Im Krieg gegen die Ukraine geht Moskau nicht nur erbarmungslos gegen die ukrainische Bevölkerung vor. Der Kreml versucht auch, die Berichterstattung im eigenen Sinne zu beeinflussen und kritische Stimmen zu unterbinden. Am 4. März stimmte das russische Parlament für eine Medien-Gesetzesänderung, die die Arbeit von Journalist*innen sowohl im Inland als auch die Berichterstattung der Auslandsmedien inzwischen stark einengt und kriminalisiert. Sie ermöglicht es, willkürlich hohe Haftstrafen für vermeintlich regierungsfeindliche Äußerungen zu verhängen.
Nach dem neuen Gesetz kann die Verbreitung angeblicher Fake-News über die russischen Streitkräfte mit hohen Geldstrafen und bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Nach der Unterzeichnung durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin ist es bereits seit 5. März 2022 in Kraft. Schon vorher waren Sprachregelungen eingeführt worden. Danach ist es verboten, von „Angriff“, „Invasion“ oder „Kriegserklärung“ zu sprechen. Stattdessen gehe es um eine „Spezialoperation“.
Die Beschränkungen stellen eine neue Qualität dar. Viele ausländische Medien reagierten. BBC, Bloomberg, CNN, CBS News, die RAI wie auch ARD und ZDF stellen ihre Arbeit in Russland vorerst ein. Das neue Gesetz wolle unabhängigen Journalismus offenbar kriminalisieren, begründete BBC-Chef Tim Davie via Twitter. Er stellte klar, dass die Sicherheit der Mitarbeiter vorgehe. „Wir sind nicht bereit, sie dem Risiko der Strafverfolgung auszusetzen, nur weil sie ihren Job machen.“ ARD und ZDF erklärten in einem abgestimmten Statement am Samstag: „ARD und ZDF prüfen die Folgen des am Freitag verabschiedeten Gesetzes und setzen die Berichterstattung aus ihren Moskauer Studios erst einmal aus. Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender werden von ihren anderen Standorten aus weiterhin das Publikum umfassend über das Geschehen in Russland und der Ukraine informieren.“
Auch andere reagieren: Der Streamingdienst Netflix zum Beispiel stellt seinen Dienst ein, TikTok schränkt nach dem neuen Gesetz sein Angebot ein.
Einen anderen Weg will die „Washington Post“ einschlagen. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) beschreibt, verzichtet das Blatt nach dem neuen Gesetz auf die Namensnennung von Autoren und Autorinnen, die in Russland schreiben.
Neben den Reaktionen ausländischer Medien handeln auch russische Behörden: Bereits geschlossen ist das Korrespondenten-Büro der Deutschen Welle in Moskau. Das Sendeverbot der Deutschen Welle steht aber vor allem im Zusammenhang mit dem vorher ausgesprochenen Verbot des russischen Staatssenders RT in Deutschland und der EU.
Die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti meldete außerdem, die Medienaufsicht hätte die Internetseiten der Deutschen Welle, der BBC, der Voice of America, von Radio Free Europe/ Radio Liberty sowie der lettischen Website „Medusa“ blockiert. Außerdem sperrte Moskau Facebook und schränkte den Zugang zu Twitter ein.
Das neue Gesetz verschärft die Lage noch einmal für unabhängige und Kreml-kritische Medien in Russland: Schon vor dem Krieg in der Ukraine war Pressefreiheit in Russland ein gefährdetes Gut. Das Land belegte in der Liste von Reporter ohne Grenzen (RSF) Rang 150 von 180. Jetzt gab „Echo Moskwy“ nach 30 Jahren am 3. März seine Auflösung bekannt. Obgleich der Sender der staatsnahen Gazprom Media Holding gehörte, hatte er viele liberale Stimmen zu Wort kommen lassen. Dort wurde der Krieg auch Krieg genannt. „TV Doschd“ stellte die Arbeit ein, nachdem ihm die Schließung angedroht wurde. Chefredakteur Tichon Dsjadko floh ins Ausland. Die „Nowaja Gaseta“, Chefredakteur ist dort immerhin der Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow, erklärte, dass sie keine Nachrichten mehr über den Krieg in der Ukraine bringen werde. In einer Umfrage sagten die Leser*innen, die Redaktion solle weitermachen, sie würden zwischen den Zeilen lesen.
