Was tun, wenn das traditionelle Mediengeschäft nicht mehr funktioniert? Wie auch in anderen Ländern der Region, ist dies in Rumänien keine Frage der Zukunft, sondern längst eine der stringenten Gegenwart. Immer mehr ambitionierte Autor_innen und Fotograf_innen kehren den traditionellen Medien den Rücken und gründen ihre eigenen Portale, wo sie hochwertige, rechercheintensive Beiträge veröffentlichen. Könnte die Zukunft des Journalismus in Osteuropa bald so aussehen?
Aufwändige Formate wie Auslandshintergrundberichte, Reportagen, oder investigative Stücke werden seit Jahren kaum mehr von Zeitungen oder Fernsehsendern produziert. Es gab nie Geld dafür, seit Beginn der Wirtschaftskrise 2009 erst recht nicht. Fast die Hälfte der überregionalen Tageszeitungen wurde seitdem eingestellt oder erscheinen, wenn überhaupt, nur noch online. Und die Auflagen derjenigen, die übrig geblieben sind, erreichten bereits Werte im niedrigen fünfstelligen Bereich, was ernsthaft die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz aufwirft. Das Personal der meisten Redaktionen wurde in den letzten Jahren halbiert, die ohnehin niedrigen Gehälter bewegen sich jetzt in einer lächerlichen Marge.
Hinzu kommt ein regionsspezifischer Themenkomplex, der in der Regel unter dem Stichwort „Oligarchen“ zusammengefasst wird. Dabei handelt es sich allerdings nicht nur um Einschränkungen der Pressefreiheit durch eine kleine Personengruppe, die die Medienunternehmen kontrolliert. Vielmehr geht es um ein eigenartiges Geschäftsmodell, das in vielen osteuropäischen Ländern in den 1990er Jahren entstanden ist und mittlerweile die ganze Branche prägt. Ein komplexes System aus Verflechtungen zwischen Politik, lokalem Kapital und Medien entwickelte sich vor dem Hintergrund der prekären und instabilen Situation während der gesellschaftlichen Transformation. Mehr oder weniger einflussreiche Geschäftsleute wurden zu Medieneigentümern und nahmen damit massive Verluste in Kauf, um ihre politischen und Wirtschaftsinteressen indirekt durchzusetzen. Das Problem ist strukturell: Die Beseitigung eines Oligarchen etwa durch die Justiz ändert daran nur wenig, weil das traditionelle Mediengeschäft längst nicht mehr rentabel ist. Für potenzielle „ehrliche Investoren“ ist die Branche insofern alles andere als attraktiv.
Nach dem Abschluss der Journalismus-Schule in Bukarest sammelte Vlad Ursulean 2009 seine ersten Erfahrungen mit diesem System bei der liberalen Tageszeitung „România liberă“, einem Traditionsblatt, das damals der WAZ-Gruppe gehörte. Ein Jahr später stieg der deutsche Konzern jedoch aus dem perspektivlosen Geschäft aus, die Zeitung geriet unter die Kontrolle des einheimischen Partners der Essener Investoren, Dan Adamescu. Dieser ist Eigentümer eines der größten, mittlerweile allerdings insolventen Versicherungsunternehmen in Rumänien, und steht bei der Staatsanwaltschaft unter Verdacht der Geldwäsche und Bestechung. Doch trotz des Ausbruchs dieses Korruptionsskandals brachte die Reporter-Stelle dem jungen Journalisten Ursulean tiefe Frustration. Seine sozialen Reportagen konnten nur selten umgesetzt werden, das Alltagsgeschäft erwies sich schnell als wenig herausfordernd und die Arbeitsbedingungen waren wie überall äußerst prekär.
So beschloss der enthusiastische Reporter 2011, zusammen mit zwei anderen Kollegen sein eigenes Medienprojekt in Bukarest zu gründen. Sie nannten es „Casa Jurnalistului“ („Haus des Journalisten“), weil es ein Portal für hochwertige, rechercheintensive Beiträge und zugleich ein Hausprojekt ist, wo die Reporter wohnen und arbeiten. Am Anfang finanzierten diverse Stiftungen einzelne Teile des Unterfangens. „Wir haben in den ersten Monaten immer wieder fleißig Anträge geschrieben“, erinnert sich Ursulean. „Doch ideal war das nicht, weil es nach wie vor zahlreiche Einschränkungen gab. Unsere Projekte mussten ja so justiert werden, dass sie zu den Programmen und Ausschreibungen der Stiftungen passen.“ Andererseits sorgten einige ihrer ambitionierten Reportagen, sowie der geschickte Umgang mit den sozialen Medien für eine gewisse Aufmerksamkeit. Der multimediale Ansatz des Portals und die Originalität der Beiträge sprachen vor allem ein junges, urbanes und internetaffines Publikum an, das seitdem zur Kernleserschaft des Projekts gehört.
„Vor drei Jahren haben wir angefangen, auch jenseits der Zusammenarbeit mit den Stiftungen unsere eigenen Texte zu produzieren und auf dem Portal zu veröffentlichen“, erzählt Ursulean. „Wir hatten damals eine Art kritischer Masse erreicht, die uns erlaubte, ein publikumsfinanziertes Modell zu testen.“ Die Rechnung ging auf: Seitdem decken die Geldbeiträge der Leserinnen und Leser nicht nur die Produktions- und Recherchekosten, sondern darüber hinaus auch „die Kosten des Hauses“, etwa die Miete, den Strom und die Telefonverbindungen. Neue Geschichten erscheinen mittlerweile mindestens einmal wöchentlich und das ganze Archiv steht im Internet frei zur Verfügung, auf Rumänisch und für manche Texte auch in englischer Übersetzung. Ein breites Themenspektrum, von Umwelt über politische Proteste bis hin zu Obdachlosigkeit wird bedient, und die Reportagen sind immer sorgfältig dokumentiert und menschennah. „Wir haben von Anfang an einiges klar gemacht: Wer Qualität möchte, muss den Journalismus, und das heißt auch die Journalisten finanzieren. Aber die Geldbeiträge bleiben freiwillig.“ Heute gilt „Casa Jurnalistului“ als eine Erfolgsgeschichte, und wird sogar in anderen Ländern der Region nachgeahmt.