Gespräch mit Paul Steiger von ProPublica – Pulitzer-Preisträger
Der US-amerikanische Zeitungsmarkt steckt in der Krise. Große Zeitungen mussten massiv Personal abbauen, die Qualität leidet. In diesem Umfeld hat das Milliardärsehepaar Herbert und Marion Sandler aus San Francisco vor mehr als drei Jahren beschlossen, den investigativen Journalismus jährlich mit zehn Millionen Dollar zu unterstützen. Gemeinsam mit dem damaligen Redaktionsleiter des Wall Street Journals, Paul Steiger, gründeten sie die Organisation ProPublica mit Sitz in New York, der Steiger als Chefredakteur vorsteht. Mehr als hundert Geschichten hat ProPublica seitdem recherchiert und dafür in diesem Jahr zum zweiten Mal den Pulitzer-Preis erhalten.
M | Verkörpert ProPublica die Zukunft des US-amerikanischen Zeitungsjournalismus?
PAUL STEIGER | Unser Modell ist sicher nicht die Zukunft des Journalismus. Wir vertreten einen kleinen, aber wichtigen Teil des Journalismus, nämlich den investigativen. Aber wir müssen uns noch weiter etablieren. Wir können zu einem wesentlichen Bestandteil der US-amerikanischen Medienlandschaft werden.
M | Haben Sie eine Mission?
STEIGER | Wir wollen Machtmissbrauch und Fehlverhalten ans Licht der Öffentlichkeit bringen und den Menschen damit ein Instrument in die Hand geben, mit dem sie Wandel bewirken können.
M | Das haben Sie mit WikiLeaks-Gründer Julian Assange gemeinsam. Zumindest sagt er das immer. WikiLeaks verbreitet geheimes Material, das von sogenannten Whistleblowern stammt. Wie geht ProPublica mit solchen Informanten um?
STEIGER | Sehr behutsam und vorsichtig. Sie können eine Schlüsselquelle für wichtige Informationen sein. Gleichzeitig müssen wir aber wachsam gegenüber Übertreibungen und falschen Behauptungen sein.
M | Wie vielen Geschichten gehen Sie pro Woche nach?
STEIGER | Wir sind 32 fest angestellte Journalisten, 19 davon sind Reporter, und jeder von ihnen hat seine spezifischen Projekte, an denen er permanent arbeitet, manchmal auch an zweien oder dreien gleichzeitig. Es kann mehrere Wochen oder Monate dauern, bis eine Story fertig recherchiert und geschrieben ist. Wir stellen alles auf unsere eigene Webseite www.propublica.org. Bei großen Projekten gehen wir Medienpartnerschaften ein. Das können Zeitungen, Magazine, Fernsehen oder Radio sein, denn wir wollen mit unserer Arbeit ein größtmögliches Publikum erreichen.
M | Auch WikiLeaks sucht sich Partner in den klassischen Medien für die Veröffentlichung. Zahlen Ihre Partner eigentlich für die Veröffentlichung Ihrer Artikel?
STEIGER | Nein. Wir sind ein rein philanthropisches Unternehmen und wollen, dass unsere Geschichten ein relevantes Publikum erreichen, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen. Wenn wir Machtmissbrauch ans Tageslicht bringen, möchten wir, dass dies auch Konsequenzen hat. Und das beste Mittel dafür ist, unsere Inhalte kostenlos anzubieten. Das heißt natürlich nicht, dass wir niemals dafür Geld verlangen werden. Viele dieser Geschichten kosten in der Produktion mehrere Hunderttausend Dollar.
M | Wie lange haben Ihnen die Sandlers Ihre 10-Millionen Dollar Spende garantiert? Ist das Ihre einzige Einnahmequelle?
STEIGER | Sie haben diese Summe für drei Jahre versprochen. Nach unseren ersten beiden Jahren haben sie ihr Versprechen verlängert, so dass wir diese Garantie noch für zwei bis drei Jahre haben. Mittlerweile wollen wir die Zahl der Spender aber vergrößern. 2008 ist es uns schon gelungen, eine Million Dollar an Spenden aus anderen Quellen zu sammeln. Und im vergangenen Jahr haben wir zusätzlich drei Millionen eingenommen. Seit Anfang dieses Jahres schalten wir auch Werbung auf unserer Seite und sind auch weiter auf der Suche nach neuen Einnahmequellen.
M | Werden Sie schon soweit ernst genommen, dass Sie Zugang zu den Mächtigen erhalten? Fürchtet man Sie bereits?
STEIGER | Ich würde schon sagen, dass man uns fürchtet. Aber als wir angefangen haben, war das ehrlich gesagt manchmal schon etwas hart, wenn wir irgendwo angerufen haben und nicht zurückgerufen wurden. Wir haben natürlich trotzdem unsere Techniken, um an Informationen zu gelangen. Und mit der Zeit haben die Leute verstanden, wer wir sind, und dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, unsere Anrufe zu erwidern. Ich will jetzt nicht sagen, dass wir immer so schnell zurückgerufen werden, wie ein Reporter beim Wall Street Journal oder der New York Times oder NBC News. Aber in den meisten Fällen schon.
M | Gibt es eine Konkurrenz zwischen den Medien, wenn zum Beispiel jemand mit Ihnen ausschließlich an einer Sache arbeiten möchte?
STEIGER | In Washington arbeiten wir zum Beispiel mit Politico und der Washington Post zusammen. Das sind zwei großartige Partner, und wir versuchen, beide zufriedenzustellen. Bisher ist uns das auch gelungen. Unsere Philosophie ist, mit so vielen Medien wie möglich Partnerschaften einzugehen. Wir wollen mit unseren Partnern daten, sie aber nicht heiraten.
M | Aber sind Sie nicht auch ein Konkurrent für Zeitungen? Denn diese haben immer weniger Ressourcen, um selbst investigativen Journalismus zu betreiben und sie gehen dann eine Partnerschaft ein, mit wem sie wollen.
STEIGER | Wir sind relativ klein im Vergleich zu dem, was Zeitungen selbst leisten. Unsere großen Partner beliefern wir im Jahr vielleicht mit sieben oder acht Geschichten, das ist zwar wenig, aber sie erzielen oft eine hohe Wirkung. Zeitungen sehen uns als wertvolle Ergänzung und nicht als Ersatz für eigene journalistische Leistungen.
Das Gespräch führte Eleni Klotsikas