Gleichwohl geht hierzulande eine andere Debatte weiter. So geht der Vorwurf an die ARD, sie sei bei der Berichterstattung aus dem Kriegsgebiet „nur bedingt einsatzbereit“, wie es die Website „Medieninsider“ formuliert. Da ist der Verweis auf die sieben Reporter*innen von „Welt“ und „Bild“. „Bild“-Vize Paul Ronzheimer berichtet aus Kiew, begleitet Bürgermeister Vitali Klitschko in der Ukraine. Offenbar hängt hier auch viel von der persönlichen Risikobereitschaft ab.
Vom ZDF ist Katrin Eigendorf, vielen bekannt durch ihre Einsätze in Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban, in der Ukraine. ZDF-Chefredakteur Peter Frey ist sehr dankbar, dass sie diesen Job mache. „Das ist hochriskant.“ Allerdings habe sich das ZDF entschlossen, weder Eigendorf noch ihren Kollegen Armin Coerper direkt nach Kiew zu schicken, da die Lage dort nicht kalkulierbar sei, erläuterte Frey im ZDF-Morgenmagazin am 7. März. Auch RTL/ntv hat Mitarbeitende vor Ort, ebenso wie „Der Spiegel“. Die Medienredaktion ZAPP hat sich unter deutschen Redaktionen und Freischaffenden umgehört. Danach sind mindestens 25 Reporterinnen und Reporter aus Deutschland in der Ukraine unterwegs.
Inzwischen hat die ARD reagiert. Der für die Osteuropa-Berichterstattung zuständige Westdeutsche Rundfunk kündigte an, mehr Korrespondent*innen in die Ukraine zu schicken. Aber der Schutz und Sicherheit der Mitarbeitenden habe oberste Priorität.
Wie gefährlich die Lage sein kann, zeigte ein Bericht von britischen ITV-Korrespondenten. Sie blickten beim Verlassen der umkämpften Hafenstadt Mariupol trotz riesiger Buchstaben „Presse“ an ihren Autos direkt in ein Panzerrohr.
Das Dilemma mit der Auslandsberichterstattung hat ganz offensichtlich eine Vorgeschichte, beschrieben in der gerade erschienenen Studie der Otto-Brenner-Stiftung „Das Verblassen der Welt. Auslandsberichterstattung in der Krise“. Autor Marc Engelhardt nennt das Wegsparen von Korrespondenten, das Ausdünnen von Plätzen für die Auslandberichterstattung, schrumpfende Budgets, den Druck und Versuche der Einflussnahme auf die Berichterstattung und die Zunahme von Propaganda. Das führe häufig zu einem verzerrten Bild der Wirklichkeit, was die Russland- und Ukraine-Berichterstattung belege.
Zu Protesten gegen die russische Aggression und der Solidarität mit der Ukraine siehe auch hier.
Aktualisierung vom 9. März 2022
dju in ver.di fordert vereinfachte Aufnahme von geflüchteten russischen Medienschaffenden
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di unterstützt zusammen mit Reporter ohne Grenzen (RSF) die Forderung an die deutsche Bundesregierung, unkomplizierte Aufnahmeverfahren für aus Russland flüchtende Medienschaffende zu ermöglichen, ohne vorher zu besorgende Visa und Impfauflagen. „Putins Krieg ist auch ein Krieg gegen unabhängige Medienschaffende und die Pressefreiheit“, erklärte die Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di Monique Hofmann in einer Pressemitteilung. „Im russischen Staat, der einer Diktatur gleicht, sogar Sprachkontrolle betreibt und Tatsachenbehauptungen unter Strafe stellt, ist eine Existenz für sie nicht mehr möglich“, so Hofmann. Laut RSF hätten bereits mehr als 1000 Journalistinnen und Journalisten das Land verlassen. Ihre unbürokratische Aufnahme sei nicht nur ein humanitäres Gebot. Von ihrer Expertise könnten auch deutsche Medien in der Zusammenarbeit profitieren.