vergangenen Jahre gegen die Regierung von Präsident Hugo Chvez zu organisieren. Vor allem Jugendliche schlossen sich den Protesten gegen die „Schließung von RCTV“ an. Mit Slogans wie „Freiheit“ und Forderungen gegen die „Diktatur“ gingen sie über Wochen hinweg auf die Straße. Die Entscheidung zu RCTV sei ein Indiz dafür, dass die Regierung ihre Kritiker mundtot machen wolle.

Unterstützung rechter Militärs

Die Frage ist, was unter Kritik verstanden wird. Die Staatsführung begründete ihre Entscheidung vor allem mit der aktiven Unterstützung, die der Sender Mitte April 2002 einem Putschversuch rechter Militärs und des Unternehmerverbandes hatte zukommen lassen. Während die RCTV-Unternehmensleitung es den Journalisten damals ausdrücklich untersagt hatte, Regierungsmitglieder zu Wort kommen zu lassen, wurde den Angehörigen der Junta ein breites Forum geboten. Auch die Protestbewegung, durch die der Umsturz nach zwei Tagen niedergerungen werden konnte, blieb bis zuletzt zensiert. „Wir haben uns daher entschieden, die Lizenz von ‚Radio Caracas Televisión‘ nicht zu verlängern, um den zweiten staatlichen Kanal anderweitig zu vergeben“, sagte Informationsminister Willian Lara. RCTV habe jederzeit die Möglichkeit, auf einem privaten Kanal weiterzusenden.
Während die Opposition im Land und international auf die Barrikaden ging, verteidigte die Regierung ihre Entscheidung als „Demokratisierung des Rundfunks“. In Venezuela, so Lara, seien 80 Prozent der Medien in privater Hand. Vier große Medienkonzerne produzierten ebenfalls 80 Prozent der Information. Indem der staatliche Kanal an eine neue öffentliche Sendeanstalt übergeben wurde, habe man zum Pluralismus beigetragen. Der neue Sender „Soziales Venezolanisches Fernsehen“ (TVes) wird von einer öffentlichen Stiftung getragen und will sich an europäischen Vorbildern wie der Britischen BBC orientieren. Für die Opposition in Venezuela ist er schon jetzt ein Propagandasender.
Mit dem andauernden Streit um RCTV geht der allgemeine politische Konflikt zwischen der sozialreformerischen Regierung und der Oberschicht des südamerikanischen Landes in eine neue Runde. Ursache und Antrieb des Streits ist, dass sich die Privatmedien als Teil dieses Konfliktes verstehen. Der „Kampf“, so hatte RCTV-Chef Eladio Lrez noch kurz vor Sendeschluss angekündigt, gehe weiter. Die Entscheidung der Regierung sei ein Zeichen dafür, „dass die Regierung eine tiefe Angst vor dem Volk hat“.
Fernab dieser politischen Rhetorik und Positionierung weist der Medienstreit auf ein tatsächliches Problem hin, das über Venezuela hinausführt. Nach zwei Jahrezehnten neoliberaler Politik des freien Marktes sind auf dem amerikanischen Kontinent riesige Medienkonzerne entstanden, die als Bedrohung der politischen Souveränität wahrgenommen werden, weil sie immer mehr im Sinne der eigenen wirtschaftlichen Interessen handeln. Zu Konflikten kommt es vor diesem Hintergrund nicht nur in Bolivien und Ecuador, wo die Staatsführungen eine Politikwende eingeleitet haben. Auch in Mexiko dauert der Widerstand gegen das so genannte Televisa-Gesetz an. Die Bestimmung war vor genau einem Jahr verabschiedet worden und hat den gesamten Rundfunk zwei Großunternehmen übergeben: der „Grupo Televisa“ – daher der inoffizielle Name der Direktive – und „TV Azteca“. In Venezuela kann die Regierung einen anderen Trend vorweisen. In den vergangenen fünf Jahren wurden dort fast 200 kleine kommunale Medien gegründet.

Von US-Stiftung finanziert

Eine offene Debatte um eine neue Medienpolitik wird im Fall Venezuelas auch durch politische Interessen verhindert. Im Europaparlament etwa nutzten einige wenige rechtskonservative Abgeordnete unter Führung der spanischen „Volkspartei“ den Medienstreit, um die Regierung in Caracas zu attackieren. Und in der „Organisation Amerikanischer Staaten“ war es die US-Außenministerin Condoleezza Rice, die (erfolglos) eine Verurteilung forderte. Während die Studenten in Caracas auf die Straße gingen wurde bekannt, dass die Proteste von der Organisation CANVAS mit Sitz in Belgrad unterstützt wurden. Die Gruppe war mit ihren „Demokratisierungsprogrammen“ zuvor bereits in Georgien und der Ukraine präsent und wird von US-Stiftungen wie „Freedom House“ finanziert. So blieb vor allem ein Eindruck: Der Protest richtete sich eher gegen die Regierung als für Pressefreiheit.

 
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