Schüsse auf Zivilisten

Demonstrationen in Birma: freie Berichterstattung unerwünscht

Kenji Nagai hat sich nur wenige Tage in Birma aufgehalten. Er starb bei der Arbeit. Der japanische Journalist war ein erfahrener Reporter, der an vielen Krisenherden der Welt unterwegs war – in Afghanistan und Kambodscha, im Irak und in den palästinensischen Gebieten. Ende September reiste der 50-Jährige mit einem Touristenvisum nach Birma und begleitete mit seiner Videokamera die Demonstrationen der buddhistischen Mönche und Anhänger der Demokratiebewegung.

Was dort am 27. September geschieht, geht in bewegten Bildern um die Welt. Als die Sicherheitskräfte versuchen, die Protestkundgebungen gewaltsam aufzulösen, wird ein Mann umgerissen und schlägt auf dem Pflaster auf. Er kann nicht mehr aufstehen und ein Soldat richtet seine Waffe auf ihn. Wenig später ist Kenji Nagai tot. Die birmanischen Militärherrscher entschuldigen sich bei den Japanern für den Vorfall: Nagai sei von einem Querschläger getroffen worden. Die japanische Version seines Todes liest sich indes anders: Der Mitarbeiter der japanischen Foto- und Video-Agentur APF sei aus geringer Entfernung von einer Kugel in den Brustkorb getroffen worden, sagte ein Regierungssprecher in Tokio und verwies auf Angaben eines Arztes der japanischen Botschaft in Rangun. Die Kugel sei durch das Herz gegangen und sei am Rücken wieder ausgetreten. Sollte sich das bei der angekündigten Autopsie in Japan bewahrheiten, wird die These eines Querschlägers nicht aufrechtzuerhalten sein. Vielmehr ist von der gezielten Ermordung eines Journalisten auszugehen.
„Nagais Tod ist ein Akt der Aggression. Das Militär hat auf unbewaffnete Zivilisten geschossen“, kritisiert Jacqueline Park, Asien-Direktorin des „Internationalen Journalistenverbandes“. Auch das „Komitee zum Schutz von Journalisten“ und die „Reporter ohne Grenzen (ROG)“ verlangen Aufklärung.

Internet-Cafés geschlossen

Das Vorgehen der Machthaber gegen Journalisten und Medien blieb skrupellos. Nicht der brutale Einsatz der Sicherheitskräfte, der zahlreichen friedlichen Demonstranten das Leben kostete, war das Problem für die Junta, sondern die Berichterstattung darüber. Deshalb wurden zunächst Internet-Cafés geschlossen und später der Zugang zum Netz völlig gesperrt. Auch die Mobilfunkverbindungen ins Ausland wurden gekappt. Wenn Journalisten und Menschenrechtler dennoch versuchten, Informationen und Bilder ins Ausland zu versenden, riskierten sie Repressionen. Bis Ende September wurden nach Angaben von ROG zehn Journalisten bei Übergriffen verletzt, mindestens fünf kamen in Gewahrsam. Einer von ihnen ist Min Zaw, ein Birmane, der als Korrespondent für die japanische Tageszeitung Tokyo Shimbun arbeitet und am 28. September in seinem Haus in Rangun festgenommen wurde.
Freie Berichterstattung ist unter der Militärherrschaft ohnehin undenkbar. Ausländischen Journalisten wird lediglich in Ausnahmefällen ein Visum erteilt. Seit dem Beginn der Demonstrationen im August gab es keine einzige Arbeitserlaubnis mehr. „Das Drama soll sich hinter verschlossenen Türen abspielen“, befürchtet ROG. Die birmanischen Medien wiederum sind behördlich kontrolliert. Ausnahmslos jeder Radio- und Fernsehsender gehört dem Staat. Mit ihnen wurde in den vergangenen Wochen die Propagandamaschine angeworfen, um die Proteste auf den Straßen von Rangun oder Mandalay als vom Ausland gesteuert zu diffamieren.
Private Zeitungen gibt es zwar; sie sind aber vollständiger Kontrolle ausgesetzt. Jede Ausgabe muss der 1962 eingeführten Zensurbehörde der Militärs vorgelegt werden. Themen wie Demokratie oder das Schicksal der seit Jahrzehnten inhaftierten Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin von 1991, Aung San Suu Kyi, sind Tabu. Über wirtschaftliche und soziale Spannungen in dem südostasiatischen Land kann genauso wenig berichtet werden wie über Delegationsreisen der Vereinten Nationen, auf denen für eine Öffnung des Landes plädiert wird. Auf der Rangliste zur Lage der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ steht Birma auf Platz 164. Nur in vier Ländern der Welt sieht es noch düsterer aus.
U Win Tin ist der bekannteste Journalist in Birma. Allerdings kann er seit 1989 nicht mehr publizieren, denn er sitzt seit 18 Jahren im Gefängnis. Zuletzt ist seine Haftstrafe verlängert worden, weil er in der Zelle Artikel verfasst und diese an Mitgefangene verteilt hatte. Auch hatte der 77-Jährige mit UN-Vertretern über Folter und mangelhafte medizinische Versorgung in der Haft gesprochen.
Die Junta scheint all das nicht zu interessieren. Sie hat jeden direkten Kontakt zur Bevölkerung aufgegeben und ließ sich im einsamen Gebirgsort Naypyidaw einen neuen Regierungssitz bauen, der für Zivilisten und Ausländer gesperrt ist. Anders als in der früheren Hauptstadt Rangun gibt es dort keine Demonstrationen und keine Journalisten, die unangenehme Fragen stellen.

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